Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Wohlgeborner Herr!
Hochgeehrtester Herr Kapellmeister!

Ew. Wohlgeboren stelle ich für die gütige Mittheilung, wegen der Umarbeitung des Operntextes meinen herzlichsten Dank ab. Hoffentlich werde ich wohl bald einen bessern Dichter zu Bearbeitung des Stoffes bekommen.
Zürnen Sie mir nicht, wenn ich es schon so bald wieder wage, Ihre Güte in Anspruch zu nehmen, u Ihnen die Entscheidung über meine künftigen Lebensverhältnisse in die Hände gebe. – Vor einiger Zeit erfuhr ich zuflällig von einem Freund in Aachen, daß die dortige Musikdirektor-Stelle vakant u recht bald wieder vergeben werden sollte. Da mein Freund, Gustav Schwenger, zum Comité des letzten Achener1 Musikfestes gehörte, u durch seine äußerlichen Verhältniße dort ziemlichen Einfluß ausüben kann, so ersuchte ich ihn, mich mit vorzuschlagen. Gestern erhielt ich seine Antwort, worauf mir die Hoffnung belibt, daß vielleicht mein Wunsch noch könnte realisirt werden. Der dortige Oberbürgermeister Emundts, mit welchem Schwenger gesprochen, hat ihm die Versicherung gegeben, daß bis jetzt die Stelle noch nicht vergeben, ja noch nicht mal ein Individuum dazu bestimmt2 designirt sei. Der Concertmeister Müller aus Braunschweig habe einen gewissen Veit aus Prag zum Vorschlag gebracht, über den man gegenwärtig nähere Erkundigungen einzöge. –
Schwenger mach mich darauf aufmerksam, daß ich unter diesen vorliegenden Verhältnissen mich Ew. Wohlgeboren anvertrauen und an Ihren gütigen Rath u Fürsprache ersuchen möchte u ein einziges Wort von Ihnen reiche hin, meinen Wunsch zu erreichen. – Ich fühle es, wie groß meine Bitte ist, da ich für Ew. Wohlgeboren nichts, da ich Ihnen doch in so mancher Beziehung fremd bin und Sie höchstwahrscheinlich großes Bedenken hegen, mich zu empfehlen. – Doch lassen Sie mich offen sprechen u sehen Sie um Gottes Willen meine Worte nicht3 als Prahlerei.
Wie ich das Glück hatte, vor 10 Jahren unter der Zahl Ihrer Schüler zu sein, freute es mich innig, daß Sie viel mit mir zufrieden waren. Wenn ich mich auch nicht unter die Zahl Ihrer vorzüglichsten Zöglinge rechnen konnte u je rechnen werde, so schinen Ihnen damals mein Fleiß u gesundes Talent einigermaßen für das Ersatz zu sein, was ein Genie mich leichter Mühe Ihnen gewährt. Ich habe bis jetzt nur die Vortheile Ihres gediegenen Unterrichts bei meinem Spiel zu erhalten gesucht u mich nie den heutigen Charlatanismus hingeben. Ihre treffliche Schule ist und wird meine Richtschnur bleiben. – Ja wie fern ich Orchesterkenntnisse besitze, liegt Ihnen am besten durch den Versuch meiner Kompositionen vor. Seit 15 Jahren habe ich viele Veranlaßung gehabt, Instrumental- und Vocal-Conzerte zu leiten u bin daher mit der classischen Compositionen ziemlich bekannt. Da nächst der Violine, Clavier mein Lieblings-Instrument geblieben, so bin ich ziemlich darauf geübt welches mir bei meinem zu ertheilden Privatunterricht (wo doch viel Clavier u Gesang gewählt werden) sehr gut zu statten kömme. Partiurlesen fällt mir leicht u habe einen ziemlichen Ueberblick. Ich glaube dennoch so ziemlich den Anforderungen des Achener Musik-Vereins entsprechen zu können. Es bleibt mir daß von meiner Seite noch eine bedeutende Fge zu lösen. Die Aachener beabsichtigen nemlich für die Sommermonate wahrscheinlich ein stehendes Theater zu gründen, von dem dem städtischen Musikdirektor auch die Direktion der Oper anvertraut werden soll. Wie wohl ich manches treffliche gesehen u gehört habe noch nicht viele Opern der ältern u neuern Zeit durch Clavier-Auszüge bekannt geworden bin, so fange ich doch hierbei an zu zagen. Hierin würde mir einstweilen die erforderliche Rutine4 abgehe, die doch nur durch Erfahrung und Uebung zu erreichen ist. Doch glaube ich durch fleißiges Studium der Partituren bald eine ziemliche Uebersicht zu erreichen. –
In meiner jetzigen Stellung lebe ich zwaren in mancher Beziehung sehr glücklich u bringen mir außer meinem Gehalt, welche ich vom Fürsten ziehe, meine Privatstunden so viel auf, daß ich anständig leben kann. Da aber letztere an kleinen Orten so spärlich bezahlt werden, so muß ich mich im Durchschnitt täglich mit 8-9 Stunden herumschlagen, wozu außerdem noch wöchentlich 2 musikalische Abendunterhaltungen auf dem Schloße mich in Anspruch nehmen. Welche Zeit mir da übrig bleibt für mich zu arbeiten, um in Komposition u Spiel fortzuschreiten, können Ew. Wohlgeboren selbst errathen. Dies macht mich mitunter traurig u erwacht um somehr in mir der lebhafte Wunsch, einen größeren Wirkungskreis gegen meine jetzige Stelle zu vertauschen. In Aachen würde ich 600 Rth Gehalt für die Leitung des Musik-Vereins u der Winter-Konzerte erhalten u sollte die Direktion der Oper noch hinzu kommen, dafür ein Gehalt von 400 Rth ausgesetzt werden. Der Privatunterricht wird mit 3 franc bis zum Thaler bezahlt. Welche Vortheile mir also eine solche Stellung gewähren würde, können Ew. Wohlgeboren leicht ersehen. Nachdem ich meine jetzigen Verhältnisse u die künftigen, welche mir wohl werden könnten, zur gütigen nähern Beleuchtung u Beherzigung Ew. Wohlgeboren hiemit ergebenst vorlege, hege ich zu dem Wohlwollen, welches Sie mir bis jetzt geschenkt haben, auch diesmal das feste Vertrauen, daß Ew. Wohlgeboren mich mit Rath u That hierbei unterstützen werden. Im Fall Ew. Wohlgeboren die Gewogenheit haben sollten, persönlich sich für mich zu verwenden, so würden Sie die Güte haben den Brief an den Aachener Oberbügermeister Emundts zu richten5, weil der vorläufig auf mich aufmerksam gemacht ist. Sollten Sie indeß Gründe haben, die persönliche Fürsprache zu meiden, dürfte ich den wohl gehorsamst bitten, mir ein Urtheil über meine Brauchbarkeit mit einigen Zeilen gütigst auszufertigen, welches ich selbst, im Fall es zu meinen Gunsten ausfallen sollte, nach Aachen senden könnte. Glauben übrigens Ew. Wohlgeboren, daß ich in meinen Leistungen zu schwach bin, um meinen gemachten Antrag verfolgen zu dürfen, so trete ich, Ihrem wohlmeinenden Rathe zu Folge zwar mit meinem Wunsch zurück. In der festen Hoffnung, daß Ew. Wohlgeboren mich recht bald mit einem Antwortschreiben beglücken werden, um zu sehen, wie die Sache für mich ausfallen könnte, nenne ich mich mit der vorzüglichsten Hochachtung

Ew. Wohlgeboren
gehorsamer Schüler
W. Attern

Rheda den 5ten October 1840.
bei Wiedenbrück.

Autor(en): Attern, Wilhelm
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Emundts, Edmund
Schwenger, Gustav
Erwähnte Kompositionen: Attern, Wilhelm : Oper
Erwähnte Orte: Aachen
Rheda
Erwähnte Institutionen: Niederrheinische Musikfeste <verschiedene Orte>
Städtisches Orchester <Aachen>
Theater <Aachen>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1840100540

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Attern.

[1] Sic!

[2] „bestimmt“ über der Zeile eingefügt.

[3] „nicht“ über der Zeile eingefügt.

[4] Sic!

[5] Ob Spohr an Edmund Emundts schrieb ist derzeit unbekannt, er bezog sich aber in seinem Brief an Johann Peter Pascal, 05.01.1841 auf diese Bewerbung.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (17.02.2022).