Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Berlin d. 13ten Sept. 1841.

Innig verehrter Herr und Freund!

Ein geistreicher mir sehr werther junger Freund, Doctor Moritz Carrière, welcher übermorgen von hier über Cassel nach Heidelberg reist um sich dort als philosophischer Privatdocent zu habilitiren, will diesen Brief mitnehmen und hofft Ihnen denselben persönlich überreichen zu können. Fast möchte ich ihn um die Freude Sie zu sehn und zu sprechen beneiden, wenn ich nicht insgeheim die Hoffnung nährte: die immer mehr überhand nehmende Eisenbahnverbindungen würden mich doch wohl bald einmal, vielleicht unverhofft, in Ihre Nähe oder Sie nach Berlin führen und ich so meinen schon so lange sehnlich gehegten Wunsch – Sie wiederzusehen – noch erfüllt sehen. Die freundlichen Zeilen mit denen Sie meine Zuschrift so bald zu erwidern so gütig waren, haben diese Sehnsucht nicht vermindert, ich hege aber dagegen die Besorgniß: die Compositionen die ich Ihnen übersandt, möchten Ihrem hohen und feinen Kunstgeschmacke wenig zusagen und Sie sich in der Erwartung die Sie vielleicht darvon gehegt, getäuscht gefunden haben. Wollten Sie mir nun bei Gelegenheit die Wohlthat erzeigen mir hierüber einige Worte zu sagen, so würde die Freude die es mir macht etwas über meine Musik von Ihnen zu lesen mir jeden Tadel auf den ich gefaßt bin, versößen. – Ich weiß es, daß die Sonaten Längen haben, daß Manches namentlich in der in C# zu gewöhnlich ist und zu sehr nach Mozart schmeckt etc. etc. und doch habe ich sie nicht ganz verwerfen können. Öffnen Sie mir, verehrtester Freund, die Augen darüber ganzlich. Wahrheit ist immer die höchste Wohlthat die dem ehrlichen Künstler erzeigt werden kann und ich war ja eigentlich nie vorherrschend für Instrumentalcomposition bestimmt, da es mich viel mehr zur Gesangcomposition hinzog.
Daß Ihnen in Ihrer Frau Gemahlin ein so schönes Talent zur Seite steht hat mich recht im Grund der Seele erfreut. Möchte sie geneigt seyn mir die aufrichtige Verehrung u. Muthwillen(???) mit der ich Ihnen zugethan bin, zu vergeben: daß ich ihr die Langeweile meine Sonate zu spielen ja müssen zugezogen habe.
Auch über die kleine Gesangcomposition würde mich ein Wort von Ihnen erfreun. Vielleicht sagt diese Ihnen besser zu.
Ueber Babylons Fall habe ich so viel ruhmvolles und Schönes gelesen, daß ich nur bedaur, daß Sie dieses Werk der Welt sogleich wieder entziehen wollen, nachdem man es kaum in Cassel gehört hat.1 Für uns in unsern Babylon hier ist es aber gleichgültig, denn ich würde noch nicht einmal Ihre „letzten Dinge“ kennen wenn ich sie nicht in Düsseldorf unter Ihrer Leitung gehört hätte.
Die beiden Gesangschüler von mir, die ich so frei gewesen war Ihnen zu empfelen2, sind vorerst beide angestellt. Der Bassist Deichmann beim Rostocker Stadttheater, Fräulein Harting aber geht mit dem neuen Theaterdirector Herrn Genée nach Danzig.
Nochmals Ihnen meinen herzlichsten Dank für Ihre so baldige Gewährung meiner Bitte sagend und mich unbekannterweise Ihre verehrte Frau Gemahlin empfehlend mit aller Liebe und einiger Hochachtung
Ihr

treu ergebenster Freund
und Diener
Lecerf.
Adr: Adlerstraße
6.

Autor(en): Lecerf, Justus Amadeus
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Carriere, Moriz
Deichmann, Friedrich Wilhelm
Genée, Friedrich
Harting, Julie
Spohr, Marianne
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Der Fall Babylons
Spohr, Louis : Die letzten Dinge
Erwähnte Orte: Berlin
Heidelberg
Kassel
Erwähnte Institutionen: Stadttheater <Danzig>
Stadttheater <Rostock>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1841091344

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lecerf an Spohr, 17.03.1841.

[1] Die erwähnte Aufführung war ein von Spohr ausbedungener Probelauf für das vom Norwich and Norfolk Triennal Festival beauftragten Oratoriums (vgl. Spohr an Edward Taylor, 13.04.1841).

[2] Sic!

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (07.12.2022).