Autograf: Kunstsammlungen der Veste Coburg (D-Cv), Sign. Bd.5,2/1121

Sr. Wohlgeb.
Herrn Kapellmeister
Eduard Grund
in
Meiningen.

franco.


Cassel den 4ten
Januar 1842.

Geliebter Freund,

Ihren Empfohlenen1 habe ich, weil bereits ein Concert eines Freundes2 angekündigt, vor erst mit Empfehlungen nach Göttingen schicken müssen; nach seiner Rückkehr werde ich aber mein Möglichstes für ihn thun.
Ich habe dem Vater3 von Mahr4 gerathen5, sich um die Stelle in Ihrer Kapelle für seinen Sohn zu bewerben und zugleich zu versuchen, deshalb an Sie zu schreiben. Mahr besitzt bedeutende technische Fertigkeit, ließt anfallendes gut a vista und ist daher mit seinem kräftigen Ton ein vorzüglicher Orchestergeiger. Seinem Solospiel fehlt es noch an Eleganz, auch ist sein Triller ein wenig lahm; im Übrigen läßt er in meinen schwierigsten Sachen auch nicht einen Ton sitzen. In Hinsicht des Vortrags kommt noch zu wenig aus ihm selbst; doch wird sich dieß später wohl noch finden. Er scheint ein guter Mensch zu sein, ist aber sehr leichtsinnig und muß daher zum Fleiß streng angehalten werden.
Meine neue Symphonie6, die das hiesige Publikum über alle meine Erwartungen lebhaft interessirt hat7, würde ich Ihnen mit größtem Vergnügen borgen; wie ich Ihren Brief erhielt, hatte ich sie aber bereits zu einer Aufführung in Leipzig an David geschickt8 der mich darum gebeten hatte9. Außerdem habe ich sie noch der Philharmonischen Gesellschaft in London zu einer Aufführung in der neu beginnenden Saison versprochen.10 Erhalte ich sie aber früher von Leipzig zurück, als ich sie nach London absenden muß, so schicke ich sie Ihnen noch in Partitur und Stimmen für die Zwischenzeit. – Haben Sie schon meine 5te Symphonie in c moll bey sich gegeben? Auch die 6te, die historische muß nun endlich versendet seyn, obgleich sie mir noch nicht zu Gesicht gekommen ist. Sie erscheint bey Mechetti in Wien.
Wir sehen uns sehr Sie einmal wiederzusehen und Ihre liebe Frau kennen zu lernen; wir hoffen daher, Sie werden nicht wieder nach Bremen reisen ohne Cassel zu berühren!
Ich muß in der nächsten Ferienz[eit] leider wieder Carlsbad besuchen[. Ich] könnte, wenn ich sicher bin, Sie in Meiningen zu treffen, wohl meine Tour über dort machen. -
Herzliche Grüße von allen Ihren hiesigen Bekannten. Daß Hauptmann verheiratet ist, wissen Sie doch schon? - Seit ein paar Tagen ist der junge Knoop mit 300 Rth. bey uns angestellt.
Leben Sie wohl. Von Herzen

der Ihrige
Louis Spohr.



[1] Noch nicht ermittelt.

[2] Noch nicht ermittelt.

[3] Johann Christian Carl Mahr.

[4] Johann Carl Sebastian Mahr.

[5] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

[6] Irdisches und Göttliches im Menschenleben.

[7] Vgl. „Cassel, am 6. Januar“, in: Jahrbücher des Deutschen Nationalvereins für Musik und ihre Wissenschaft 4 (1842), S. 31.

[8] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

[9] Vgl. Ferdinand David an Spohr, 20.12.1841.

[10] Vgl. Spohr an Ignaz Moscheles, 12.12.1841.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (03.06.2020).