Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Bischoff, G.F.:12
Inhaltsangabe: Felicitas Marwinski, „Musik, das edelste Vergnügen ...“. Vom Collegium musicum zu Kantor Bischoffs Musikfesten. Musikkultur in Frankenhausen am Ende des 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts, Weimar 2012, S. 97

Mein Hochverehrter!

Bei meiner jetzigen mußmuthigen Stimmung und anhaltenden Kränklichkeit, welche mich fast von aller Theilnahme an Musikalischen Unternehmungen, Concerten und dergleichen fern hält, mach es mir ein wahres Vergnügen mit Ihnen, sey es auch nur schriftlich, auf einige Augenblicke mich zu unterhalten. Möchten Sie bei Empfang dieser Zeilen aufnehmen! Es betrifft nehmlich eine Bitte, die ich Ihnen vorzulegen mir erlaube durch Folgendes veranlaßt:
In Nr. 26 der Jahrbücher des Deutschen National-Musikvereins d. J. hat ein Herr Doctor Wöltje (Oberapellations-Gerichts-Procurator zu Celle) mit dem ich bis jetzt nie in Berühung gekommen bin und derselbe nur als Verfasser einer gelehrten musikalischen Abhandlung kenne, eine so genannte Berichtigung über Musikfestn einrücken lassen1, wodurch ich mich sehr verlezt fühlen muß. Es ist Ihnen nicht unbekannt geblieben, welche großen Opfer ich bei den Veranstaltungen meiner Musikfeste leider! habe bringen müssen und das Einzige was ich davon hatte, die Ehre war: in der Musikalischen Geschichte als Stifter der neuen deutschen Musikfeste bezeichnet zu werden, worauf ich stolz sey darf und kann. Nun soll mir aber diese Ehre geschmälert, wo nicht ganz genommen werden und zwar durch solche eine unrichtige Aufstellung von frühern Begebenheiten, die dahin gar nicth gehören und, so zu sagen, vom Zaune abgebrochen werden. Die darin erwäjhnte frühere Aufführung der Schöpfung, von Willing in Nordhausen veranstaltet, ist mir genau bekannt, da ich damals kurz vorher von dem dasigen Gymnasio nach Jena abging, Willing mein Lehrer gewesen und dieser auch bei meiner ersten großen Aufführung der Schöpfung 1804 zu Frankenhausen, wo auch Ihr Anteccesor in Gotha, Concertmeister Ernst nebst Preisings u Andere; Fischer und die Häßler, nachherige Eberwein aus Erfurt; Hermstedt mit seinem ganzen Orchesterpersonal aus Sondershausen; so wie viele Mitglieder der Lebestedter Capelle u.a.m. gegenwärtig waren, mich unterstüzte.
Beide Aufführungen haben damals großen Beifall gefunden; allein Musikfeste sind sie nie, weder von mir noch vom Publiko, genannt worden. Wenn auch durch das Gelingen dieser ersten Aufführung zu Frankenhausen die Idee zu größere Veranstaltungen in mir sich bildete; so wurde doch erst das Prädicat: „Musikfest“ der großen zweiten Aufführung am 20 und 21 Juni 1810 zu Frankenhausen unter Ihrer Direction, wie Sie sich erinnern werden, gegeben und diue nachfolgenden Feste zu Frankenhausen, Erfurt u vielen andern deutschen Städten so genannt, was durchaus nicht in Abrede gestellt werden kann. H. Finck in seiner allgemeinen Musikalischen Zeitung – Nr. 16 d. J.2 – was wahrscheinlich den Hrn Wöltje zu der hämischen Anzeige mit ganz verkehrter und unrichtiger Schlußfolge veranlaßt hat, statt darüber andere Ansichten auf, denen ich allerdings nicht widersprechen kann; allein als Berichtigung über die Entstehung der neuen deutschen Musikfeste nicht für passend finde. Daß nun die Redaction der Jahrbücher p die erwähnte Anzeige von Wöltje so ohne Weiteres und ohne alle Beweise aufgenommen hat, wundert mich, da doch der H. Hofrath Dr. Schilling bei seinem vielseitigen Wissen die Entstehung dieser Feste kennt und selbst im 1sten Supplement Bande seines Universal-Lexikons der Tonkünstler darüber bei meinem Namen berichtet.3
Es ist daher meine gehorsamste Bitte an Sie, Mein hochverehrter Herr und Freund, daß Sie doch die Redaction der Jahrbücher p gewogentlichst veranlassen wollten, die Wöltjesche sogenannte Berichtigung in dieser Angelegenheit in denselben Blättern zu b e r i c h t i g e n und mit vorstehenden Notizen vielleicht zu belegen.4 Er versteht sich daß ich wünschen muß, dabei nicht als Veranlasser dazu erwähnt zu werden, indem ich den Vorsatz habe, zu der ganzen Sache zu schweigen. Würden Sie selbst kein Bedenken tragen, darüber ein Paar Worte in den Jahrbüchern nieder zu legen, so wäre das für mich noch ehrender und glänzender; allein ich darf wol darauf, ohne unverschämt zu handeln, nicht antragen. Überhaupt bin ich in Verlegenheit, bei Ihnen durch diese Bitte als eitel, anmaßend und eingebildet zu erscheinen; allein ich halte – möge ich nun auch wenig Verdienst nur oder gar keines bei der Sache haben – so viel auf diesem so mühsam errungenen Ruf, daß ich demselben doch nicht gar verlieren möchte. Dieses aber können nur Sie am besten hindern, Sie, der überhaupt die Stiftung der Musikfeste durch die aufopfernste und von mir mit dem gefühltesten Danke anerkannten Unterstützung durch Rath und That erst möglich mchte! – An den Hrn. Hofr. Dr. Schilling in Stuttgart von dieser Angelegenheit zu schreiben, habe ich unterlassen; demselben aber für die Jahrbücher einen Bericht über das, vor kurzem hier stattfindenden, 3tägigen Norddeusche Liederfest, wovon ich weiter keinen Theil nehmen konnte, als zuzuhören, eingesendet, welcher auch, wie ich in der so eben empfangenen Nr. 27 sehe, aufgenommen ist.
Was ich sonst über mich Ihnen mitzutheilen hätte, ist unbedeutend, da ich ganz als Invalide vegetire, doch aber in meinem Amte so viel wirke, wie es mir möglich ist. Der hiesige Magistrat, so wie das Königl. Ober-Schulcollegium zu Hannover, als meine vorgesetze oberste Behörde, erkennen dieses mit gütiger Nachsicht an, so daß ich jetzt eine außerordentliche, nicht ganz gerine, Gratification zu einer in diesen Tagen beendigten Badekur zu Suderode am Harz, wo ich voriges Jahr viel Linderung meiner körperlichen Leiden fand (diesesmal aber, der höchst ungünstigen Witterung wegen, mich getäuscht finde) erhalten habe.
Meine Sing-Classe am Königl. Andreano hier ist jetzt 80 klingende Stimmen stark; der Sopran und Alt freilich unvollkommen, desto vorhzüglicher aber die Männerstimmen. Leider gehen alle halbe Jahr die geübten Sänger ab zur Universität und es ist ein immerwährendes Anfangen nöthig. Darauf freue ich mich, von Zeit zu Zeit größere Werke einstudiren zu können, wie vor ½ Jahr Ihre herrlichen, mich jedesmal ergreifenden, „letzten Dinge“ und jetzt aber Haydns altes liebes Lied „die Schöpfung“ vornehmen zu können, Öffentliche Aufführungen kann ich aber wegen meines Zustandes, den ich als Folge des vor ein Paar Jahren auf meiner Musikfests Reise nach Magdeburg erlittenen unglücklichen Poststurzes in der Nacht davon getragen und zu meinen Musikfests-Leiden zählen muß, nicht mehr veranstalten. Das verstimmt mich denn sehr, dieses alte Steckenpferd nicht mehr reiten zu können!
Einen ehemaligen Schüler unseres Andreaneums u meiner Musik-Classe, Herrn Professor Dr. Firnhaber in Cassel, den ich sehr achte und liebe und stets, nächst seinen anderweitigen geschätzen Kenntnissen und Wissenschaftlicher Bildung, ein guter u braver Sänger war und gewiß noch ist, bitte ich angelegentlichst zu grüßen und demselben diese Nachrichten, erste und letztere, bei Gelegenheit mitzutheilen, da er theilnehmend gemäß noch Einiges auf mich5, wie er auf Sie – was ich aus seinen Briefen weiß – so Vieles, ja Alles hält.
Ihnen aber, Mein verehrter alter Gönner, Meister und Freund, empfehle ich mich zu fernerer Gewogenheit und bitte nochmals wegen dieser Zuschrift und der darin enthaltenen Zumuthun nicht ungünstiger zu denken
von

Ihrem Verehrer, dem Musikdirector Bischoff

Hildesheim,
den 18 Juli 1840.

Mit Vergnügen habe ich Ihre übernommene Directionen der Musikfeste, voriges Jahr in England und dieses Jahr zu Achen in öffentlichen Blättern gelesen und schließe daraus, daß Sie sich wohl befinden. Möge dieses auch in der Folge so seyn und bleiben! Dieses ist mein herzlichster, innigster Wunsch.

Bsf



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Bischoff an Spohr, 07.12.1837.

[1] C[arl] Wöltje, „Celle, am 25. Mai 1840“, in: Jahrbücher des Deutschen Nationalvereins für Musik und Ihre Wissenschaft 2 (1840), S. 207f.

[2] Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften, hrsg. v. Gustav Schilling, Supplement, Stuttgart 1842, S. 49-52.

[3] G[ottfried] W[ilhelm] Fink, „Zur Berichtigung der Geschichte der Schweizer-Musikfeste“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 42 (1840), Sp. 334ff.

[4] Den erbetenen Text verfasste der von Bischoff im Folgenden noch erwähnte Carl Georg Firnhaber: „G.F. Bischoff dennoch Stifter der neuen deutschen Musikfeste“, in: Jahrbücher des Deutschen Nationalvereins für Musik und Ihre Wissenschaft 2 (1840), S. 294f.

[5] Hier gestrichen: „hält“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.04.2022).