Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Paris d 2 März 1842.

Hochgeehrtester Herr Doctor!

Es wird Sie nicht wenig befremden, einen Brief von mir nicht aus Antwerpen, sondern aus Paris zu erhalten. Ich gehe daher sogleich zur Erläuterung dieses schnellen Wechsels über. Als ich nach Antwerpen kam, fand ich zu meinem Bedauerniß eine gänzliche Unbekanntschaft mit Ihren classischen Compositionen, nur H. Reymenans kennt u besitzt einige Quartett von Ihnen, welche er von einigen Ihrer Schüler hörte. H. Reynemans ist ein Musikliebhaber, wie es nicht leicht einen geben möchte, er opfert alles für Musik, da es ihm natürlich zu keinem Zweck an Mitteln fehlt. Dabey ist er ein aber so liebenswürdiger u. guter Mesch, im ersten Jahre der Ehe und selbst ein ziemlich guter Cellist. Wie sich später bewieß so ist er es ganz allein, der dieses Engagement ausstellte und aus eigenen Mitteln zu seinem Vernügen diese für ihn unbedeutende Summe darauf verwendet. Ich hatte keine Gelegenheit mit Orchester zu spielen, nur einmal lud H. R. alle Amateurs ein zu einer Soirée, wo ich das Mozartsche G dur Quartett, Ihr brillantes H-moll u. Betthovens1 Cdur mit der Fuge spielte. Diese Menschen aber sind gewöhnt dort alles im französischen Genre zu hören, und als ich Ihr Quartett executirte hat Einer den andern gefragt: „Wie finden Sie das“ aber keiner hat was davon verstanden. Dieß ist traurig, machte mich in einer Art verdrüßlich, weil ich natürlich nicht reusirte wie ich erwartet hatte. Jeder der Liebhaber quält sich mit Beriot oder Vieuxtemps ab, und macht man nicht den Narren ihre Sautillés und Saltantos, so sagen sie, man habe einen steifen Arm. Was mich aber am meisten dort genirte, war besonders, daß ich in dem Hause des H. R. und seiner Freunde eine übertriebene Passion für Mendelsohn fand, die oft so weit gieng, daß es mich anekelt, denn nur seine Composition konnte man für Beethovensche halten, wenn man nicht mehr wüßte, daß sie von Mendelsohn wären. Ich kann diese Musik nicht leiden, sie ist voll Verstand, aber ohne Gemüth, der Geist Gottes fehlt, die Melodien; dabei kommt sie in ihrer kleinen Art der französischen nahe, daß man sie eben so hüpfend wie Onslow spielen kann, u das ist ganz für Antwerpen. Hier liebt man deutsche Musik, doch die Flamänder sind ein träges, faules Volk, die nur Saaltänzereien verstehen. Ich spielte nun wöchentlich 3 mal mit Madame Reynemans Bethoven u. Ihr großes Duo in E womit sie sich lange quälen mußte, da sie sich bereits in anderen Hoffnungen befand. Wöchentlich machten wir einmal Quartett. Alle dieses bekam ich von H. R. noch sehr generös bezahlt, da er micht nicht wissen ließ, wie die Sache mit meiner Stellung war, u ich dieß erst später aus den Umständen entnahm. Nun sind fast jede Woche Soireen gewesen. Allein man kann keine Quartettbegleitung haben um ein Solo auszuführen, sondern man muß nur kleine Dummheiten mit Clavierbegleitung, Opernthemas mit Variation, oder Duos von Beriot u Wolf ausführen, anders verstehen u wollen die Leute dort nicht. Dieser Belgische Geschmack ist ohnstreitig der schlechteste, u ist durch die neuromantische Schule, deren wie in Löwen, wie in Gent, wie in Brüssel u wie in Lüttich ist, so eingeführt, ich glaube in Holland ist es viel besser. Ich habe mich nun nie auf Beriot oder Haumann oder dergleichen gelegt, u deßfals fehlt mit die Cocetterie des Bogens um den Leuten diese seichten, gehaltlichen Sachen zu Dank zu spielen. H. R. machte mir daher einen sehr annehmbaren und gütigen Vorschlag, indem er mir sagte, „Ich bin ein Mann, der keine Equipage und sonstigen Luxus macht, und es macht mir Vergnügen, wenn ich einen jungen Mann wie Sie aus Freundschaft unterstützen kann, da ich weiß Sie sind mir dankbar und haben das Streben noch zu lernen; also die 1000 Frank welche Ihnen ausgesetzt sind gebe ich Ihnen, und auch noch mehr, wenn Sie es nöthig haben, gehen Sie nach Paris und machen Sie sich mit den französischen Manieren bekannt, alsdann kommen Sie wieder hierher. Es geht Ihnen nicht verloren und Sie haben mir nichts zu ersetzen.“ Dies ist gewiß ein edles Anerbieten wofür ich diesem guten Mann auch aufrichtig dankbar bin u sein muß. Es kann sein, daß ich vielleicht durch meine Krankheit etwas zurückgekommen war und mein Spiel an Glätte und Acuratesse etwas verlohren hatte, indem ich durch 4 Monate keine Violine anrühren durfte. Ich sehe aber bei alle dem doch, daß die deutsche große Musik und der deutsche Musiker sich am besten in Deutschland betten. Es ist ein kurioses Schicksal für mich, daß ich immer an Private komme, doch halte ich dieses alles für Bestimmung, und sehe jetzt einen von mir schon länger gemachten Plan auf leichtere Weise ausgeführt, nemlich hier in Paris zu sein. Man hat Gelegenheit viel Musik zu hören. Ich hatte einen Empfehlungsbrief an Baillot, und bin auf nächsten Samstag zu einer Soirée bei ihm eingeladen. Wenn es möglich ist, denke ich ein Jahr hier zu bleiben. Bin ich erst etwas bekannter, so hoffe ich hier einmal: „Sonst u. Jetzt“ zu spielen welches ich einmal bei einer Clavierspielerin in Brüssel mit vielem Beifall spielte. Ihren ehemaligen Schüler Lemenais2 besuche ich oft, er glüht noch für Ihre Musik, kann aber nichts mehr davon. Ganz unerwartet fand ich Eisenbaum, welcher schon seit 10 Monaten hier bei Verwandten ist. Haben Sie, geehrter Herr Kapellmeister nichts Neues für Violine geschrieben? Die Duo’s hat H. Reymenans alle gekauft, so wie auch Ihre sämmtlichen Quartetten verschreiben lassen, wir sind aber noch nicht daran gekommen. Er freut sich schon auf Ihre Gegenwart nächsten Herbst, und wird gewiß nichts unterlassen Ihnen einige angenehme Tage in Antwerpen zu machen, denn in dieser Beziehung ist er unvergleichlich und bietet alles auf. Jetzt wird hier in allen Theater das Stabat mater von Rossini aufgeführt. Berlioz hat vor meiner Ankunft ein Concert mit einem Personal von 200 Personen gegeben. Thalberg und Vieuxtemps werden noch erwartet. Kinderfreund soll sein Institut verkleinert haben und will gewiß zum Kaiser um für Herdtmann und Schreiber (ein Freund von mir u Clavierlehrer) die Erlaubniß ihres Aufenthaltes auszuwirken. Ist es wirklich Herr Kapellmeister, daß Ihnen Paganini eine Violine vermacht hat? Man sagte mir dieß in Brüssel. Ich hörte dort im Conservatorium ein Concert wo man eine Symphonie u Ouverture von beethoven nebst eine von Mendelssohn aufführte. Doch gefällt mir Fetis Direction nicht, er arbeitet mit Händen und Füßen wie ein Rhinocerus. Ein Paar Kinder, 2 Mädchen von 12 u 8 Jahren, Italiener, hörte ich auf der Violine; dieß übertraf alles was ich nach der Art hörte. Sie spielen von Lafont, Beriot, Mayseder, Artot, mit einer solchen Reinheit, Geschmack un[d] so vollendet, daß Beriot selbst sagte, er könne seine Compositionen kau[m] besser spielen. Sie heißen Millianolo. Prume liegt schon 8 Woche[n] in Brüssel, kann aber zu keinem Concerte kommen. Ich beeile mich jetzt zu schließen, und bitte um Entschuldigung, wenn ich Ihre Zeit schon zu lange in Anspruch nehme. Indem ich mich Ihnen geehrtester Herr Capellmeister nebst Ihrer Frau Gemahlin bestens empfehle, zeichne ich mich achtungsvoll als

Ihr
dankbarer Schüler
W. Happ

Rue Buffault
Monmatre No 22.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Happ an Spohr, 20.09.1841. Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] Sic!

[2] Sic!

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (03.02.2022).