Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Taylor, E.:17

3 Regent Square, London,
Nov. 10. 1840

Mein Hochgeehrter Freund,

Die Ankunft Ihres Pakets ward von mir freudig begrüßt und ich darf sagen, daß die Durchsicht der Partitur des zweiten Acts Ihres Oratoriums mir ein hohes Vergnügen gewährte. Ihr Schreiben (datirt vom 1sten October.) erhielt ich einige Tage früher, und da ich wünsche, Sie so früh als möglich von dem Empfangen des Pakets u. des Briefes zu benachrichtigen, so habe ich noch nicht die Zeit gehabt, mich einem genaueren u. aufmerksameren Studium Ihrer Partitur hinzugeben. Indeß selbst diese flüchtige Prüfung ist hinreichend, mich den großen u. erhabenen Character des Werks kennen zu lernen, so wie mich von der Richtigkeit des Urtheils Ihrer Frau Gemahlin zu überzeugen, daß beim Fortgange desselben es an Stärke und Interesse gewinnt. Dies, in der That, erwartete ich. Jedes große Kunstwerk, das sich durch ein fortschreiten charakterisirt, sei es Drama, Episches Gedicht oder Oratorium (welches letztere die Naturen der beiden ersteren in gewissen Grad vereinigen muß) sollte so wie es fortgeht, an Interesse zunehmen. Es ist der Fehler mancher Oratorien, daß das Interesse sich vermindert, eben weil die Musik in dem letzten Theile des Werks einen schwächeren Character annimmt. Jedoch hieran trägt der Text gar oft die Schuld, und sogar Händel war nicht immer fähig, die Schwäche oder Ungeschicklichkeit seines Gedichtes zu ersetzen. Es fiel mir stets auf, wie einer der größten Vortheile der Gedichte, die ich der Form des Oratorium anpaßte, darin besteht, das die größten u. auffallendsten Ereignisse in den zweiten Act fallen. Ich werde also jetzt in meiner demüthigen, obgleich eifrigen Pflicht fortfahren, und mich bemühen, Worte aufzufinden, die in Englischer Sprache den glühenden Character der Musik ausdrücken. Der erste Act ist beendigt. –
Ich bemerke, daß einige Piecen für vier Hände auf dem Pianoforte arrangirt sind. Werden Sie die deutsche Ausgabe auf diese Weise erscheinen lassen? Ich weiß sehr wohl, daß zwei Hände nicht hinreichend sind, um den überwiegenden Reichthum Ihrer Partitur Ausdruck zu geben, – aber wie soll es der Sänger machen, wenn er sich an’s Pianofort setzt, seinen Gesang einzustudiren; oder wie kann er dem Orchester folgen, wenn dessen Lauf auf zwei verschiedenen Seiten geschrieben steht? Ich wage, mit großer Achtung vor Ihrem Urtheile, Sie auf die Nothwendigkeit aufmerksam zu machen, die Begleitung, in zwei Linien zu vereinigen, da ich überzeugt bin, die Sänger in diesem Lande würden bei einer so abweichenden Weise des Arrangements außer Fassung gerathen.
Ich sage Ihnen meinen herzlichsten Dank für Ihre Mühe in Bezug Samsons, u. Sie werden dies Gefühl erhöhen, wenn Sie mir gütigst eine Abschrift desselben besorgen wollen, wofür ich entweder an Sie zahle oder an irgend eine Adresse des Musikhändlers. Sollte die Partitur durch Ihre Hände gehen, so würden Sie mich unendlich verpflichten, einen Blick auf die Symphonie zu machen, welche den Fall des Tempels beschreibt. Der Effect ist bei der Aufführung schwach, und realisirt durchaus nicht für die Phantasie den Ausruf Manoah’s – „Heavens what noise – horrible loud” – (Himmel! welche ein Geräusch – entsetzlich laut!) – Sie, lieber Freund, mögen nun bei der Durchsicht der Partitur finden, daß eben erwähnte Stelle der Verbesserung bedarf und wage ich nicht zu viel, so möchte ich Sie bitten, hinzuzufügen, was Ihnen recht däucht.
Ich freue mich zu hören, daß Madame Spohr den Milton1 mit Vergnügen lies‘t2. Je mehr sie seine Werke liest, desto mehr wird sie dieselben bewundern, u. je besser für seinen Character als Patient(???) und Staatsmann verstehen, desto tiefer wird sie ihn verehren.
Sie, lieber Freund, so wie Madame Spohr und Frau von Malsburg, werden sich mit uns freuen, da unser lieber Secretair3 jetzt ein Mitglied der Taylorschen Familie geworden ist. Es ist dies eine Begebenheit, reich an aufrichtiger Freude für uns alle. Ich werde nichts mehr darüber hinzufügen, da ich fürchte die Uebersetzrin möchte nicht gern alles ins wiedergeben, was mein Herz fühlt, und ich werde ihr daher überlassen, für sich selbst zu sprechen.
Wir alle senden die herzlichsten Grüße

Stets Ihr treuer Freund
Edw. Taylor


Obige Worte habe ich treu übersetzt, wie sie mein tief verehrter Freund, den ich jetzt mit Stolz „Vater” nenne, mir vorschrieb, und mit nicht geringer Bereitwilligkeit benutze ich die Erlaubniß, für mich selbst einige Worte hinzuzufügen, die keinen anderen Zweck haben, als den, mich ohne Secetairsrobe (obgleich ich dieses Gewand in hohem Werthe halte) Ihnen, geehrter Herr Doctor, vorzustellen, und mich Ihrer Theilnahme, so wie der Ihrer Frau Gemahlin u. der Frau v. Malsburg, zu empfehlen, deren Aller Freundschaft für meinen theuren Gatten, ihm, u. mag ich es gestehen, auch mir eine Quelle der reinsten Freude ist.

Meta Taylor.

Autor(en): Taylor, Edward
Taylor, Meta
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Malsburg, Caroline von der
Milton, John
Spohr, Marianne
Taylor, Meta
Erwähnte Kompositionen: Händel, Georg Friedrich : Samson
Spohr, Louis : Der Fall Babylons
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1840111034

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Taylor, 01.10.1840. Spohr beantwortete diesen Brief am 29.12.1840.

[1] Paradise Lost.

[2] Sic!

[3] Meta Taylor hatte bereits vor ihrer Heirat Edward Taylors Briefe an Spohr ins Deutsche übersetzt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.12.2018).