Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr Wohlgeboren
dem H. Kapellmeister
Herrn Louis Sphor1. ppp.
zu
Cassel

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Brieg in Schlesien
Am 22ten October 1840.

Hochverehrtester Herr Kapellmeister!

Ob gleich Ihnen gänzlich unbekannt, erlaube ich mir dennoch eine ganz ergebene Bitte. Seit zwei Jahren besteht an unserm Orte ein Gesangverein von 150 Mitgliedern, welcher sich unter meine Leitung gestellt hat. Mit diesem Verein führte ich voriges Jahr am allgemeinen Todenfeste Ihr Oratorium die letzten Dinge auf, die Aufführung geschah in der hiesigen ev. Hauptkirche, und unter Leitung des Kapellmeister Schnabel welcher die Instrumentalstimmen dazu hergab, und die er aber3 einem Gelübde zufolge in andre Hände nicht geben konnte. Die Aufführung gelang uns vortrefflich, und das Oratorium ist der Liebling unserer Stadt geworden. Vielfach darum angegangen, wünsche ich diese Musik zu dem diesjährigen Todtenfeste wieder aufzuführen. Uebrigens soll von jetzt an, wo möglich diese Aufführung alle Jahre an demselben Tage stattfinden. Es fehlen mir jedoch dazu die Instrumentalstimmen. Gern möchte ich diese eigen besitzen, und wage es daher Sie hochverehrtester Herr Kapellmeister hiermit ganz4 ergebenst zu bitten, „mir die Ihrigen zu der diesjährigen Aufführung vorzuleihen5 umnd geneigtest zu gestatten, daß ich mir dieselben copiren darf.“
Von Herrn Schnabel kann ich Sie nur unter der Bedingung erhalten, daß er6 während seiner Anwesenheit die Stimmen selbst während Probe und Aufführung beaufsichtigt. Es ist dies für mich in sofern ein sehr übler Umstand, als ich dann zu viel fremde Kräfte zu Hilfe nehmen muß, /da unsere hiesigen Instrumentisten zu einer solchen Musik wenigstens 8 Proben haben müsse,) für die allein oft die Einnahme nicht auslangt, da wir hier bis jetzt7 leider noch ein verhältnißmäßiges zu kleiner musikalisches Publikum haben. Seit meiner 7jährigen Amtirung hieselbst habe ich jährlich die Aufführung von Oratorien veranstaltet, als: Stadlers Befreiung von Jerusalem. 2mal Haydns Schöpfung, Grauns Tod jesu, Kunzens Halleluja, und Löwers Apostel, Schneiders Gideon (zu welchen mir der Komponist ebenfalls die Stimmen verlieh) Schneiders Gethsemane und Golgatha, und Ihre letzten Dinge, doch stets fand sich8 mehr oder weniger ein Minus bei der Einnahme. Dies hält mich jedoch nicht ab, rüstig fortzuarbeiten, da ich nur durch unermödlichen Fleiß das musikalische Intresse unters Ortsbewohner nach und nach zu erweitern hoffe. Und so habe ich auch im Laufe des Sommers Ihre letzten Dinge wieder so eingeübt, daß es nur noch einer tüchtigen Einübung des Orchesters bedarf, um eine gute Aufführung zu verbürgen.
Leider sind bis zur Aufführung nur noch wenige Wochen, und von Ihnen nur hängt es ab, ob ich die weitern Einleitungen werde treffen können.
Ist es Ihnen möglich, meine ganz ergebne Bitte zu gewähren, und mir mit nächster Post die besorgten Instrumentalstimmen (wo möglich auch die Partitur) auf kurze Zeit zu überlassen, so werden Sie nicht nur mir eine unendliche Freude bereiten, sondern auch meinem Vereine, der diese Musik mit unermüdlichen Eifer geübt hat.
Eine Recension der vorjährigen, und vielleicht9 diesjährigen Aufführung, schicke ich Ihnen alsdann zu, mit den zu retournirenden Stimmen.
Ihrer geneigten baldigen Antwort verharret hochachtungsvoll

Ihr
ergebener
Wilhelm Fischer
Cantor a/d ev. Haupt u. Pfarr-
Kirche ad S. Nicol. zu Brieg



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[1] Sic!

[2] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „BRIEG / 19 OCT.“.

[3] „aber“ über der Zeile eingefügt.

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[5] Ziwischen „vorzu“ und „leihen“ gestrichen: „zu“.

[6] Hier ein Wort gestrichen („nur“?).

[7] „jetzt“ über der Zeile eingefügt.

[8] „sich“ über der Zeile eingefügt.

[9] Hier gestrichen: „auch“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.07.2022).