Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Catlenburg am 13ten November 1841.

Zum höchsten, mein innigst verehrtester Gönner! hat Ihr liebes Schreiben vom 10t d.M. mich Gestern erfreut! so wohl als erneueter Beweis Ihres liebevollen Gedenkens unserer, als durch dessen so ungemein interessante Ausführlichkeit!
Es geht mir gar sehr nahe, daß das auf den 17t anstehende Concert nicht um 8 Tage später ist! – wo ich kurz gewesen und sicher gekommen seyn würde, um die Mendelssohnsche Symphonie-Cantate pp unter Ihrer Meisterdirection kennen zu lernen; worauf ich nach ihrer Einladung derselben doppelt gespannt seyn würde! –
Der König ist gegenwärtig auf seinem Jagdschloße Rothenkirchen, 4 Meilen von hier; u durch den Reise-Marschall bin ich mit der Dienstags-Post benachrichtigt, daß Allerhöchsten Befehle mir vorbehalten wären. – welcher Avis1 die Bedeutung hat, daß man sich für eine nach Zeit u Umständen pr. expr.2 plötzlich erfolgende Einladung, (Befehl), zur Tafel stets bereit zu halten hat. Bis also diese oder die Winter-Abreise Sr Majestät erfolgt ist, hat man sich heimisch zu halten. – Aus der mir bekannten Instruktion einiger Allerhöchster auch auswärtigen Jagd-Nachtlager, – unter anderm Gestern u Heute bey meinem Vetter, dem Oberkommissair Lueder3 zu Relliehausen, kann ich wissen, daß eine solche Citation mir nur am 14ten, oder 15ten, oder 16ten, oder 18ten zugehen könne. Und nur wenn es an einem der beyden Tage sich erledigte, würde ich am 17ten noch zeitig genug dort eintreffen können; – was denn in eventum4 auch nicht versäumt werden würde; u auch also eingerichtet, daß ich Ihr stets so höchst interessantes Quartett am 19ten noch genißen könnte! – Ich fürchte aber gar sehr, daß mein huldreicher Hausarrest sich bis zum 18ten – 19ten fortspinnen wird! –
Möge mir nun dieser große Genuß dort jetzt vergönnt werden oder nicht: so werde ich zeitig nach aller Thunlichkeit zu sichern suchen, daß ich zu Ihnen, schon in der Idee über alle Beschreibung interessanten, Doppel-Symphonie5 hier fortkommen kann! – u es ist mir daher höchst angenehm, den ungefähren Zeitpunkt deren Aufführung, Mitte December etwa, durch Ihre gar gütige Mittheilung so lange vorher zu wissen! – Ich glaube darnach dennoch rechnen zu dürfen, daß solche Ausführung denn nicht vor dem 15ten k.M. statt finden werde; u würden nur die Paar Tage später, den Freytage den 17ten, mir noch mehr sichern, hoffentlich auch die General-Probe erreichen zu können. –
So eben geht Ihr liebes Schreiben vom 12ten ein! – wass den meinen einstweiligen allergnädigsten Haus-Order doch Hof-(?) u Flur-Arrest micn noch schwerer empfinden läßt! – Da ich Liszt noch nicht hörte; u allerdings höchst gespannt auf dessen Bekanntschaft bin; da Mendelssohn ihn entschieden den ersten jetzigen Pianisten nannte. – Auch meinem Bruder6 wird es sehr nahe gehen, in Rothen-Kirchen, – dessen Intendantur ihm obliegt, – gerade gefesselt zu seyn; – bis zum 19ten; wo, bisher wenigstens, des Königs Rückehr nach Hannover bestimmt war.
Die Nacht von Paluzzi von Pentenrieder habe ich in Braunschweig am Vorabend der Eröffnung der Naturforscher-Versammlung gehört; u gegen meinen Vorsatz in meiner neulichen Relation zu erwähnen versäumt. – Die durchaus gelugene Aufführung dieser wohl gewis ihre großen Schwierigkeiten darbiethenden Oper interessiert mich dort doppel, weil es die erste war, die ich dort als7 unter des biederen Georg Müller Leitung uerst einstudirt8 hörte; was mir doch noch verschieden zu seyn schien, von9 dem allgemeinsten u wohl verdienten Beyfalle seiner Direction der schon von seiner Direction längst einstudirt gewesenen übrigen Opern. (Er dirigirt ungemein ruhig; u nimmt doch ungleich feurigere Tempi, als man sie unter Methfessel gewohnt war) – Jene Oper habe auch ich in Braunschweig vertheidigt, als – auch meinem Laien-Urtheile nach, – von hohem musicalischem Werthe. – Dennoch muß ich einräumen, daß das Ganze auch mich kaltließ; ungeachtet des so schauerlichen Sujets; u ich fand es, so gern ich sie gleich noch ein Mahl gehört hätte, doch natürlich, daß sie im Ganzen nicht viel Glück machte. –
Daß mein Schreiben vom 10ten, – einigen frischen Würstel beygelegt, – den 12t noch nicht in Ihren Händen war, beunruhigt mich etwas für die gut conservirte Ankunft der letzteren, in der noch etwas frühen Jahreszeit für derartige Reisende! – Sie sind hier abgegangen am 10t Nachmittags 3 Uhr, u fest(???) zweyfells schrieben Sie also10 Ihre mir kostbaren(???) u interessanten Mittheilungen am 10t in derselben Stunde, als auch ich Ihnen von Braunschweig pp referirte! – was mir ein sehr angenehmer Gedanke war! –
Ihre weitere Nachricht über die Aufführung des „Lob-Gesang“ und ein etwa 2tes Concert oder doch vielleicht verlängerten dortigen Aufenthalt des Liszt, so wie dessen weitere etwaige Reise-Route, werde ich sorglich dankbar verehren u nach Thunlichkeit benutzen! –
Meine Ihnen beyderseitig sich auf das herzlichste empfehlende Frau ist im Ganzen jetzt recht wohl; u sehr würde es mich freuen, wenn es mir gelänge auch sie ein Mahl auf die Räder(???) zu bringen, um die herrlichen dortigen Kunstgenüsse mit zu theilen! – oder selbst auch mir vorweg zu fischen! –
Mit Herz u Mund unwandelbar

Ihr so dankbarer als warmer Verehrer
CFLueder.



Dieser Brief ist die Antwort auf die derzeit verschollenen Briefe Spohr an Lueder 10. und 12.11.1841. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lueder an Spohr, 25.11.1841.

[1] „Avis, it. Kfspr. Aviso, Bericht, Nachricht“ (Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörterbuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter, entstellenden fremden Ausdrücke zu deren Verstehen und Vermeiden, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 53).

[2] Abk. f. „per expressum“ (lat.) = hier „durch Eilboten“.

[3] C.A.C. Lueder.

[4] „in eventum“ (lat.) = „für den Fall“.

[5] Irdisches und Göttliches im Menschenleben.

[6] Carl Wilhelm Lueder.

[7] „als“ über der Zeile eingefügt.

[8] Hier am Wortende gestrichen: „e“.

[9] Hier ein Wort gestrichen („seinen“?).

[10] „also“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (05.02.2021).