Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hochgeehrtester Herr!

Nach vielen Jahren wage ich es wieder einmal, Sie mit einer Bitte ungewöhnlicher Art zu belästigen. Kaum werden Sie wol sich noch meiner erinnern, wo ich als Studiosus juris früher Ihre Güte mehrmals in Anspruch nahm; ich jedoch bin Ihrer damaligen Theilnahme noch dauernd eingedenk, was mich auch gegenwärtig ermuthiget, Ihnen mit Hoffnung und Vertrauen zu nahen. Der Juristerei sagte ich valet1, und widmete mich seit 1837. dem freud- und leidvollen Lehrfache, welcher Tausch mich wenigstens noch keinen Augenblick gereut hat. Die heutige Kunst, welcher Sie selbst als würdiger Priester stets treu geblieben, hob auch öfters meine, durch den Druck des gewöhnlichen Alltagslebens verlassenden geringen Schwingen, und gab mir Trost und Freude. Wenige Zeit über ein Jahr ist es, wo ich von einem scheuen Pferde dermaßen niedergeschmettert wurde, daß ich mehrmalen mit dem Tode rang. Leider ist mein früher so heiteres Gemüth durch eine heftige Hirnerschütterung und ein bedeutendes Extraanfall noch immer mit Feuer umnachtet, doch Zeit und Geduld wird hoffentlich auch diese trüben Falten glätten, da durch diesen Unfall mein Geistesvermögen glücklicherweise nicht gelitten, sondern blos noch gedrückter Sklave meines durch unendliche Leiden herabgestimmten Körpers ist. Entschuldigen Sie diese für Sie gewiß langweilige Episode damit, weil ich solche, gestützt auf Ihre frühern gütige Theilnahme an meinem künftigen Schiksal, in Kürze zu erwähnen, mich für verpflichtet hilt. Doch nun zur Sache selbst. Ich ersuche Sie wenngleich nicht dringend, ob ich mir wol die Freiheit erlauben darf, Ihnen einige meiner neusten und früheren ausgearbeiteten Mspte zur gefälligen Durchsicht übersenden zu dürfen, und, ob Sie mir, im Falle Ihnen solche nicht gänzlich mißfallen, einen gütigen Rath ertheilen wollten denselben durch Ihre Empfehlung einen Weg zur Oeffentlichkeit zu bahnen. Hohe edle Meister nehmen sich ja von jeher der Kunstjünger an, und daher nahe ich Ihnen auch mit vollem Vertrauen an Sie keine Fehlbitte zu thun. Wer wie ich in Artistischer Beziehung auf ein unglückliches Eiland verschlagen wurde, dem fehlt leider Segel und Kompaß um mit seiner Ladung in die offene See des allgemeinen Verkehrs zu steuern. Nehmen Sie sich des armen gestrandeten Fahrzeugs an, wenden Sie dessen erfahrnen Steuermann, welchem, das Verlassen einem glücklichen Hafen entgegen entgegen zu führen, gewiß ein Leichtes seyn wird. Der Hoffnung lebend, mich recht bald im Besitze einer gütigen Zuschrift von Ihner werthen Hand zu sehen, grüßt Sie mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr
ergebenster
G.A. Henkel, Seminarlehrer.

Fulda, d. 2. März 1842.

Autor(en): Henkel, Georg Andreas
Adressat(en): Spohr, Louis
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Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1842030244

Spohr



Der letzte belegte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Henkel, 27.10.1839. Spohr beantwortete diesen Brief am 14.03.1842.

[1] „valet“ (lat.) = „Lebewohl“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (21.12.2020).