Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Taylor, E.:15
Entwurf: nicht ermittelt (vgl. Druck 2)
Druck 1: Thomas Damant Eaton, „The Late Professor Taylor“, in: Norfolk News 28.03. und 04.04.1863 (teilweise, engl.; Druck nach dem verschollenen Entwurf; noch nicht eingesehen)
Druck 2: ders., dass., in: ders., Musical Criticism and Biography, London 1872, S. 210-255, hier S. 253f. (teilweise, engl.; Nachdruck von Druck 1)
Druck 3: Trevor Fawcett, „The First Undoubted 'Magic Flute'?“, in: R.M.A. Research Chronicle 12 (1974), S. 106-114, hier S. 109 (teilweise, engl; zit. n. Druck 2)

Regent Square July 24. 18401

Mein theurer und geehrter Freund,

Ich bediene mich der Hülfe meines Secretairs, Sie von meiner glücklichen Ankunft in der Heimath zu benachrichtigen. -
Während meines Lebens habe ich in den kleinen Ausflügen, die ich theils in meiner heimathlichen Insel selbst, theils auf das feste Land gethan, manches Vergnügen genossen; allein niemals ist mir ein ähnliches, wie das bei meinem Besuche in Cassel zu Theil geworden. Ich darf behaupten, es würde vollkommen gewesen sein, hätte ich nicht beständig den Mangel an Geläufigkeit gefühlt, Ihnen, in einer, mir so wenig bekannten Sprache das auszudrücken, was ich doch so gern hätte sagen mögen, und namentlich gegen Sie und Madame Spohr meine lebhaften Gefühle der Dankbarkeit für Ihre liebenswürdige Gastfreundschaft und unermüdete Güte in Worte einzukleiden. Ich muß daher die Freundin, die diesen Brief für mich in‘s Deutsche überträgt, ersuchen, aus dem reichen Wortvorrathe Ihrer Sprache die stärksten Ausdrücke für meinen Zweck herauszuwählen.
Ich habe der(?) Comittee in Norwich Ihre gütige und liebevolle Einwilligung in deren Bitte2 mitgetheilt, welches allgemeine Freude verursachte; so wie ich mich ebenfalls schon an die Uebersetzung gemacht habe, wobei ich aber finde, daß mein würdiger Amtsbruder3 mir eine schwierige Aufgabe gestellt hat. Ich glaube, die Leistung würde mir ohne eine Kenntniß des Englischen Originaltextes leichter geworden sein, - so aber bietet sich dieser mir stets dar, und ich finde mich genöthigt, zu sagen: „Habe Dich vor(?) mir und meinem Gedächtnisse – Du verwirrst mich nur!“ Indessen, ob ich in guter Zeit angefangen habe, verzweifle ich nicht an dem endlichen glücklichen Gelingen meiner Arbeit. Eine zweite Schwierigkeit besteht darin, (und diese fühlte ich in allen Ihren Oratorien) Gedanken und Worte für die verschiedenartigen und kräftigen Ausdrücke Ihrer Musik aufzufinden. Oft, wenn ich eine Stanze4 beendet. sage ich zu mir selbst – Ja, dies ist durchaus correct, und singt sich recht gut; allein mögt(?) das „Feuer“ in(?) die Zartheit der Musik? - Ich kann dem hohen Fluge Ihres Genius nicht folgen, und muß mich schon in der niederen Sphäre, die ich erreicht, zufrieden geben. -
Ich hatte das Vergnügen, Ihnen von Frankfurt aus einen Bericht über Ihre Jessonda zu senden, eine Oper, die hier zu meiner Freude, wie sie es verdient, geschätzt wird.5 Turle, welchen allein von allen unsern musikalischen Freunden ich bis jetzt gesehen habe, sprach über dieselbe in Ausdrücken enthusiastischer Bewunderung, und meine Tochter Katharine ist über sie entzückt. Sie wissen, daß diese Oper nie vorher in England aufgeführt worden ist. Ich wünsche nur, man könne sie mit Ihrem Orchester und unter Ihrer eignen Direction hören.
In Frankfurt traf ich mehrere Englische Freunde6, u. auf Schnyder von Wartensee, welcher mehrere historische Werke auffand; unter diesen das von Gerke, welches Herr Hauptmann mir empfohlen. Es that mir sehr leid, kein Exemplar Ihrer Gesänge mit Clarinette obbligato finden zu können; jedoch werde ich Boosey beauftragen, sie für mich zu verschreiben. Von Frankfurt ging ich nach Offenbach, Doctor Becker zu besuchen; unter dem mein Sohn John einige Zeit studirte. Hier sah ich auch André, der mir sein kostbares Manuscript Mozart‘s zeigte. Mit welcher tiefen Ehrerbietung nahm ich die Original-Partitur der Zauberflöte in die Hand! In Mainz hörte ich die Ode7, welche Guttenberg zu Ehren auf dem letzten Feste daselbst gesungen ward, und da zufälliger Weise an dem Abend, wo ich da war, wiederholte. Hier traf ich Neukomm. - Von Mainz ging ich auf dem Rhein nach Bonn wo ich bei Simrock einen Abend zubrachte, und von ihm einige, mir fehlende Compositionen erhielt. Von da ging ich nach Brüssel, wo ich Fetis sah welcher mir einige Bemerkungen über den Zustand der Musik in Flandern mittheilte. Ich war hier einige Tage in der Bibliothèque de Royale beschäftigt, welche einige merkwürdige alte Flamändische Compositionen enthält, von denen ich einige copirte (scored.) In Gent, wo ich ebenfalls wieder verweilte, copirte (scored) ich manche Compositionen von Orlando di Lasso und einigen andren frühen Flamändischen Meistern. Es giebt hier ein Conservatoire de Music – allein ich war erstaunt, Meister und Schüler in gleicher Unwissenheit selbst über den Namen „Orlando di Lasso“ zu finden. Ich sagte ihnen, sie sollten sich ihrer Unwissenheit schämen. Sie baten mich um Copien der Partituren, die ich aufgesetzt, u. versprachen, sich in Zukunft besser zu betragen.
Es ist ein merkwürdiger Umstand, daß ich in Cassel gerade diejenige Sammlung von „Madrigals“ auffand, welche Winterfeld für verloren angiebt. Bitten Sie H. Hauptmann, in dessen Werk über H. Schütz nachzuschlagen; er wird Seite 168 diese Stelle8 antreffen, und vielleicht dann H. Winterfeld von seinem Irrthum benachrichtigen. Ich denke, die ganze Sammlung sollte in Partitur gesetzt werden. Der Seltenheit wegen. Es ist augenscheinlich, daß Schütz bei der Herausgabe derselben sich von seinem gewöhnlichen Styl entfernte, und dagegen den Italienischen annahm.
Ich bin jetzt recht fleißig daran, meine Vorlesungen über die frühe Schule der Musik in Deutschland vorzubereiten. Wann wird einer Ihrer Professoren dasselbe für mein armes, verachtetes, vernachlässigtes England thun? - Indeß, ich muß meinen Brief zu Ende bringen, oder ich werde nicht Raum haben, einige Ausdrücke meines lebhaften Dankes an alle gütigen Casselschen Freunde hinzuzufügen. Erlauben Sie mir, an Frau v. Malsburg namentlich, an H., Madame, u. das Fräulein Pfeiffer, an alle Mitglieder von Madame Spohr‘s Familie, - an Ihre Töchter u Schwiegersöhne – so wie an Alle, welche mich Fremden so freundlich empfingen, so gütig aufnahmen – die Versicherung zu übersenden, daß ich mir die glücklichen Stunden vergessen werde, die ich in Ihrer und deren Gesellschaft verlebte.
Margarethe befindet sich jetzt in Wales, aber meine Frau so wie John und Katharine senden Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin die freundlichsten Grüße. Ich bin, wie immer, mein
hochgeschätzter Freund,

Ihr aufrichtiger
Edw. Taylor.

Will you have the kindness to inform me, when you write, whether you have heard from Vienna, respecting Mosel‘s „Samson“9?



Das letzte Schreiben dieser Korrespondenz ist Taylor an Spohr, 28.06.1840. Spohr beantwortete diesen Brief am 30.08.1840.

[1] Bis hierhin Handschrift Edward Taylor. den anschließenden deutschen Text schrieb seine spätere Schwiegertochter Meta geb. Dochow (vgl. Taylor an Spohr, 03.11.1840).

[2] Uraufführung von Der Fall Babylons beim Musikfest in Norwich (vgl. Taylor an Spohr, 27.03.1840).

[3] Friedrich Oetker übersetzte Taylors Libretto zu Der Fall Babylons ins Deutsche, damit Spohr es vertonen konnte.

[4] „stanza“ (engl.) = Strophe.

[5] Zur englischen Erstaufführung der Jessonda am 18.06.1840 vgl. „German Opera“, in: Musical World 13 (1840), S. 399-402; Celia Skrine, „Jessonda in London“, in: Spohr Journal 16 (1989), S. 19-22.

[6] Noch nicht ermittelt.

[7] Giacomo Meyerbeer, Festgesang für die Errichtung des Gutenberg-Denkmals in Mainz (vgl. M.G.Fr. in. H. (= Friedrich Melchior Gredy), „Das grosse Musik- und Sängerfest in Mainz am 8. und 9. August 1835, zum Besten des daselbst zu errichtenden Gutenberg-Denkmals“, in: Caecilia 17 (1835), S. 287-296, hier S. 294).

[8] C[arl] von Winterfeld, Johannes Gabrieli und sein Zeitalter. Zur Geschichte der Blüthe heiligen Gesanges im sechzehnten, und der ersten Entwickelung der Hauptformen unserer heutigen Tonkunst in diesem und dem folgenden Jahrhunderte, zumal in der Venedischen Tonschule, Berlin 1834, Bd. 2, S. 168.

[9] Taylor hatte Spohr in seinem Brief vom 17.12.1839 gebeten, ihm Händels Samson in der Bearbeitung von Ignaz von Mosel zu besorgen.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (18.12.2018).