Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 1.2 <18410614>
Druck: Hans Jürgen Seyfried, Adolph Friedrich Hesse als Orgelvirtuose und Orgelkomponist (= Forschungsbeiträge zur Musikwissenschaft 27), Regensburg 1965, S. 27f. (teilweise)
Beleg: Autographen. Historische Autographen, literarische Autographen, Musiker, Schauspieler und bildende Künstler, Stammbücher. Versteigerung am 20., 21. und 22. Oktober 1926 (= Katalog Liepmannssohn 48), Berlin 1926, S. 174f.

Sr. Wohlgeboren
dem
Herrn Dr. Louis Spohr
Kurfürstlicher Hof-Kapellmeister
Ritter etc.
in
Cassel
 
franco0
 
 
Breslau d. 14. Juny 1841
 
Hochgeehrtester Freund und Gönner!
 
Meinen ergebensten Dank für Ihre lieben Zeilen und vor allen Dingen meinen herzlichsten Glückwunsch zu so vielen neuen Schöpfungen und namentlich zum neuen Oratorium.1.Sie sind ein glücklicher Tonkünstler unter Tausenden auserwählt. Mit welcher Behaglichkeit können Sie1a auf Ihre ruhmvolle Künstlerlausbahn zurückblicken. Wem wird das seltene Glück wohl zu Theil Begründer einer neuen Periode in der Komposiition wie in der Virtuosität zu1b sein? Ach könnte ich bei Ihnen sein, und Ihnen dies, mein Freund und Gönner, alles mündlich versichern und dabei mich Ihrer neuen Werke freuen. Was nützt mir hier Ihr Potpourri aus dem Alchymist? und wenn es von einem Ihrer besten Schüler gespielt würde, es ist immer nur schwache Kopie, man hört immer nur einen Geiger, aber keinen Komponisten spielen. Diesen Sommer werde ich Sie wohl nicht sehen können, da dringende Arbeiten im Felde der Orgel- und Choral-Musik mich hier festhalten, aber ein Wunsch drückt mir das Herz ab, nämlich der, zum nächsten Musikfest nach England mitzureisen; es ist, wie ich glaube erst 1842. Natürlich müßte dies auf eine, Sie nicht im Mindesten genirende Weise sein. Ich bin mit Absicht seit 1839 nicht mehr gereist, um dann tüchtig bei Kasse zu sein, wenn ich einmal eine große Reise unternehmen sollte. Vielleicht könnte ich auch als Orgelspieler dort Glück machen, da man mich als Komponist für dieses Instrument bereits kennt. Oder vielleicht wäre es gar möglich, daß1c noch ein Plätzchen für meine 5te Sinfonie offen wäre? Doch dies sind alles fromme Wünsche, und ich will Sie mit Bitten der Art, im Falle Ihnen Schwierigkeiten dadurch erwachsen, nicht behelligen. Die Hauptsache wäre, Zeuge Ihres Ruhmes zu sein, und Ihre dabei aufzuführenden Werke unter Ihrer Leitung mit solchen Mitteln zu hören.
Nehmen Sie diese ausgesprochenen Wünsche aber ja nicht übel, was mich dazu ermuthigte war, daß Ihr Schüler Landowsky auch mit in Norwich war2 , sonst hätte ich nicht die Courage gehabt, Ihnen diese Bitte vorzutragen.
Ihre Jessonda ist kürzlich sehr oft hier gegeben worden.
Auf die Vorstellung unseres Magistrats an den König wegen der Konstitution, kam ein sehr ungnädiger Brief des Minister von Rochow, welcher meinte, der König habe die Bitte sehr ungnädig aufgenommen, und verbäte sich bei seiner Anwesenheit in Breslau jede Feyerlichkeit.3 Der Präsident v. Merckel ermahnte den Magistrat, sein Versehen wieder gut zu machen, worauf letzterer abermals an den König schrieb: „es thäte ihm (dem Magistrat) leid, daß der König eine solche Bitte ungnädig aufgenommen hätte, er könne aber seine Verwunderung darüber nicht verbergen besonders da der Hochselige König dem Lande dies versprochen hätte. Der Magistrat wäre das Organ des Volkes, und hielte es sonach für seine Pflicht, die Wünsche des — Volkes vorzutragen.” Des Königs Befehl aber wegen Verbittung aller Feierlichkeiten würde man pünktlich nachkommen. Wie man munkelt soll die Wirkung des Schreibens keine ungünstige gewesen sein, und der König selbst gar nicht die Gesinnungen haben, wie sie von dem Minister geschildert werden. Zu Ihrer Reise in die Schweiz4 wünsche ich Ihnen viel Vergnügen, wenn es Ihnen nicht zu beschwerlich ist, wage ich noch um ein paar Zeilen wegen meiner Ihnen vorgetragenen Bitte zu ersuchen. Empfehlen Sie mich hochachtungsvoll den lieben Ihrigen.
 
Hochachtungsvoll
Ihr ergebener Verehrer
Adolph Hesse



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Hesse, 09.06.1841. Spohr beantwortete diesen Brief am 06.08.1841.
 
[0] [Ergänzung 07.12.2021:] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „BRESLAU / 14 / 6 / 4-5“, links über dem Adressfeld befindet sich der Stempel „18 JUNY1841“.
 
[1] Der Fall Babylons.
 
[1a] [Ergänzung 07.12.2021:] Hier gestrichen: „nicht“.
 
[1b] [Ergänzung 07.12.2021:] „zu“ über der Zeile eingefügt.
 
[1c] [Ergänzung 07.12.2021:] „noch“ über drei gestrichenen Wörtern eingefügt.
 
[2] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag 5.09.1839 u. ff.
 
[3] Vgl. aus Sicht der preußischen Regierung Julius Killisch in: Reden seiner Majestät des Königs Friedrich Wilhelm des Vierten seit seiner Thronbesteigung, hrsg. v. Julius Killisch, Berlin 1843, S. 30f.; vgl. „Preußen”, in: Oesterreichischer Beobachter (1841), S. 635f.
 
[4] Vgl. vorigen Brief Spohrs.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (29.04.2015).