Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Sr. Wohlgeb.
dem Doctor und Hofcapellmeister
Herrn L. Spohr
in
Cassel
frei.1
Oberstadt, d. 5ten Sept 1841.
Hochgeehrter Herr Capellmeister!
Kaum weiß ich Worte zu finden, die hinreichend wären das Gefühl meiner Dankbarkeit auszudrücken für die große Theilnahme und Güte, mit der Sie, geehrtester Herr Kapellmeister mir so viel Zeit opfern, mein Bestes zu befördern. Nur muß ich einerseits bedauern, wenn es mir vielleicht der augenblickliche Stand meiner Verhältnisse und meiner Gesundheit wohl nicht ganz unmöglich, doch sehr schwer macht, nach Ihrer gütigen Ansicht zu handeln; wobei ich jedoch erwähne, daß, wenn vielleicht aus der Nichterfüllung Ihres wohlgemeinten Rathes eine Unannehmlichkeit für Sie, geehrtester Herr Capellmeister entstehen könnte, ich bereit bin alles, und wenn es mein ganzes Vermögen kostete zu opfern, um dieses zu vermeiden und Sie, jeder etwaigen Verlegenheit zu entziehen. – Ich hatte in Prag außer H. Kleinwächter nur noch einen einzigen wahren und vertrauen Freund2, da mir die Zeit welche ich für mich hatte, nützlicher zum Studiren war, als viele Gesellschaften zu suchen. Dieser Freund aber ist nach Paris, und ich habe daher nun wirklich keinen Menschen, dem ich meine Angelegeheiten in Prag auszumachen übergeben könnte3. Mein ganzes musikalische Erbtheil von meinem Onkel4 an 3 Centner Musikalien, ein Forte-Piano, Violinen, Kleider und Wäsche befindet sich in den Händen des Direktors5 und seiner Nichte, die gewiß beide nichts unversucht lassen würden etwaige Anschläge meine Flucht zu erschweren und zu rächen, so wie ich auch das auf der dortigen Bank angelegte Geld nur selbst erheben kann.
Gern nun würde ich sogleich abreisen, um zu suchen wie die Sachen stehen, allein noch ist der Direktor in Wien und meine Cur für meine Gesundheit die derselben für die Zukunft um so mehr bedarf, noch nicht vollendet, doch würde ich das weniger berücksichtigen, wenn mich nicht das Mitleid, einen Mann durch einen entscheidenen Schritt, der freilich für mich auch Nachtheiliges haben könnte, in das Unglück zu stürzen, abhielte. Gehe ich jetzt weg, was er freilich sehr hindern kann, da er die ganze Polizei zu Freunden hat, so ist er gänzlich geschlagen und vielleicht bräche das ganze Werk zusammen. Ich bin in Prag ziemlich bekannt, und durch Ihre gütigen Empfehlungen an Kleinwächters, welche bald in der ganzen Stadt gezeigt wurde, so wie durch mein Streben etwas zu leisten und durch mein Betragen, welches dort sehr berücksichtigt wird, habe ich einen ziemlich soliden Ruf erhalten. Dieß alles würde bei meinem plötzlichen Abgange ein sehr schlechter Licht auf H. K. werfen und er dadurch einen großen Theil des publiken Zutrauens verlieren. Der erste Gesanglehrer6 gieng heimlich weg, wurde aber auf die Anzeige des K. per Schupp7 nach Prag zurückgebracht, und dann von K. als geistes zerrüttet erklärt, entlassen. Ferner hat K alle Redakteure der ersten Blätter in Wien zu Freunden und würde keinen Anstand nehmen mich tüchtig zu plamiren, wenn ich mich denn dann denn auch rechtferigen wollte, was vielleicht gar nicht angenommen würde. Würde sich die Sache so lange verzeiehen bis ich in Prag selbst bin, so könnte ich dann wenigstens als ehrlicher und solider Mann handeln, denn wenn auch K. an mir schlecht und nachläßig handelte, so mag ich dieß nicht auf gleiche Weise oder ärger vergelten, schon deshalb nicht, daß Sie, geehrtester Herr Kapellmeister mich selbst als einen zuverläissgen Mann an Kleinwächters empfohlen. Glauben Sie aber nicht, daß ich etwas eigensinnig auf meinen Ansichten beharre, denn wenn ich auch wirklich bald oder spät nach Antwerpen gienge, so wäre meine Gegenwart doch wegen des Meinigen in P. nöthig. Wie die Böhmen einander unterstüzen, besonders wenn es gälte einen Ausländer zu chikaniren, davon kann man sich nur selbst überzeugen, denn ich habe zu viele Erfahrungen der Art gemacht, um nicht in diesem Falle dasselbe befürchten zu müssen. Heute schreibe ich nun einen ordentlichen Brief an den Direktor nach Wien, geht das Engagement in A.8 verloren, und der Direktor fügt sich nicht in meine Bedingungen, oder schlichtet nicht auf rechtliche Weise, so kann ich im schlimmsten Falle ein halbes Jahr bei meinen Elterm sein und meine Gesundheit conserviren, oder ich gehe noch einmal nach Cassel und studire in Ihrer Nähe noch einmal Ihre classischen Compositionen, da ich jetzt mehr Mechanik und Auffassung habe als sonst, wenigstens wäre dieß ein großer Genuß, und Gott wird dann schon Rath schaffen. In 10 Tagen hoffe ich Antwort von K. zu haben, könnte mein Brief an Herrn Rymenans so lange noch liegen bleiben, so wäre es gut, da ich doch dann vielleicht schon bestimmter antworten könnte, so aber stehe ich zwischen Thür und Angel. Was das Französisch anbelangt, so habe ich bedeutende Vorkenntnisse und würde mir bald zu helfen wissen, im Falle ich nach A. käme, nur wird mir von einigen Aerzten in Beziehung des Klima’s nicht vortheilhaft gerathen, doch gälte dieß einen Versuch. Noch einmal Herr Capellmeister bitte ich nun Ihre gütige Nachsicht, daß ich Ihnen mit meinen Angelegenheiten so beschwerlich falle, könnte ich doch irgend einen Beweiß meiner Dankbarkeit geben, ich würde mich glücklich schätzen! – Ich ersuche doch höchstlichst, meinen Brief noch 10 oder 12 Tage liegen zu lassen, bis dahin habe ich jedenfalls doch Nachricht von K. –
Mit vollkommenster Hochachtung empfehle ich mich Ihrem gütigen Wohlwollen und bin
Ihr
dankbarster Schüler
W. Happ.
Autor(en): | Happ, Wilhelm |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Bärwolf, Johann Christian Wilhelm Kinderfreund (Nichte von Carl Joseph Kinderfreund) Kinderfreund, Carl Joseph Kleinwächter, Louis Rymenans, Eugène Volkmann, Robert |
Erwähnte Kompositionen: | |
Erwähnte Orte: | Antwerpen Prag Wien |
Erwähnte Institutionen: | Musikinstitut Kinderfreund <Prag> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1841090540 |
Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Happ an Spohr, 26.08.1841. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Happ an Spohr, 20.09.1841.
[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „MEININGEN / 8 SEPT 1841“, auf der Rückseite des gefalteten Briefumschlags der Stempel „10SEP1841“.
[2] Noch nicht ermittelt (vgl. Vorbrief, Anm. 1).
[3] Sic!
[4] Wilhelm Bärwolf.
[5] Carl Joseph Kinderfreund.
[6] Robert Volkmann.
[7] „Der Schupp, -es, Mz. -e, ein heftiger Schub, eine heftige Bewegung, welche man einem Körper mittheilet, und welche zugleich ein Schieben und Stoßen ist“ (Joachim Heinrich Campe, Wörterbuch der Deutschen Sprache, Bd. 4, Braunschweig 1810, S. 296).
[8] Antwerpen.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.02.2022).