Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Prag d 13 April 1841

Hochgeehrtester Herr Capellmeister!

Wenn es auch unverschämt von mir ist, Sie geehrtester Herr Capellmeister schon wieder mit einem langen Briefe zu belästigen, so hoffe ich doch, daß Ihnen einige Mittheilungen der wichtigsten Ereigniße hier, die ich nach der Reihe aufzählen will, nicht uninteressant sein mögen. Es haben sich seit diesem Winter hier noch 3 Musikvereine gebildet, wovon der bedeutenste (die Sophienacademie1) 200 Mitglieder zählt und bereits mehrere Productionen gab, in welchem meist Oratorien und Gesänge von Bach, Händel, Tomaschek, so wie auch eine Symphonie des Letzteren gegeben wurde. Das Personal der Instrumentalisten besteht aus Dilettanten, Militärn u. Bierfiedlern, aber deswegen spricht man doch jetzt von nichts anderem und alle Blätter loben nichts anderes als diese Academie, deren Direktor2 einer der ersten Schufte ist und schon im Criminal saß. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, daß diese Anstalt gegen die Unsrige eben so freundlich als Cons’ero. ist. Der ganze Adel interessirt sich dafür und um uns bekümmert man sich natürlich nicht. Der 2te Verein bildet ebenfalls eine Gesellschaft von Künstlern, Dichtern, wobei musikalische und literarische Unterhaltungen stattfinden; der 3te Verein ist von einem jungen Manne, der gut Piano spielt und ersten Banquierhause als Kassier fungirt, im Lande mit mehreren Dilettanten und Sängern des Theaters ins Leben gesetzt worden und gab ebenfalls Produkctionen für ein abonnirtes Publikum. Der letzten wohnte ich bei, weil Ihr Oratorium „die letzten Dinge“ aufgeführt wurde mit Pianofortebegleitung, und dasselbe wird zum Schlusse dieser Saison wiederholt.3 Ole Bull gab hier 12 Concerte. Das Publikum war wahnsinnig, obgleich im ersten Concert lau. Ich besuchte ihn und stellte mich als Schüler von Ihnen vor. Er nahm mich sehr freundlich auf und begann bald von Ihnen zu sprechen. Noch sehr oft kam ich mit ihm zusammen, und lernte daher ihn näher kennen. Er ist so bescheiden, so herablassend gegen jeden, daß man glaubt es sey wirklich so, doch man komme nur näher, so wird man sehen, daß dieses angenommene Wesen Heuchelei, seine Bescheidenheit versteckte Arroganz und überhaupt seine Kriecherei Politik und Verschmitztheit ist. Das erfuhr ich, als er mir beim ersten Besuche sagte; „das bischen Talent was ich habe, kömmt den Menschen außerordentlich vor, und es ist nur Zufall daß ich solchen Ruf habe, daß man meine schlechten Compositionen eine Kritik werth hielt, schäte ich für ein unverdientes Glück, denn ich weiß, daß ich gar nichts kann.“ Acht Tage spätere meinte er, Molique componire wohl gut, könne aber ebenso wenig wie Lipinsky ein Adagio spielen, worüber ich freilich nicht urtheilen kann, da ich keinen von Beyden hörte. Als er aber meinte „Spohr hat keine Melodie“ da lachte ich ihm in’s Gesicht und sagte mit wahrer Arroganz, daß er wahrscheinlich Ihre Melodien nicht kenne. Ueber sein Spiel schweige ich da Sie ihn selbst hörten, nur kann er im Melodiespiel noch lange zu Ghys in die Schule gehen. Er spielte hier Ihre treffliche Gesangsscene. Ach, Herr Capellmeister diese Nothzüchtigung vergesse ich im Leben nicht, und doch applaudirten die Leute. Sein ewiges Hin- und Herstreichen wodurch er das schöne Adagio ganz zerstücktelte war nicht zum Anhören; aber das alles war noch nichts gegen die erste Passage des Allgro wo die Ocatven kommen, da konnte er gar nicht fort, greift so falsch und undeutlich, daß er beinahe sitzen blieb, ebenso in der Cadenz. – Am 15 März gab unser Institut ein Requiem zum Andenken des Kaiser Franz. Dadurch dachte nun der Direktor4 (mit dem ich jetzt wieder so ziemlich ausgesöhnt bin) alle Feinde zu schlagen, wurde aber selbst von dem Chordirigenten der Kirche geprügelt. Er hatte nemlich denselben ersuchen müssen den Chor aufzuschließen, gieng aber statt dessen zum Magistrat und dieser mußte dem Chordirigenten Maschek den Befehl ertheilen. Am Tage vor der Aufführung geht der Direktor selbst in die Kirche und sieht, daß alle, zum Chor gehörigen Instrumente, als Pauken, Bässe, etc nicht da sind. Er geht hierauf zu Maschek, trift aber kaum in dessen Zimmer, als ihm derselbe aus Neid wohl, 2 solche Schläge mit der Faust an den Kopf giebt, daß er Noth hat sich zurückzuziehen. Er verklagt nun den M., der natürlich Verweiß bekam. Jetzt aber sprach man in der ganzen Stadt: der Kinderfreund hat sich mit dem M. geprügelt, und man kann sich leicht das Aufsehen denken welches dies Gerücht erregte. Acht Tage später starb die Mutter des Fürsten, und dieser5 verlangte nun dasselbe Requiem. Jetzt aber hätten Sie sehen sollen, geehrter Herr Capellmeister, wie sich die Feindschaft überall Luft machte. Der Fürst hatte den Sänger Strakaty u Emminger vom Theater nehmen wollen, aber der Direktor sagte, „meine, nur meine Leute sollen wirken, ich lasse mich nicht zurücksetzen.“ Jene erfuhren dieß, und wären natürlich honorirt worden, jetzt begenete6 mir Strakaty und trug mir Grobheiten auf und er würde doch kommen und singen, denn die ganze Welt wüßte, daß das Requiem für den Kaiser schlecht gegangen wäre. Nun waren auch Skraup und Stöger verhetzt. Denn Ole Bull hatte Probe, und jetzt sollten die Cellisten, Trompeter und Bassisten keine Erlaubniß bekommen im Requiem zu wirken, so hatte der Direktor bis zur Aufführung zu laufen, daß der Fürst an Stöger Befehl gab, und eben als es angieng wollte sich noch eine Hofrathsfrau als Solosängerin aufdrängen, damit man doch hätte sagen können, daß nur durch fremde Mitwirkung das Requiem hätte gegeben werden können. Rittersberg7 spukt auf der Gasse vor dem Direktor aus. Es ist fast unglaublich wie weit die Feindseeligkeiten und Unterdrückung gegen uns gehen, und es war natürlich, daß es so kommen mußte, denn – – die Anstalt lößt sich auf. Staunen Sie nur Herr Cappelmeister, dahin hat es Neid und Cabale gebracht, daß der Fürst zurück tritt und das Protectorat eines Seminariums für das er arbeitet, annimmt, und an unserm Institut abgeht. Er hatte bedeutende Gelder gegeben, sonst hätte es nicht so lange stehen können. Mit dem 1 Juni soll es aufhören. Es ist hjetzt die Entscheidung noch beim Kaiser, dem es gemeldet werden mußte, weil er 300 fl. gab. Ich sah es voraus, denn wo keine Mittel sind, ist keine Ordnung, keine pünctliche Zahlung, keine Lust zur Arbeit bei diesen Feindseeligkeiten. Der Direktor zieht nach Pesth, und denkt wielleicht dort etwas zu machen. Was nur mit mir wird weiß ich noch nicht. Es ist schlimm daß Kleinwächter nicht mehr lebt, denn so wird mich der Direktor über den Löffel barbiren. Er will nämlich den Pianolehrer8 und mich mitnehmen, hat aber noch gar nicht gesagt unter welchen Bedingungen. Wien möchte ich gern sehen, und dann habe ich die Idee, einmal nach Constantinopel zu reisen, das ist das Einzige was mich bewegen könnte mit ihm zu gehen, denn ein karakteroser Mann ist er immer. Entschädigung würde er mir nicht geben, weil ich keinen gerichtlichen Contract mit ihm habe und mich nur auf seinen Engagements-Brief berufen kann. Der größte Theil meiner Gage war das Schulgeld meiner Schüler, dafür würde er mir wenn ich auch mitgehe, auch keinen Ersatz geben, denn er sucht nur seinen Vortheil, Will er mich jedoch prellen, so nehme ich meine Advocaten an. Vielleicht ist es sehr gut, daß ich mich hier nicht 4 Jahre als Lehrer zu quälen brauche. Den 10ten Mai ist die letzte Prüfung nach welcher ich meine Eltern zu besuchen dachte, doch bin ich nun noch unentschlossen und hebe die Reise wahrscheinlich auf. Am 2ten April fand mein Concert statt, von welchem ich so frei bin Ihnen beiliegendes Program zu überschicken. Der Potpourri und Ihre Ouverture in D9 [Nbs] sprachen ungemein an, und erhielten den stärksten Applaus.10 Ich mußte selbst subscribiren sonst wäre ich nicht auf die Kosten gekommen. Der Fürst gab 20, der Oberburggraf 1 fl. C.M. nach Abzug der Kosten blieben mir noch 35 fl. – Eben habe ich meinen Diusput mit H. Kinderfreund gehabt, da es mir aussieht, als will er uns prellen. Nemlich er hatte nach Pesth geschrieben um sich zu erkundigen, ob dort etwas zu errichten sey, doch ist eine ungünstige Nachricht angekommen und er sucht jetzt an jedem Lehrer etwas auszusetzen, um ihn los zu werden, und denkt jeden nun so wegzuschicken, wie man einen Dienstboten abfertigt; aber er soll sich doch irren, denn ich glaube, wenn man auf 4 Jahre engairt11, kann man nicht nach 2 Jahren verabschieden, um so mehr, da er auf der Poliezti die Anstalt traf, daß keine seine Entlassung bekomme, bis er nicht ein besiegeltes Zeugniß der Direction vorzeige, nicht einmal die Post ist anders zu bekommen. Und jetzt sieht er sogar die Contracte als nicht giltig an die er ausfertigen ließ, ist das nicht Betrug? Der Fürst sagte mir auch, immer kömmt wie dem Kinderfreund mit Hinterlist und denkt ich seh seine Schlingen die er mir legt nicht. Erst hat er gesagt „Durchl. brauchen keinen Kreuzer zu geben, und jetzt verlangt er ich soll Alles bestreiten. Dieß ist so das Direktors Art. Doch, geehrtester Herr Capellmeister verzeihen Sie, daß ich so weitläufit wurde, aber ich kann Ihnen nichts verschweigen. Mit der höchsten Hochachtung bin ich

Ihr
dankbarster Schüler
W. Happ.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Happ an Spohr, 24.01.1841. Spohr beantwortete diesen Brief am 24.08.1841 an Happs Vater Johann Adam Happ.

[1] Vgl. „Prag“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 43 (1841), Sp. 259-262 und 275-278, hier Sp. 275f.; S.K., „Prag den 27. Juni d. J.“, in: Allgemeine Wiener Musik-Zeitung (1841), S. 332; -nak., „Konzert spirituel der Sophienakademie am 18. März 1841“, in: Ost und West (1841), S. 180.

[2] Alois Jelen (in der Presse häufig Gelen).

[3] Vgl. „Letzte musikalische Abendunterhaltung den 12. Mai“, in: Ost und West(1841), S. 328.

[4] Carl Joseph Kinderfreund.

[5] Camille Rohan.

[6] Sic!

[7] Aus dem Zusammenhang ist nicht klar, ob hier Ludwig oder Johann von Rittersberg gemeint ist.

[8] Gustav Schreiber.

[9] Zu Die Prüfuhng.

[10] Vgl. „Prag“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 43 (1841), Sp. 334ff.

[11] Sic!

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.02.2022).