Autograf: Scottish National Records Edinburgh (GB-Enr), Sign. GD205/41/14/41/1-2

Sr. Hochwohlgeb.
dem Herrn Baron
von Lannoy
in
Wien.
Stadt Nro 1142.

franco.
Öster. Grenze.0


Cassel den 20sten
März 1842.

Hochgeehrtester Herr und Freund!

Empfange Sie meinen herzlichsten Dank für die Theilnahme und große Sorgfalt, mit der Sie sich meiner Sinfonie angenommen haben, so wie auch für den freundlichen Brief über die Aufführung derselben. Daß sie dort Beyfall fand, war mir um so erfreulicher, weil sie in den Berichten aus Leipzig in den beyden dortigen Zeitungen etwas hart angegriffen worden war, besonders der letzte Satz.1 Ich las daher mit Vergnügen in Ihrem lieben Briefe, daß dieser in Wien nicht weniger gefallen hat, wie die vorhergehenden. Auch freue ich mich, daß Hr. Dr. Becher dieß Werk bey seinem Erscheinen in einer Kritik besprechen will und zwar nach einer so gelungen Aufführung wie die Ihrige gewesen ist.2
Meine neueste 7te Sinfonie(, welche Ihnen jederzeit in Partitur und Stimmen zu einer Aufführung in den Concerts spirituels zu Diensten steht) hat bey dem Leipziger Concertpublikum sogleich bey der ersten Aufführung Eingang gefunden, wie ich aus den Berichten der dortigen Zeitungen ersehe.3 Es muß daher die, in derselben durchgeführte Idee „der endliche Sieg des Göttlichen über das Irdische“ mehr Anklang und Theilnahme beym großen Publikum finden, als ich nach der Bildungsstufe desselben, erwarten konnte, denn auch hier hat diese Sinfonie eine für Cassel beyspiellose Theilnahme gefunden, indem nach der ersten Aufführung eine Wiederholung im nächsten Concert verlangt und diese dann so zahlreich besucht wurde, daß unser geräumiges Theater die Zudrängenden nicht fassen konnte, eine Theilnahme, die bey einer Sinfonie gewiß zu den seltenen gehört! Da die neue Leipziger M.Z. eine ziemlich genaue Analyse derselben giebt, so kann ich mich einer Beschreibung des Werks hier enthalten. Das Neue in der Form besteht in dem Doppelchörigen und in dem Umstande, das das kleine Orchester, welches das gute Prinzip repräsentirt, aus Soloinstrumenten besteht, die, in den Händen von ausgezeichneten Künstlern, diesen einen besonderen Reitz zu geben vermögen. Eine Schwierigkeit im Concertsaal besteht darin, die Orchester so aufzustellen, daß man sie deutlich unterscheiden kann; im Theater wird dieß leichter, wenn man das große Orchester an seinem Platz läßt und die Soloinstrumente auf die Bühne stellt. So war es hier und es machten sich beyde Orchester im Einzelnen und im Zusammenwirken gleich und vorth[ei]lhaft.
Daß wir nicht die Freude haben können, Sie und die lieben Ihrige in Carlsbad zu treffen, ist uns sehr leid! Wir hatten schon sehr darauf gehofft und allerley Pläne gemacht, die nun zu Wasser werden! Vielleicht führt uns ein günstiges Geschick noch einmal wo anders zusammen! – Eine Einladung4 zum Mozartfest in Salzburg und eine Aufforderung meine 5te Sinfonie5 dort zu dirigiren, habe ich leider ablehnen müssen, da das Musikfest in Norwich, für welches ich mein neues Oratorium „der Fall Babylons“ geschrieben habe und dessen Direction ich schon vor 3 Jahren zugesagt habe, unglücklicher Weise auch in den September fällt.
Herrn Mechetti, der mir auch über die Aufführung der Sinfonie schrieb6, bitte ich zu grüßen und gefälligst zusagen, daß ich ihm nach Empfang seiner Zusendung ebenfals schreiben würde.
Meine Frau und ich bitten uns Ihrer Frau Gemahlin angelegentlichst zu empfehlen. Mit wahrer Hochachtung und Freundschaft ganz der Ihrige Louis Spohr.



Dieser Brief ist die Antwort auf Lannoy an Spohr, 11.03.1842. Lannoy beantwortete diesen Brief am 02.05.1842.

[0] [Ergänzung 14.12.2021:] Rechts oben auf dem Adressfeld befindet sich der Poststempel: „CASSEL / 20 / 3 / 1842“, links über dem Adressfeld der Stempel „WIEN / 27 MAR“.

[1] Vgl. „Leipzig, den 10. Januar 1840“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 43 (1841), Sp. 61-67, hier Sp. 63-67; „Elftes Abonnementconcert, den 7. Januar 1841“, in: Neue Zeitschrift für Musik 14 (1841), S. 53f.

[2] [Ergänzung 15.12.2021:] Alfred] Julius Becher kündigte eine ausführliche Besprechung an, die dann jedoch nicht erschien („Concerts spirituels“, in: Allgemeine Wiener Musik-Zeitung 2 (1842), S. 149f.).

[3] Vgl. „Leipzig, den 21. Januar 1842“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 44 (1842), Sp. 80-86, hier Sp. 82f.; „Dreizehntes Abonnementconcert, d. 13. Januar“, in: Neue Zeitschrift für Musik 16 (1842), S. 35f., hier S. 36.

[4] Noch nicht bearbeitet.

[5] Op. 102.

[6] Pietro Mechetti an Spohr, 11.03.1842.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.04.2020).