Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Münster den 27. Dezember 1841.

Hochgeehrtester Herr Kapellmeister!

Wir stehen an dem Beginn eines neuen Jahres einem Zeitpunkte, der jedem Menschen die Pflicht auflegt, einen Rückblick in die Vergangenheit zu machen. Hiebei kann ich es mir aber nicht verhehlen, daß die zulezt verflossenen Jahre wohl die wichtigsten meines bisherigen Lebens sind; denn ich ihnen wurde der Grund zu meinem künftigen Lebensglücke gelegt, und zwar – erhabener Gedanke! – von einem Manne, dessen Name die ganze Mitwelt, und weit mehr noch die Nachwelt feiern wird. Ich habe das große Glück, mich in die Reihe davon zu zählen, die sich von einem der größten Künstler ihrer Zeit gebildet wähnen dürfen. – O mögte ich stets die innere Thatkraft1 besitzen, mich eines solchen Glückes würdig machen zu können! – Mein Herz überströmt von den Gefühlen des reinsten Dankes, wenn ich betrachte, daß es nur einer Bitte bedurfte, um in Ihre hohe Schule aufgenommen zu werden. – Doch das sind nur Worte; – die That spricht am bewährtesten, am lautesten für des Herzens Stimmung. Habe ich doch die volle Ueberzeugung, daß ich eben durch das Streben, nach Kräften fortzuarbeiten an dem Gebäude der Kunst, zu dem Ihre Meisterhand das Fundament legte, in meine dankbaren Gesinnungen am deutlichsten an den Tag lege. – O mögte der Himmel mir das unschätzbare Glück verleihen, daß Ihre Kunst in mir zu segensreicher Frucht gedeihe! – Vor einigen Monaten veranstaltete ich hier ein Concert, wo ich mit vielem Beifalle jene großen Werke: „die Gesangs-Scene und das Sonst und Jetzt“ vortrug, zu den Ouvertüren die aus den Opern: „Faust und Jessonda“ wählte; und so es mir vergönnt war, Ihr Andenken in den Herzen der Münsteraner neu zu beleben. Auch durch Quartett-Uebungen suche ich mich zu vervollkommnen, und beabsichtige in Kürze jenes große und vielberühmte Solo-Edur-Quartett, wie das schon wiederholt in mehren kleineren gesellschaftlichen Cirkeln geschah, in einem Concerte des hiesigen musikalischen Vereines zu veranstalten. Bei dem hiesigen Musikdirector, Herrn Arnold setze ich den Unterricht in der Theorie der Musik fort. –
Noch einmal wende ich mich dankbar zu Ihnen hin und dem heißen Wunsche, daß wahres Glück auf Ihrer ganzen Werthen Familie ruhen, daß Ihnen insbesondere die Vorsehung noch ein langes Leben verleihen möge, damit Sie noch manche Frucht Ihres segenreichen Wirkens herrlich gedeihen sähen, und zu mancher neuen noch den Samen auszustreuchen vermögten, daß endlich was der Mensch vom Menschen nicht lohnen kann, in jenem Leben tausendfaltig Ihnen ersetzt würde! –
Ich erlaube mir noch, ein Schreiben meines Onkels einzulegen, und wage es, um gütige Genehmigung des darin ausgesprochenen Anliegens zu bitten.

Mit der größten Hochachtung
Ew. Hochwohlgeboren unterthä-
nigster Diener
Anton Müller.



[1] Hier gestrichen: „zu“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (11.02.2022).