Autograf: The University of Manchester Library (GB-Mr), Sign. English MS 344/85

Professor Taylor
3 Regent Square
London.
 
franco
Rotterdam
 
 
Cassel den 29sten Dec.
1840.
 
Hochgeehrtester Herr und Freund,
 
Seit 8 Tagen habe ich die Partitur des Samson in Händen und weiß nicht, wie ich sie in die Ihrigen bringen soll. Herr Horsley ist nach Leipzig abgereiset und wird erst im Frühjahr nach England zurückkehren. Ein Herr Garrick der sich hier in der Nähe aufhält will auch noch nicht zurück. Mit einem von diesen könnte ich Ihnen daher die Partitur nicht früher als nach Ostern zuschicken; Ich frage daher an, ob Sie mir irgend eine andere Gelegenheit anzugeben wissen, oder ob ich das Paquet über Belgien mit der Post absenden soll? Die bedungenen 50 fl. C.M. für die Partitur nebst dem Postporto von Wien bis hieher habe ich ausgelegt und es hat daher1 mit deren Erstattung durchaus keine Eile. Vielleicht können Sie es mir durch Herrn Horsley, der Ostern noch einmal hieherkommt, um seine Schwester2 bey Frau von Malsburg abzuholen, zurückzahlen lassen.
Die, von Ihnen bezeichnete Stelle in der Partitur des Samson habe ich nachgesehn. In der Mosel’schen Bearbeitung ist es Micah, die die angeführten Worte zu singen hat.3 Ihr Rezitativ „Gewiß, der Freiheit Hoffnung winket uns” wird bey dem Worte „und” durch ein Zwischenspiel von 12 Takten, Presto [Nbs] unterbrochen; (was Herr von Mosel recht kräftig instrumentirt hat;) darauf folgen dan die angeführten Worte, (nach Mosels Übersetzung) „Ja! was hör ich! Schrecklich Geschrey! - das ist nicht Jubelton” und in diese schließt sich gleich der Chor der Philister „Hör mich, o Gott” mit denselben Orchesterfiguren begleitet, die das vorhergehende Zwischenspiel mittheilt. Aus diesem Grunde läßt sich auch im Zwischenspiel nicht gut etwas ändern. So viel, wie durch vermerkte Instrumentation geschehen kann, hat Herr von Mosel schon nachgeholfen. Ob es sich nun in der Originalpartitur von Händel eben so befindet, wie ich es oben beschrieben habe, weis ich nicht, da mir das Werk nur nach der Moselschen Bearbeitung bekannt ist.
Von Lübeck4 und Hamburg5 habe ich Nachricht, daß sich dort über das Todesjahr des Dr. J. Bull nichts auffinden läßt. Mein Correspondent in Hamburg macht mich aber aufmerksam, daß6 dasselbe in dem Tonkünstlerlexicon7 von Schilling angegeben sey und Lübeck als der Ort, wo er gestorben sey, bezeichnet8 wird. Woher Herr Hofrath Schilling diese Notizen hat und ob sie zuverlässig sind, werden Sie von ihm leicht erfragen können, da Sie mit ihm in Correspondenz stehen. Den Friedrichsd’or, den niemand in Lübeck und Hamburg verdienen konnte, habe ich nun für Ihre Rechnung für die Copie des 2ten Theils des Oratoriums verwandt. – Daß Ihnen dieser zweite Theil unseres Werkes in der musikalischen Auffassung gefallen hat, freut mich sehr; doch giebt der Clavierauszug (trotz der 4händigen Stellen,) nur ein schlechtes Bild der Orchesterparthie und erst mit dieser wird die Scene der schreibenden Hand und der Kriegsmarsch der Perser seine volle Wirkung machen.
Über die Aussprache des Wortes Belsazar erhob sich hier ein gelehrter Streit. Ich habe Bēlsăzār komponirt. Einige Sänger unseres Vereins waren aber der Meynung, es müsse9 Bĕlsāzăr heißen. Darauf wurde einem Profesor10 der orientalischen Sprachen in Göttingen, einem hiesigen gelehrten Rabbiner11 und dem Bibliothekar12 unserer Bibliothek die Sache zur Entscheidung vorgelegt. Alle drei entschieden sich aber für meine Ansicht. Da man jedoch im Englischen Bĕlsāzăr sagt, wie mir versichert wird, so werden Sie die beyden Stellen, wo dieser Name vorkommt, wohl in den Noten abändern müssen. Was das Vierhändige betrifft, so ist man in Deutschland daran gewöhnt. Für England kann man ja diese Stellen in zwei Hände zusammenziehen.
Schlüßlich noch unsere herzlichsten Glückwünsche zu der Verbindung Ihres Herrn Sohns13 mit dem liebenwürdigen Secretair14, so wie unsern Dank an diese für die hinzugefügten Zeilen. – Meine Frau hofft, recht bald einmal wieder mit einer Zuschrift von einer Ihrer Damen erfreut zu werden. Sie treibt das Englische mit großem Eifer fort; ich habe ihr deshalb Scheckspeares(?) sämtliche Werke zu Weihnachtsgeschenk gemacht. Leben Sie wohl. Ihr Louis Spohr.



Dieser Brief ist die Antwort auf Taylor an Spohr, 10.11.1840. Taylor beantwortete diesen Brief am 09.02.1841.
 
[1] „daher” über der Zeile eingefügt.
 
[2] Sophie Horsley.
 
[3] Vgl. Samson. Ein Oratorium aus dem Englischen des Milton zu Händel‘s Musik frei übersetzt, und in dieser die Instrumentalbesetzung vermehrt von J.F. Mosel, München 1838, S. 13.
 
[4] Noch nicht ermittelt.
 
[5] Vgl. Johann Friedrisch Schwencke an Spohr, 14.08.1840 [Ergänzung 30.08.2021: und Gottfried Herrmann an Spohr, 04.08.1840].
 
[6] Hier gestrichen: „des”.
 
[7] Gustav Schilling, Encyclopädie der gesammelten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst, Bd. 2, Stuttgart 1835, S. 45.
 
[8] „bezeichnet” über gestrichenem „angegeben” eingefügt.
 
[9] Hier ein unleserlich gestrichenes Wort.
 
[10] Vermutlich Rudolph Redepenning (vgl. Verzeichnis der Vorlseungen welche für den künftigen Sommer des Jahres 1840 auf der hiesigen Universität [...] angekündigt sind, Göttingen 1840, S. 14).
 
[11] Kurhessischer Landesrabbiner war zu dieser Zeit Philipp Romann; zu dieser Zeit nur als „Oberlehrer“ bezeichnet war Moses Büdinger (vgl. Kurfürstlich Hessisches Hof- und Staatshandbuch (1840), S. 387), der allerdings kommissarisch 1829-1836 der jüdischen Gemeinde in der Stadt Kassel auch als Rabbiner vorstand (vgl. Friedrich Holzgrabe, „Moses Büdinger (1784-1841), der erste Lehrer israelitischer Lehrer in Hessen“, in: Mitteilungen des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde 13 (1986), S. 2-10, hier S. 8), bis Romann nach Kassel kam (vgl. „Cassel, 3. Sept.“, in: Allgemeine Kirchenzeitung (1836), Sp. 1256).
 
[12] Carl Bernhardi (vgl. Kurfürstlich Hessisches Hof- und Staatshandbuch (1840), S. 369).
 
[13] John Edward Taylor.
 
[14] Meta Taylor.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.12.2018).