Autograf: Bodleian Library Oxford (GB-Ob), Sign. GB 12: 140
Druck: John Michael Cooper und R. Larry Todd, „'With True Esteem and Friendship'. The Correspondence of Felix Mendelssohn Bartholdy and Louis Spohr“, in: Journal of Musicological Research 29 (2010), S. 171-259, hier S. 240f.; englische Übersetzung S. 199f.
 

Sr. Wohlgeb.
dem Herrn Musikdirector
Dr. Felix Mendelssohn Bartholdy
in
Leipzig.


Cassel den 21sten Nov.
40.

Hochgeehrtester Herr und Freund,
  
Endlich hat gestern unser 1stes Abonnementsconcert, in welchem ich die historische Symphonie aufgeführt habe, stattgefunden und ich kann dieselbe nun sogleich mit erster fahrender Post an Herrn Härtel absenden.1 Obgleich ich weiß, daß Sie alles was Sie zur Aufführung bringen, vorher sorgfältig einüben, so will ich dieß Werk doch noch Ihrer besonderen Fürsorge empfehlen, denn ich habe durch die gestrige Aufführung und die vorangegangenen Proben die Überzeugung gewonnen, daß diese Symphonie im Scherzo und Finale sehr große Schwierigkeiten enthält und daß diese beyden Sätze auch mit dem geübtesten Orchester erst nach mehreren Proben zu genügender Klarheit gebracht werten können. So sorgfältig ich auch probirt hatte, so blieb in diesen beyden Sätzen noch mancherley zu wünschen übrig. Es würde mir interessant und belehrend seyn, wenn Sie2 die Güte hätten, mir Ihre Ansicht über die Aufgabe und Ausführung in diesem Werk mitzutheilen, sobald Sie es genauer haben kennen lernen. Obgleich es nun schon über ein Jahr alt ist, so bin ich doch noch nicht unbefangen genug, um es wie ein fremdes Werk zu hören und zu beurtheilen. Dazu kommt die neue Form, die ein Vergleichen mit frühern Sachen der Gattung noch erschwert. Aus England habe ich die wiedersprechensten Urtheile gehört, besonders über den letzten Satz. Aus den Berichten, die mir einige Künstler über die Aufführung im Philh. Concert gegeben haben, scheint mir aber hervorzugehen, daß das Werk nicht allein in den Tempi’s vergriffen3, sondern auch noch ziemlich roh executirt wurde.4 Schmart5 war der Director, der gewohnt ist, alles über’s Knie zu brechen!
Schlüßlich bitte ich noch, daß der vollständige Titel, wie er in der Partitur steht, auf dem Concertzettel abgedruckt werde.
Wir hatten hier sehr gehofft, daß Sie Ihre Rückreise aus England nach Leipzig über Cassel nehmen würden, sahen uns aber leider in dieser Hoffnung getäuscht. Um so mehr rechnen wir nun aber darauf, daß Sie uns nächsten Sommer einmal mit einem etwas längern Besuche erfreuen werden.
Mein Oratorium „Babylons Fall“ habe ich beendigt und werde davon übermorgen, am Cäcilientage eine kl. Aufführung am Pianoforte mit lauter Dilettanten veranstalten. Am Charfreitage denke ich dann eine große mit Orchester folgen zu lassen. – Was haben Sie Neues geschrieben? Werden Sie nicht bald Ihre Sinfonien veröffentlichen? Wir sehnen uns sehr darnach!
Herr Lenz, academischer Musikidirektor aus Breslau war eben bey mir[6} und erbot sich diesen Brief Ihnen zu überreichen, da er morgen seine Reise nach Leipzig fortsetzt. – Die herzlichsten Grüße von allen Ihren hiesigen Verehrern, namentlich von Hauptmann.
Mit wahrer Freundschaft stets

der Ihrige
Louis Spohr

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Mendelssohn Bartholdy, Felix
Erwähnte Personen: Hauptmann, Moritz
Lenz, Joseph
Smart, George
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Historische Sinfonie, op. 116
Erwähnte Orte: Kassel
London
Erwähnte Institutionen: Gewandhaus <Leipzig>
Hofkapelle <Kassel>
Philharmonic Society <London>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1840112111

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Mendelssohn, 01.11.1839. Bevor Mendelssohn diesen Brief am 08.01.1841 beantwortete, sandte Spohr am 25.12.1840 einen weitereren Brief an Mendelssohn.

[1] Der Begleitbrief dieser Notensendung ist derzeit verschollen.

[2] Hier ein Buchstabe gestrichen.

[3] Hier gestrichen: „war“.

[4] Vgl. „Spohr’s new symphony produced even less effect on Monday evening than on the occasion of its first trial. The fault lies, perhaps, rather with the design than with its execution […]“ („Philharmonic Society“, in: Musical World 13 (1840), S. 225ff., hier S. 225).

[5] Sic! (recte George Smart).

[6] -Vgl. Adolph Hesse an Spohr, 18.09.1840.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (26.06.2020).