Autograf 1: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 2° Ms. mus. 1500[Sp. 75,46 (Text)
Autograf 2: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 2° Ms. mus. 1500[Sp. 75,45 (Umschlag)
Druck: Horst Heussner, Die Symphonien Ludwig Spohrs, Phil. Diss. Marburg 1956, Anhang, S. 40f. (teilweise)
[Beleg 1: A Collection of Choice Manuscripts, Incunables, Books of Hours, Maps Music Autographs, Woodcut Books. In commemoration of the 50th anniversary of Ludwig Rosenthal‘s Antiquarian Book store (= Katalog Rosenthal 130), München 1909, S. 42]
Beleg 2: Handschriften & Miniaturen aus Europa, Asien und Afrika VIII.-XIX. Jahrhundert (= Katalog Rosenthal 155), München o.J., S. 68
Beleg 3: Josef Viktor Widmann und kostbare Musik-Autographen und -Manuscripte, z.T. aus den Nachlässen von Felix Mottl und A.W. Gottschalg (= Katalog Liepmannssohn 41), Berlin 1913, S. 124
[Beleg 4: Bücher, Manuskripte, Autographen […] (= Katalog Karl & Faber 31), München 1949, S. 58]

Sr. Wohlgeb.
Herrn Kapellmeister
C. Kossmaly
in
Detmold.
 
franco.
 
 
Cassel den 5ten
Januar 1842.
 
Hochgeehrtester Herr,
 
Daß ich Ihr überaus freundliches Schreiben nicht sogleich beantwortet habe, daran ist nur der Umstand schuld, daß sich im Innern des Briefs zwar die Ortbezeichnung „Detmold“ fand, die Adresse aber mit dem Postzeichen „Münster” versehen war und ich nun im Zweifel blieb, wohin ich meine Antwort zu adressiren habe. Herr Biberhofer hat mich darüber aufgeklärt und ich beeile mich nun das Versäumte aufzuholen.
Das, von Ihnen so nachsichtsvoll beurtheilte und die musik. Welt so hoch poetisch angekündigte Trio1 ist bey Schuberth in Hamburg gestochen und sollte schon vor Neujahr versandt werden. Bis jetzt habe ich es jedoch noch nicht zu Gesicht bekommen. So sehr ich mich auch über Ihre günstige Beurtheilung2 gefreut habe, so muß ich doch fürchten, daß die Erwartungen zu hoch gespannt worden sind und nun beym Erscheinen des Werks unbefriedigt bleiben werden. Ihr feines Eingehen in die Intenzionen der Komposition haben es mich aber von Neuem bedauern lassen, daß Ihr Hierseyn in eine, an Musik so magere Zeit fiel und daß ich nicht Gelegenheit fand, Ihnen die eine oder andere meine neuern größeren Kompositionen zu hören zu geben. Ich muß daher mit allen Ihren hiesigen Bekanntschaften wünschen, daß Sie uns recht bald einmal wieder mit Ihrem Besuch erfreuen und dann das Versäumte nachgeholt werden kann. Besonders mögte ich Ihnen eine neue Symphonie (die 7te) zu hören geben und mir Ihr Urtheil darüber erbitten. Es ist dieß wieder ein Versuch in einer neuen, noch nicht dagewesenen Form. Der vollständige Titel ist: Irdisches und Göttliches im Menschenleben, Doppelsymphonie für 2 Orchester in 3 Theilen. 1ster Theil: Kinderwelt. 2ter Theil: Zeit der Leidenschaften, 3ter Theil: Endlicher Sieg des Göttlichen. Das eine, kleinere Orchester, welches das gute Prinzip repräsentiert, besteht aus 11 Soloinstrumenten, das andre aus der gewöhnlichen Besetzung. Doch ist die Eintheilung so getroffen, daß nur eine Clarinette und eine Flöte mehr, wie zur Besetzung jeder andren neuen Symphonie, erforderlich sind. Es wird daher das Werk allenthalben, wo man die neueren Symphonien besetzen kann, ebenfalls gegeben werden können. Die Wahl des Gegenstandes scheint mir eine glückliche gewesen zu seyn, denn noch nie hat unser Publikum an einer Instrumentalkomposition einen so allgemeinen Antheil genommen, wie an dieser und von allen Seiten ist mir der Wunsch einer sofortigen Wiederholung zu Ohren gekommen. Diese wird nun freilich so bald nicht stattfinden können, da das Werk sich jetzt in Leipzig befindet, wohin ich es auf den Wunsch der Concertdirection zu einer Aufführung3 geschickt habe und von dort nach London wandern wird, um in einem der philharmonisches Concerte ebenfalls gegeben4 zu Beyden Institutionen habe ich sorgfältige Proben zur Bedingung gemacht, denn das Werk ist schwer und kann nur bey der genauesten Aufführung die beabsichtigte Wirkung machen. Eine Hauptschwierigkeit liegt in der Doppelchörigen und aber dazu nöthigen Absonderung der beyden Orchester. Hier machte sich dies sehr klar, weil unsere Concerte im Theater gegeben werden und daher das kleine Orchester auf die Bühne, das große auf seinen gewöhnlichen Platz gestellt werden konnten. Im Concertsaal muß die Aufstellung aber zu beyden Seiten stattfinden.
Entschuldigen Sie, daß ich Sie so lange von dieser Komposition unterhalten habe. Das jüngste Kind ist dem Vater ja stats das liebste!
L'ami de Beethoven5 hat lange nichts von sich hören lassen. Ich bin begierig, welche Stadt er nun mit seiner Gegenwart beglücken wird! An den Aufschwung den er einer solchen zu geben vermögte, kann ich nicht glauben, denn in Aachen hatte er alle Musikinstitutionen durch seine Aufhetzereien vernichtet, sich selbst durch seine Unwissenheit lächerlich gemacht. Durch die versuchten Liebeleyen bey seinen Schülerinnen, die ihm bey einem der Väter eine derbe Züchtigung zugezogen hatte, war ihm der Beynahme „musikalischer Tartuffe“ geworden. Diese hat er nicht auf die Visitenkarte stechen lassen!
Indem ich Ihnen ein fröhliches Neujahr wünsche von Herzen
 
der Ihrige
Louis Spohr

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Koßmaly, Carl
Erwähnte Personen: Biberhofer, Eduard
Schindler, Anton
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Irdisches und Göttliches im Menschenleben
Spohr, Louis : Trios, Vl Vc Kl, op. 119
Erwähnte Orte: Leipzig
London
Erwähnte Institutionen: Gewandhausorchester <Leipzig>
Hofkapelle <Kassel>
Philharmonic Society <London>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1842010513

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Koßmaly an Spohr, 27.12.1841. Koßmaly beantwortete diesen Brief am 10.02.1842.
 
[1] Spohrs Klaviertrio op. 119.
 
[2] C[arl] Koßmaly, „Ein Monat in Cassel”, in: Neue Zeitschrift für Musik 15 (1841), S. 54ff. und 61ff., hier S. 62f.
 
[3] Zur Aufführung der Symphonie in Leipzig am 13.01.1842 vgl. „Dreizehntes Abonnementconcert, d. 13. Januar”, in: Neue Zeitschrift für Musik 16 (1842), S. 35f.; „Leipzig, den 21. Januar 1842”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 44 (1842), Sp. 80-86, hier Sp. 81ff.
 
[4] Zur Londoner Aufführung der Symphonie am 13.06.1842 vgl. Spohr an Ignaz Moscheles, 09.06.1842.
 
[5] Anton Schindler (vgl. Vorbrief).
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (24.06.2019).