Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Verehrtester Herr Kapellmeister!

Mit wahrer Empörung habe ich den Brief des A. Schindler in der Neuen Zeitschrift f. Musik No 37. gelesen1, u mit großer Freude Ihre treffliche Abfertigung desselben in einer der folgenden Nummern.2 Glauben Sie ja nicht, daß des Mannes Stimme von irgend welcher Autorität in der Rheinprovinz sey:3 man war allgemein der Ansicht, er sey durch die kritischen Schaufeln von 1836. begraben u ignorirte ihn, er war so gut wie vergessen. Um so schlimmer für ihn, daß er beym letzten Pfingstfest die Wiedergeburt seiner anmaßenden Freyheit selbstgefällig gefeyert hat, und nun gar gegen Sie auftritt, u seine lächerlichen Beethovenschen Erbschafts-Pinseleyen wieder vorbringt! Er kömmt mir immer vor, als habe sich der Schindler ein4 altes Schreibpult auf der Beethovenschen Auktion erstanden u in die Schubladen seine eigenen Papiere gelegt: dann u wann zieht er so eine Schublade auf, liest ein Papierchen vor, u wer nicht glauben will, daß der Gedanke von Beeth. sey, den läßt er dran riechen! –
Wären seine Bemerkungen nichts weiter als dumm, so möchte es noch hingehen: aber sie sind zugleich hämisch u das verdient Züchtigung. Psychologisch ist mir übrigens die Art Courage die er hat, sich an einen Heros zu wagen, kaum erklärlich: es muß neben dem überschwenglichen Dünkel noch der Kitzel in ihm wirken, von sich reden zu machen; wie, gilt ihm gleich viel: der Spitz rafft sich aus dem Koth auf u sagt „schaut mich an, ich bin der berühmte Spitz, der der Löwe abgeschüttelt hat!“
Daß er mich u den Dr. Becher zwey „überspannt conversirende Dilettanten“ nennt, macht mir Spaß, noch mehr das sehr naive Geständniß, daß wir ihm „viel Ärger“ verursacht haben.5 Ich hatte ihn so gut vergessen, wie das übrige musikalische Publikum: jetzt aber, wo er Ihnen sogar den Takt vorschlagen will, wo er einen Meister, der selbst die großartigstens Werke derselben Gattung geschaffen hat, die richtige Auffang einer Sinfonie hämisch bekrittelt will, da hätte ich wohl Lust, ihm die bunte Harlekinsjacke, die er sich aus Beethovenschen Lappen zusammengeflickt hat, nochmals vollständig u gründlich vom Leibe zu streifen u ihn nackt u bloß in seiner Schindlerhaut hinzustellen.
Einstweile bin ich so frey Ihnen beifolgendes Gedichtchen6 zu überschicken. Wenn es Ihr Zwerchfell ein bischen erschüttert, so soll es mich herzlich freuen, wie ich Sie denn schießlich bitte, die Zeilen als ein Ergebnis der tiefen Verehrung für Sie und Ihre herrlichen Schöpfungen mit Wohlwollen aufzunehmen, mit welcher ich stets seyn werde
Ew. Wohlgeboren

ganz ergebener
Prof. LBischoff
Gymnasisaldirektor

Wesel d. 1. Jan. 1841.

Autor(en): Bischoff, Ludwig
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Becher, Alfred Julius
Schindler, Anton
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1841010144

Spohr



Spohr beantwortete diesen Brief am 07.01.1841.

[1] Anton Schindler, „An die Redaction“, in: Neue Zeitschrift für Musik 13 (1840), S. 146ff.

[2] Louis Spohr, „Das Schreiben des Hrn. Schindler“, in: ebd., S. 180; vgl. Spohr an Robert Schumann, 25.11.1840.

[3] Hier ein Wort gestrichen.

[4] Am Wortende gestrichen: „en“.

[5] Auch wenn Bischoffs Zitate dort so nicht vorkommen, bezieht sich dies wohl auf Anton Schindler, „A. Schindler, städtische Musik-Direktor in Aachen, contra Hrn. Prof. Bischoff in Wesel und Hrn. Dr. Becher in Köln in puncto Beethoven und Mendelssohn“, in: Kölnische Zeitung 13.07.1836, nicht paginiert. Diesen Artikel gingen voraus: „Preußen“, in: ebd. 27.05.1836, nicht paginiert; Friedrich Fischer, „Nothwendige Entgegnung“, in: ebd. 09.06.1836, nicht paginiert; A[lfred] J[ulius] Becher, „Ein Wort in Sachen Fischer u. Schindler contra Beethoven u. Mendelssohn“, in: ebd. 29.06.1836, nicht paginiert; L[udwig] Bischoff, „Ein Recitativ von Beethoven, und Herr A. Schindler, städtischer Musik-Director in Aachen“, in: ebd., nicht paginiert; „Nachtrag zu dem in Nr. 181 und 182 d. Bl. (vom 29. Juni) enthaltenen Aufsatz des Herrn Dr. jur. Becher: ,Ein Wort in Sachen Beethoven und Mendelssohn.’ u. Beethoven ’s Recitatif. (Partitur S. 111 u. 112)“, in: ebd. 03.07.1836, nicht paginiert. Es folgten noch A[nton] Schindler, „An den Herrn Dr. Becher in Köln und Herrn Professor Bischoff in Wesel. In puncto unsers musikalischen Streites“, in: ebd. 19.07.1836, nicht paginiert; A[lfred] J[ulius] Becher, „Abfertigung des Herrn Professors und Musik-Direktors A. Schindler in Aachen“, in: ebd. 07.08.1836, nicht paginiert und 28.08.1836, nicht paginiert.

[6] Liegt dem Brief bei.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (31.03.2022).