Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Prag d 17 July 1840

Wohlgeborhner,
Hochgeehrtester Herr Doctor und Kapellmeister!

Kaum werden Sie Ihren Augen trauen, wenn Sie den schmerzlich-traurigen Inhalt meines Briefes vernemen. unser vielgeliebter Freund Dr. L. Kleinwäcter ist in der Nacht vom 16. auf den 17 Juli um 12 Uhr nach einem 16tägigen Krankenlager am Nervenfieber im 33. Jahre seines thätigen Lebens gestorben. Sie werden um so mehr das traurige Loos des gebeugten Vaters1 theilen, der Ihnen der Himmel selbst dies harte Schiksaal schon auferlegte. Ich selbst kann mich noch immer nicht beruhigen u. immer erscheint es mir als nicht wahr. Mit ihm ist viel gestorben, denn seine Rechtlichkeit so wie sein thätiges Streben für die Kunst wird schwerlich wieder ersetzt werden. Kleinwächter wohnte jetzt mir vis a vis, und ich war daher auch am Tage seines Todes bei den Vater um mich nach seinem Befinden zu erkundigen, da er keinen Menschen sprechen durfte. Der Vater hatte die beste Hoffnung und meinte die schlimmste Krisis sei vorüber. Die Tochter2 welche jetzt mit dem Capellmeister Skraup versprochen ist und künftigen Herbst Hochzeit machten wollte war in Töplitz, schreibt aber schon 3 Tage vor ihres Bruders Tod, daß sie komme, denn es ahne ihr ein großes Unglück; allein sie sah ihn nicht mehr. Ich arbeitete grade diese Nacht bis 12 Uhr, plötzlich hörte ich ein Schluchzen, gehe daher zum Fenster und höre von den Dienstboten, daß eben der Herr verschieden sey. Ich eilte sogleich hinüber und fand die traurige Nachricht bestätigt. Händeringend und schluchzend ergriff der Alte meine Hand, und seine ersten Worte waren: „Was wird unser Freund Spohr sagen, den verehrte wie einen Gott, in dem er nur lebte.“ Die Gattin3 des seeligen Orts phantasirte wie eine Wahnsinnige, ohne eine Thräne zu vergißen.Der Alte bat mich sogleich Ihnen die traurige Nachricht mitzutheilen was ich auch ohnedieß gethan hätte, da es ihn zu sehr angriff. Ich weiß nicht ob es gut ist wenn Sie ihm selbst schreiben, da es ihn nur zu sehr erschüttern würde, denn wenn er nur Ihren Namen hört, bricht er in lautes Schluchzen aus. Heute wurde zur Gedächtnisfeier seines Todes Mozarts Requiem gegeben, welche er noch kürzlich mit großer Rührung hörte. Er halte Gutes gethan, Segen seiner Asche. -
Hätte ich nicht diese traurige Veranlassung gehabt, so hätte ich Ihr mir sehr theures Schreiben, wofür ich Ihnen geehrtester Herr Kapellmeister herzlich danke, erst nach 14 Tagen beantwortet, das bis dahin unsere 2tes öffentliche Prüfung statt findet. Der Direktor ist schon seit 3 Monaten in Wien, während welcher Zeit ich die Direktion habe. Das Institut genießt jetzt die große Gnade, vom Kaiser einen jährlichen Betrag von 300 Fl. C.M. zu erhalten, was eine große Auszeichnung ist, da selbst Wohlthätikgkeisanstalten, Spitäler pp keine Unterstützung bekommen. Zu ihrem großen Oratorium4 wünsche ich Ihnen Glück, da es die Zahl Ihrer unsterblichen Werke auf das Würdigste vermehren wird. Ich las, daß Ihnen Paganini eine seiner Geigen vermacht hat5, ist dieses ein gutes Instrument und von welchem Meister? Gegenwärtig gastiert die Hasselt6 aus München und Potgorgek7 aus Dresden hier, welche erste mir jedoch nicht für das genügt, was man aus ihr macht. Man munkelt hier, das Conservatorium werde mit Weber‘s Tod eingehen, da sich mehr beitragende Mitglieder zurückgezogen haben. Mit dem herzlichen Wunsche für Ihr vollkommenes Wohlbefinden bin ich hochachtungsvoll

Ihr
dankbarster Schüler
W. Happ.

Autor(en): Happ, Wilhelm
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Kleinwächter, Friederike
Kleinwächter, Ignaz
Kleinwächter, Louis
Skraup, Caroline
Erwähnte Kompositionen: Mozart, Wolfgang Amadeus : Requiem
Spohr, Louis : Des Heilands letzte Stunden
Erwähnte Orte: Prag
Teplitz
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1840071840

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Happ, 23.05.1840. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Happ an Spohr, 24.11.1840.

[1] Ignaz Kleinwächter.

[2] Caroliine Skraup.

[3] Friederike Kleinwächter.

[4] Der Fall Babylons.

[5] Vgl. „Mosaik“, in: Bohemia 30.06.1840, nicht paginiert.

[6] Vgl. „Theaterbericht vom 1. Juli“, in: Bohemia 03.07.1840, nicht paginiert, „Theaterbericht vom 9. Juli“, in: ebd. 05.07.1840, nicht paginiert.

[7] Sic! Zu Caroline Bodgorscheks Prag-Aufenthalt vgl. „Theaterbericht vom 19. bis 22. Juli“, in: ebd. 24.07.1840, nicht paginiert.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (27.01.2022).