Autograf: New York Public Library (US-NYp), Sign. MNY (Spohr)
Druck : H[enry] E. K[rebiehl], „Founder of the Philharmonic. His Relations with Mendelssohn, Spohr and Hauptmann”, in: New York Daily Tribune 29.10.1905, S. 7 (englische Übersetzung)

An Herrn Musikdirector
Hill in Newjork


Cassel, den 9ten Sept.
1840

Hochgeehrtester Herr,

Ihr lieber Brief den ich im vorigen Herbst erhielt, hat mir große Freude gewährt, da ich aus ihm ersah, daß Sie glücklich zurückgekehrt sind, mit ihrem Aufenthalt in Deutschland1 zufrieden waren und unserer noch freundlich gedenken. Auch wir erinnern uns Ihrer mit freundschaftlichster Theilnahme und freuen uns, daß es Ihnen so wohl geht und Sie einen Theil davon Ihrem Aufenthalte in Cassel zuschreiben. Schon längst hätte ich Ihnen geantwortet, wenn ich nicht gewußt hätte, daß mir Gelegenheit werden würde, Ihnen durch meinen Schwiegersohn, den Fabrikant Zahn zu schreiben. Dieser hat nun wirklich das Vergnügen, Ihnen diesen Brief zu übergeben, indem er nach Newjork reiset um sich do[rt] zu etabliren. Er hatte hier eine Fabrik angelegt, fand aber trotz der Vorzüglichkeit seiner Fabrika[te] bey der allzugroßen Concurenz in Deutschland, nicht Absatz genug um bestehen zu können. Er hat nun seine Maschinen eingepakt, s[ein] kleines Vermögen zusammen gerafft und will sein Heil in Amerika versuchen. Glückt es ihm dort, was bey seiner Thätigkeit und Geschic[k]lichkeit zu hoffen ist, so wird ihm meine Tochter nächstes Jahr folgen. Es ist die älteste, die Sie oft werden haben singen hören. Diesen meinen Schwiegersohn Ihnen auf das angelegentlichste zu empfehlen, ist nun einer der Hauptzwecke dieses Briefs. Haben Sie die Güte ihn [in] die Bekanntschaft solcher Leute einzuführen, die ihm bey seinem Gesch[äft] förderlich seyn können und stehen S[ie] ihm überhaupt mit ihrem gütigen Rathe freundlich bey, denn es hängt von dem Gelingen seines Unternehmens nicht nur sein eigenes Glück, sondern auch das meiner Tochter und ihres liebenswürdigen Töchterchens2 ab. –
Wie Ihr Brief hier ankam, war ich eben von einer Reise nach England3 zurückgekehrt. Ich war einer Einladung gefolgt das Musikfest in Norwich zu dirigiren, wo mein Passionsoratorium „Des Heilands letzte Stunden” gegeben wurde. Auch spielte ich in einem der Abendconcerte noch einmal öffentlich und zwar mein neues Concertino „Sonst und jetzt” genannt, welches sowohl hier wie dort viel Glück gemacht hat. Da in den Londoner Zeitungen viel von dem Musikfest die Rede war4, so werden Sie wohl davon gelesen haben. Ich übernahm es, für das nächste Musikfest in Norwich ein neues Oratorium zu schreiben und werde nächstens damit fertig seyn. Es heißt „Der Fall Babylons” und ist von Herrn Taylor's Dichtung. Da ich aber leid[er] kein Englisch verstehe, so hat es erst in's Deutsche übersetzt werden müsse[n.] Herr Taylor legt nun seinen englischen Text meiner Partitur unter muß dabey aber wieder manche Änderungen vornehmen. – Wenn ich wieder abermals Urlaub erhalten kann, so werde ich der ersten Aufführung des Oratoriums in Norwich beywohnen. – Meine Frau, die mich nebst der Frau von Malsburg auf der vorigen Reise nach England begleitete, hat recht gut Englisch erlernt und konnte mir schon auf der vorigen Reise als Dolmetscher dienen. Sie übersetzt mir alle englische Briefe und steht in fortwährender Correspondenz mit der Taylorschen Familie. Sie sehen allso, daß es mir in dem Verständniß Ihrer Briefe nicht fehlt und werden daher meiner Bitte nachgeben, mir recht bald einmal wieder Nachricht von sich zu geben. – Ihre hiesigen Bekannten grüßen herzlichst. Mit wahrer Hochachtung und Freundschaft ganz der Ihrige

Louis Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Hill an Spohr. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Hill, 01.09.1841.

[1] Hill hatte 1835 eine zweijährige Studienreise nach Deutschland mit dem Hauptzweck unternommen, sich bei Spohr in Kassel im Geigenspiel zu vervollkommnen. Hill war von August 1835 bis Mai 1836 Schüler Spohrs in Kassel.

[2] Nathalie Zahn, später verh. Wiegand.

[3] Spohr reiste im September 1839 nach England.

[4] Vgl. z.B. „The Norwich Festival”, in: Musical World 12 (1839), S. 338-342; „The Musician at Norwich. The Norwich Musical Festival”, in: Monthly Chronicle 4 (1839), S. 355-368; „The Norwich Music Festival”, in: Spectator 12 (1839), S. 897ff.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (02.05.2017).