Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. Wohlgeb.
dem Direktor und Hofcapellmeister
Herrn L. Spohr
in
Cassel

franco.


Oberstadt, d. 26 August 1841.

Hochgeehrtester Herr Capellmeister!

Schon glaubte ich mich von Ihnen vergessen und verlassen, als mir Ihr geehrtes Schreiben vom 24ten d. Monats einen neuen Beweiß Ihrer allzugroßen Güte giebt und mich zum unaussprechlichen Dank für Ihre väterlichen Gesinnungen verpflichtet.
Lange konnte ich mir Ihr Schweigen nicht erklären und wußte nicht, ob eigene Verschuldung oder Abhaltung Ihrer Seits die Ursache waren. Mein einziger Trost war, daß auch Herr Kleinwächter sen. beinahe ein Jahr vergeblich Antwort von Ihnen erwartete. Doch eben lößt sich das Räthsel, denn ein Freund1 von mir der nach Paris gieng, und welchem ich einen Brief an Sie, geehrtester Herr Capellmeister mitgab, schrieb mir jetzt, daß er seine Tour über Cassel geändert und von Nürnberg aus den Brief nicht auf die Post gegeben habe. Ich bin jetzt bei meinen Eltern welche auf dem Lande leben (bei Meiningen zu Besuch) um meine geschwächte Gesundheit wieder etwas zu restauriren, indem ich durch allzugroße Anstrengung bei unsrer letzten Sommerprüfung einen starken Bluthusten bekam, der leider dreimal repitirt. Im Institut gieng es höchst merkwürdig zu und aus einem Briefe meines Collegen sehe ich, daß es jetzt noch merkwürdiger zugeht. Der Fürst2 legte das Protectorat ab, und es läßt sich leicht denken daß dem damit verbundenen Beitrag von 1000 fl. auch zugleich eine neue Geldsorge für den Direktor3 sind. Es war also beschlossen das Institut mit dem 1 Juni aufzulösen und nach Pesth zu gehen. Es wurden Erkundigungen eingezogen die sehr zweideutig ausfielen. Demohngeachtet wurden alle Anstalten zur nahen Abreise getroffen; Tischler und Schlosser waren schon im Institut mit Einpacken und Ausbessern der nöthigen Kisten beschäftigt. Eines Morgens kam ich zum Direktor, finde ihn ungewöhnlich heiter, wie er immer ist wenn er Pläne und Luftschlösser baut, und höre zum Erstaunen, daß wir in Prag bleiben und es das Institut ohne Protector führen will, und so gieng es nun fort bis jetzt. Der Direktor ist schon seit dem 20 Juni in Wien, wollte 14 Tage ausbleiben, ich höre aber so eben, daß er noch nicht zu Hause ist. Kein Professor bekam bis jetzt seine Gage, ich habe 70 fl., einer 50 fl., ein dritter 60 pp zu fordern, aber kein Kreuzter ist zu bekommen, trotz meiner sehr ernstlichen Forderung. Ich habe mich durch Privatstunden und das Schulgeld meiner Schüler immer gut gestanden, so daß ich doch manchen Monat 50 fl. baare Einnahmen habe. Allein dieß ist nie gewiß, da obendrein im Institut unter den Schülern in der Zahlung gar nicht auf Ordnung gesehen wird, und ein Schüler kömmt und wegbleibt wann es ihm beliebt, was eben auch den Unterricht so erschwert, daß man dann bei der Prüfung sich so übernatürlich anstrengen muß, um die prahlerischen Forderungen des Direktors zu befriedigen und zum Danke nichts als solche Folgen, wie ich genießt. Daß es mir daher sehr angenehm wäre, meine Stellung mit einer anderen zu vertauschen, wo ich des geisttötenden Unterrichts überhoben wäre, und für die Kunst arbeiten und leben könnte, ist sehr einleuchtend. Ich würde daher keine Bedenken tragen auf das beiligende Engagement, welches mir Ihre große Güte, geehrtester Herr Capellmeister, zuwieß, einzugehen, wenn die Entscheidung nicht so plötzlich sein müßte. Ich kann aber, da der Direktor selbst noch nicht in Prag ist, jetzt nicht hinreisen um eine Resolution4 zu erhalten. Es hat den Schein daß das Institut ohnmöglich noch lange so fortbestehen kann, denn obgleich jetzt der Direktor in Wien Geld sammelt, so ist dieß doch nicht hinreichend, die Anstalt zu erhalten, und welche erbämliche Existens bietet eine solche Bettelei. Ich würde in keinem Falle länger als noch 2 Jahre dableiben, um mir allenfalls noch etwas zu sparen. Meine Pläne hatte ich so gemacht. Ich habe mir bis jetzt 900 fl. zurückgelegt und will mir in 2 Jahren noch eben so viel sparen. Habe ich dann Gelegenheit einen festen Platz an der Spitze eines Orchester zu bekommen, so würde ich denselben annehmen; wo nicht, so dachte ich mit diesem Geld eine Reise nach Italien zu noch fernerer Ausbildung zu machen und dann auf die eine oder die andre Weise in der Welt durchzu kommen. Mich in ein kleines Nest wie Meiningen zu setzen und da zu versauern, wäre mein Unglück und wie ich noch so commod leben könnte. Denn da liegt jetzt alles5 prage6. Es fällt weder Grund noch Nohr ein, ein Instrument anzurühren, oder zu componiren, es ist weder eine Orchesterprobe noch ein Quartett zusammen zu bringen, kurz diese Menschen tagelöhnen mit der Musik um nur zu essen und zu trinken. Ich sehne mich nach einem Wirkungskreis wo ich schaffen kann, denn ich lebe nur in und von Musik, besonders also mögte ich mit der Zeit ein Orchester leiten, wo ich nun unbeschränkt Ihre herrlichen Compositionen studiren und die Menschen dafür empfänglich machen könnte. Darnach trage ich Sehnsucht, denn ich bin nun einmal nur für diese Musik geschaffen, und lasse mich nicht abschrecken von den Schwierigkeiten, die die Leute daran zu finden glauben, weil sie zu wenig Geist haben, einen göttlichen Funken aufzufangen.
Es ist höchst zudringlich und unbescheiden von mir, geehrtester Herr Capellmeister, daß ich Sie so mit meinen Plänen und Ideen langweile; aber Sie sind in7 der ganzen Welt als ein so edler und großer Mann geachtet, und wer hätte größerr Beweiße als ich?, daß ich mich gedrungen fühle in allem Ihren Rath zu befolgen. – Ich habe daher einen Brief an den Mann in Antwerpen beigelegt, in welchem ich ausdrücke, daß ich geneigt bin auf die Stelle zu reflectiren, wenn ich nemlich mit dem Direktor auseinander komme, worüber ich jedoch erst in 6-8 Wochen bestimmt antworten könnte. Nur deßwegen erlaube ich mir die Freiheit, Sie geehrtester Herr Capellmeister zu belästigen8, weil Ihre Meinung hierbei entscheiden kann, ob es bei diesen Umständen überflüßig ist, den Brief abzuschicken oder nicht, denn er kann unfrancirt gehen oder ich trage das Porto. Vor dem 22 Sept reise ich schwerlich wieder nach Prag, weil jetzt Ferien und keine Schüler und kein Direktor gegenwärtig sind. Sollten mich der Herr Capellmeister einmal mit einigen Zeilen erfreuen, welche Ihre Meinung über meine Pläne aussprechen, so bitte ich ebenfalls den Brief unfrancirt an mich in Oberstadt bei Themar zu addressiren, da ich ihn sicherer erhalten. – In Prag hat mich das aber so sehr niedergeschlagen, daß ich nie große Concerte von Ihnen mit Orchestern aufführen konnte, weil wir kein complettes Orchester haben, doch sei es nun, mit der Zeit pflückt man Rosen. Ich überlasse daher ganzu Ihrem Gutdünken, was Sie beschließen, doch glaube ich kann es nicht schaden, wenn der Mann auf diese Weise mit mir bekannt wird. Nehmen Sie geehrtester Herr Capellmeister nochmals meinen innigsten Dank, den ich bei jeder Gelegenheit auszusprechen nicht unterlasse, und schenken Sie ferner Ihr gütiges Wohlwollen

Ihrem
dankbaren Schüler
W. Happ

Autor(en): Happ, Wilhelm
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Grund, Eduard
Kinderfreund, Carl Joseph
Kleinwächter, Ignaz
Nohr, Friedrich
Rohan, Camille
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Meiningen
Pest
Prag
Wien
Erwähnte Institutionen: Musikinstitut Kinderfreund <Prag>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1841082640

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Johann Adam Happ, 24.08.1841. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Wilhelm Happ an Spohr, 05.09.1841.

[1] Noch nicht ermittelt.

[2] Camille Rohan.

[3] Carl Joseph Kinderfreund.

[4] Hier gestrichen: „auszumachen“.

[5] Hier gestrichen: „Prag“.

[6] Sic!

[7] „in“ über der Zeile eingefügt.

[8] „zu belästigen“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.02.2022).