Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.2 <18420318>
Beleg: Autographen. Historische Autographen, literarische Autographen, Musiker, Schauspieler und bildende Künstler, Stammbücher. Versteigerung am 20., 21. und 22. Oktober 1926 (= Katalog Liepmannssohn 48), Berlin 1926, S. 174f.

Breslau den 18 März 1842
 
Geehrtester Herr Kapellmeister!
 
Da Sie an Seidelmann geschrieben und dabei0 meiner Ihnen übersandten Orgelsachen gedacht haben1, so dürfte wohl noch einige Zeit vergehen, ehe ich selbst einige Zeilen Ihrer Hand erhalte. Um dies jedoch so bald als möglich zu erleben sende ich diesen Brief an Sie ab, und wünsche jetzt wirklich, daß keiner von Ihnen unterwegs ist. Sie wollen nächsten Sommer nach Carlsbad gehen, auch mir ist die Kur von den Ärzten ernstlich verordnet worden, da ich an Aufregungen des Blutes leide, welches aus dem Unterleibe entspringen soll und weil ich seit einiger Zeit stärker geworden bin, was mir nicht lieb ist. Ich würde daher jedenfalls die Zeit, in welcher Sie in Carlsbad sind, benutzen. Sollten Sie aber dann1a nach England gehen, so würde ich bittere Reue empfinden. Ich möchte daher gerne wissen, wie es mit dieser Angelegenheit steht. In diesem Fall würde ich meine Kur hier mit Marienbader Kreutzbrunnen2 abmachen da ich die Reise nach England allem übrigen vorziehe. In unserer Zeitung steht, daß Sie im September auch nach Salzburg reisen würden zur Enthüllung der Mozart-Statue. Schreiben Sie mir recht bald etwas Gewisses.
Ernst war wieder hier und gab ein Konzert für die Armen worin er auch Ihre Gesangsscene spielte. Vieles gelang ihm sehr gut, manches auch nicht. Im ganzen war die Spielweise nicht die Ihrige, und sonderbar, er hatte trotz seiner sonst immensen Fertigkeit mit der Überwindung der Schwierigkeiten Ihres Konzertes gerade vollauf zu thun, auch entwickelte sein Instrument dabei lange nicht den schönen, kräftigen Ton, als nachher bei seinen eigenen Sachen, wiederum ein Beweis, daß Ihre Sachen den meisten Virtuosen saure Trauben sind, weil sie zu hoch hängen.3 Neulich wurde auch Mendelssohns Sinfonie-Kantate gegeben, ein schönes Werk, voll guter Effekte, doch ist es bei den Gesangstücken ziemlich egal, ob man diese Kantate oder den Paulus hört. NB. bringen Sie doch die Gesangsscene, dieses schönste Ihrer Konzerte mit nach Karlsbad, ich werde die Klavierstimme auch mitbringen im Fall Sie dieselbe nicht besitzen. Liszt ist leider nicht zu uns gekommen, sondern von Berlin nach Königsberg gereist. Der an Verrücktheit grenzende und zu Karrikaturzeichnungen Anlaß gebende Enthusiasmus hat ihn in Berlin zu lange aufgehalten. Es thut mir leid ihn nicht gehört zu haben, doch will er auf dem Rückweg über Breslau reisen. Ihr Faust soll nächstens im neuen Theater daran kommen. Gegenwärtig wird hier eine Oper „Die Geisterbraut“ von Prinz Eugen von Württemberg mit unerhörter Pracht gegeben, die Musik hat Manches Gute, wieviel indeß von dem Prinzen herrührt läßt sich nicht behaupten.4 Sie melden mir wohl Zeit und Dauer Ihres Aufenthaltes in Karlsbad. Werden Sie dort vielleicht wieder eine Rutschparthie vom Hirschensprung hinab unternehmen? Empfehlen Sie mich den Ihrigen hochachtungsvoll. In der Hoffnung baldiger Nachricht von Ihnen bin ich
 
Ihr ergebenster Verehrer
A. Hesse.
Wer wird denn bei Ihnen Cellist statt Hasemann? Sein Tod thut mir doch sehr leid.5



Dieser Brief folgt auf Hesse an Spohr, 31.01.1842. Spohr beantwortete diesen Brief am 22.03.1842.
 
[0] [Ergänzung 16.12.2021:] Hier gestrichen: „von“.
 
[1] Dieser Brief ist derzeit nur über Hesses Erwähnung erschlossen.
 
[1a] [Ergänzung 16.12.2021:] „dann“ über der Zeile eingefügt.
 
[2] Vgl. L[eopold] Herzig, Die Heilung der Krankheiten mit Hülfe des Kreuzbrunnen zu Marienbad, Prag 1840. 
 
[3] Vgl. „Aus Breslau, Anfang April”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 44 (1842), Sp. 357f., hier Sp. 357.
 
[4] Vgl. ebd.; „Vermischtes”, in: Neue Zeitschrift für Musik 16 (1842), S. 112; „Breslau”, in: Allgemeine Wiener Musik-Zeitung 2 (1842), S. 144; „Breslau den 24. Februar”, in: Jahrbücher des Deutschen Nationalvereins für Musik und ihre Wissenschaft 4 (1842), S. 87; „Breslau den 23. März”, in: ebd., S. 120f.
 
[5] Hasemann wurde am 04.02.1842 beerdigt („In Cassel”, in: Neue Zeitschrift für Musik 9 (1842), S. 72).
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (30.04.2015).