Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Firnhaber:4

An
Herrn Hofcapellmeister Dr. Spohr
Ritter etc.
Cassel
p.c.


Lieber Herr Kapellmeister!

Es ist mir gar nicht recht, daß ich mit der Antwort auf Ihren lieben Brief so lange gezögert. Zwar kann ich unmöglich annehmen, daß Ihnen viel damit gedient seyn werde; aber ich hätte Ihnen doch meinen Dank dafür ausdrücken können u die Freude, bei Ihnen noch in guten Andenken zu stehen. Verschiedene litterarische Arbeiten haben mir aber die Muße dazu geraubt, dabei die mancherley Vergnügungen, zu denen der Frühling ein für Naturschönheiten empfängliches Gemüth einladet.
Daß ich heute mich zu diesen Worten entscheide, rührt von der Nähe des Zeitpunktes her, wo Sie Ihre Ferienreise antreten wollen. Es thut mir nemlich sehr leid, daß meine Ferienreise, die mich möglicherweise durch Cassel führen wird, in die größere erste Hälfte des nächsten Monats fallen wird. Mir wird dadurch die Gelegenheit entzogen, mit Ihnen wieder einmal einen schönen Tag zu verleben. Da wollte ich nun anfragen, ob Sie vielleicht durch Frankfurt reisen, u wollte für den Fall bitten, mich davon zu benachrichtigen u ob‘s Ihnen recht wäre, wenn ich Sie dort aufsuchte. Es ist – zumal nachdem wir seit gestern unsere Dampfschiffahrt haben – eine große Kleinigkeit, dahin zu gelangen u ich zweifle nicht, daß der Herr Spohr auch auf meinen Director den Einfluß haben würde, mir Urlaub zugestatten. Ich wollte, Sie gingen nach Kronthal1 in‘s Land; der dortige Arzt2, der Ihnen sehr ähnlich sieht (ein Schwager des Hofmed. Bäumler) meinte, das Land würde Ihrem Leiden ganz besonders zusagen. Da käme ich allsonnabendlich u bliebe bis Montags früh.
Von meiner überstandenen Unpäßlichkeit schreibe ich nicht; ich lange genug daran denken müssen. Eine kleine Fußreise in die reizenden Abhänge des Taunus hat die letzten Reliquien, Schwindel u Ohrenbrausen, fast vertrieben; das kalte Weinbad3 jagt die üblern Gesellen vollends zum Thore hinaus. Bitte ich nur hier einen so ausdauernden Schwimmgenossen, wie Sie es waren u hofenlich auch in diesem Sommer sind. Übrigs schien jenes genannte Ohrensausen für mein musikal. Gehör sehr bedenklich. Ich lüge nicht, wenn ich Ihnen sage, daß ich fast 14 Tage Alles in der Weise verdoppelt hörte, daß jedem Ton die kleine Terz beigegeben war.
Zu Pfingst wäre ich gar zu gern nach Düsseldorf gegangen4, hätte ich nur Reisegefährt gehabt oder hoffen dürfen, dort Freunde anzutreffen- Ich hätte Sie um Empfehlung bitten sollen, so wär‘s schon angegangen. Zeit hatte ich, benutzte sie zu Ausflügen an den Rhein u5 in den Taunus. Im nächst. Jahre hoffe ich, dirigiren Sie wieder; dann erhalte ich eine Solopartie – denn gottlob! bekräftigt sich mein Tenor wieder – u damit einen doppelten Festgenuß. Jetzt muß mein Kränzchen stets aushelfen. Ihr Vaterunser, das ich eigentlich fast noch gar nicht kannte, u Ihre Hymne sind jetzt unsere [???]. Zürnen Sie nicht, daß wir neulich auch das Stabat mater von Rossini daneben machten. Es war der Neugierde halber, u die [???]tiner hatten mich zu Ostern in Frankfurt bestochen. Dagegen bringt mich die Bekanntschaft mit dem Mozartschen, mir bisher unbekannten Davide penitente zum Entzücken. Daß ich übrigs ein leicht zu befriedigendes Herz habe, zeigt meine Genügsamkeit am hiesig. musikal. Treiben. Freilich wenn ich zuweilen an Cassel denke, so steigt mir noch immer die Galle6 auf meine mich vergingenden(???) Feinde ins Geblüt, so gut es hier auch seyn mag.
Das ist‘s nemlich allerdings. Ich erfreue mich vor wie nach der Achtung u Freundschaft vieler angenehmer Leute, bin mit meinem Berufe wieder ausgesöhnter, u bin ruhiger als je, unbeschadet aber meiner Gesinnungen, welche ganz die alten bleiben, höchsten in etwas, namelitlich durch meine ausgedehnteren Geschichtsstudien, erweitert. Es ist mir eine Mühe zwar, aber eine sehr belohnende, in der ersten Klasse des hiesigen Gymn., wo doch nur Jüngling, nicht unter 17 bis 18 J. sind, einen freien Vortrag über deutsch. Geschichte zu halten. Ob ich den mehrfachen Aufforderungen, für den Winter eine öffentlich Vorlesung zu halten, nachkommen werde, weiß ich noch nicht.
Mein Kind7 wiederzusehen, erfüllt mich mit großer Freude. Wohl u gesund ist es gottlob, u die Freude seiner Umgebung. Die Aussicht bei einer hiesigen Familie für ihn ein Unterkommen zu finden, lasse(?) ich schwinden, lieber mir eine Fortsetzung des bisherigen Opfers auferlegend. Ich werde die Hinreise nach Verden wahrscheinl über Kölln u Düsseldorf, sonst über Weimar u den Harz machen.
Ich schließe mit dem innigen Wunsche, daß Sie durch Ihre Badereise wieder in den ungeschmälerten Besitz Ihrer Gesundheit kommen, mit der Bitte, mich allen Ihren Angehörigen, namentl. Ihrer lieben Frau (der ich ohnehin für die Übersend. des [???]tuches danke) zu empfehlen u lieb zu behalten

Ihren
unveränderlich treu ergeb.
Firnhaber

Hanau 3t Jan. 1842.

Wenn Sie nach Amerika8 schreiben, meinen innigsten Gruß dahin! Sollte Ihnen außerdem Wehner wenigsten zu Gesichte kommen, so machen Sie ihn doch recht schlecht, daß er mir noch immer nicht das versprochene Lied von der [???]lle geschickt. Und Sie? nun ich denke, haben Sie ein neu Lied componirt, so erhalte ich gleich Nachricht.
d.O.

Autor(en): Firnhaber, Carl Georg
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Bäumler, Georg Philipp Adam
Küster, Ferdinand
Erwähnte Kompositionen: Rossini, Gioachino : Stabat Mater
Spohr, Louis : Vater Unser, WoO 67
Erwähnte Orte: Düsseldorf
Hanau
Erwähnte Institutionen: Niederrheinische Musikfeste <verschiedene Orte>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1842010348

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Firnhaber an Spohr, 03.10.1841. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Firnhaber an Spohr, 08.03.1842.

[1] Kuranlage in Kronberg im Taunus.

[2] Ferdinand Küster.

[3] Vgl. G.A. Welper, Die wichtigsten Bäder Europa‘s zur Empfehlung der Bäder für Gesunde und Kranke, Berlin 1920, S. 75.

[4] Vgl. Diamond, „Das Rheinische Musikfest von 1842“, in: Neue Zeitschrift für Musik (1842), S. 179-182.

[5] Hier gestrichen: „g“.

[6] „die Galle“ über der Zeile eingefügt.

[7] Carl Wilhelm Firnhaber.

[8] Spohrs Tochter Emilie Zahn lebte zu dieser Zeit mit ihrer Familie in New York.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (03.04.2020).