Autograf: Stiftelsen Musikkulturens Främjande Stockholm (S-Smf), Sign. LTR 6081
Druck 1: [Eduard von] Lannoy, „Spohr‘s historische Symphonie“, in: Allgemeine Theaterzeitung 35 (1842), S. 261 (teilweise)
Druck 2: Ders., dass., Allgemeine Wiener Musik-Zeitung 2 (1842), S. 121 (teilweise)
Druck 3: [Ernst Rychnovsky], Beschreibendes Verzeichnis der Autographen-Sammlung Fritz Donebauer in Prag, 2. Aufl., Prag 1900, S. 270f. (teilweise)
Druck 4: Sammlung Fritz Donebauer, Prag. Briefe, Musik-Manuscripte, Portraits zur Geschichte der Musik und des Theaters. Versteigerung vom 6. bis 8. April 1908 (= Katalog Stargardt), Berlin 1908, S. 95f. (teilweise)
Druck 5: Musiker-Autographen. Versteigerung der Lagerbestände der Autographenhandlung Otto Aug. Schulz in Leipzig. Versteigerung am 17. September 1910 (= Katalog Henrici 3), Berlin 1910, S. 20 (teilweise)

Cassel den 24sten
Januar 1842.

Hochgeehrtester Herr,

Die Verzögerung der Herausgabe der Historischen Symphonie ist mir nur deshalb leid, weil nun in dieser Winter-Saison schwerlich noch eine Aufführung irgendwo stattfinden wird. Um so lieber ist es mir, daß Sie in Wien auf würdige Art zur Aufführung kommen soll und dann in öffentlichen Blättern besprochen wird. Mir erscheint Herr Dr. Becher zu einer solchen Besprechung sehr geeignet1, vorausgesetzt, daß es derselbe ist, der früher in Cölln wohnte. Dieser hat sich bereits als musik. Critiker einen Namen gemacht. Ist es derselbe so bitte ich ihn von mir herzlich zu grüßen, indem ich ihn persönlich kenne.
Was die Besorgniß der Direction der Concerts spirituels anbetrifft, „dass die Bezeichnung „Bach-Händel‘sche Periode“ u.s.w. Anstoß geben könnte, so theile ich diese nicht. Denn aus dieser Bezeichnung geht keineswegs die Anmassung2 des Componisten hervor, ebenso vortrefflich schreiben zu können, wie jene Heroen der Kunst; die ganze Kunst und das Hauptinteresse der Aufgabe bestand aber eben darin, daß der Stil jener Künstler so täuschend kopirt wurde, dass der Zuhörer ein Musikstück jener Perioden zu hören glaubt. Wollte man nun bloß die Jahreszahlen hinsetzen, so würden die meisten der Zuhörer nach diesen Zahlen3 nicht errathen können, welches Meisters Styl ihnen vorgeführt werden soll und so würde das Hauptinteresse der Symphonie für sie verloren gehen. Bei den Aufführungen hier war es aber grade das Wiedererkennen des Bach-Händel‘schen Styles im 1sten Satz, des Mozart‘s im 2ten und des Beethoven‘s im 3ten, was das Interesse der Zuhörer erregte und allgemein wurde empfunden, dass diese Perioden mit Glück wiedergegeben seyen. Nur bey dem letzten Satz wußte man sich nicht zu orientieren, weil bei diesem kein Name genannt werden konnte, und manche hatten geglaubt, der Componist werde sich selbst als den Representanten der neuesten Periode hinstellen. Abgesehen davon, daß dieß anmaßend gewesen wäre, so konnte es schon deshalb nicht geschehen, weil er, seiner Kunstbildung nach, den früheren Perioden angehört. Wüßte man aber, daß der Componist in diesem letzten Satze das Form- und Styllose, so wie das unruhige Ringen nach Neuem und Frappanten in4 der allerneuesten Periode hat darstellen wollen, so würde man auch diesen Satz nicht ohne Wahrheit gefunden haben. – Sollten nun die Herren Directoren nach Obigem dennoch auf Ihrer Ansicht beharren, so kann ich nichts dagegen haben. Was aber den Titel der Symphonie betrifft, so bitte ich Sie, daß Sie ihn ganz so stehen lassen, wie ich ihn schrieb.
Herrn Baron von Lannoy bitte ich auf das herzlichste von mir zu grüßen und ihm zu sagen, daß ich ihm die Symphonie zu recht sorgfältigem Einüben angelegentlichst empfehle. Das Scherzo und der letzte Satz sind recht schwer und bedürfen sehr sorgfältiger Proben. – Ende Juni dieses Jahrs würde ich Carlsbad wieder besuchen und lebte der Hoffnung den Herrn Baron mit den Seinigen dort zu treffen.
Mit vorzüglicher Hochachtung

Ew. Wohlgeb.
ergebenster
Louis Spohr5

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Mechetti
Mechetti, Pietro
Erwähnte Personen: Becher, Alfred Julius
Lannoy, Eduard von
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Historische Sinfonie, op. 116
Erwähnte Orte: Kassel
Erwähnte Institutionen: Concerts spirituels <Wien>
Hofkapelle <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1842012426

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Mechetti an Spohr, 17.01.1842. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Mechetti an Spohr, 11.03.1842.

[1] Alfred Julius Becher kündigte in einer Konzertkritik eine ausführliche Besprechung der Sinfonie an, die dann jedoch nicht folgte („Concerts spirituel“, in: Allgemeine Wiener Musik-Zeitung 2 (1842), S. 149f., hier S. 150).

[2] Hier gestrichen: „hervor“.

[3] „ nach diesen Zahlen“ über der Zeile eingefügt.

[4] „in“ über der Zeile eingefügt.

[5] Am unteren Rand der letzten Seite befindet sich der Empfangsvermerk des Verlags: „Dr. Louis Spohr. / Cassel, 24. Jänner 42. / Empfangen, 30. Janr.“

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (03.06.2020).