Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

London den 18ten Juny 1840.

Sehr geehrter Herr Hofkapellmeister.

In der Ueberzeugung, daß es Ihnen nicht unangenehm sein wird, einiges über den Erfolg der hiesigen deutschen Oper, hauptsächlich aber Ihrer beiden bis jetzt gegebenen Werke, Faust und Jessonda, zu erfahren, richte ich diese Zeilen an Sie aus inniger Hochachtung für Sie, und aus Freude über den entschiedenen Succeß, mit welchem sowohl Faust, als Jessonda aufgenommen wurden, vorzüglich letztere, welche heute, zum erstenmale gegeben wurde. Faust wurde zuerst den 21ten May aufgeführt1 und am 27ten M. und2 5ten Juny wiederholt, mit folgender Besetzung, Faust, Hr. Eike, Mephisto, Herr Pöckh (besonderer Verhältnisse und meiner kurze Zeit dauernden Heiserkeit wegen3 in Folge zu großer Anstrengung, war ich nicht beschäftigt), Hugo Schmetzer, Kunigunde, Madame Fischer-Schwarzböck, Röschen, Madame Schumann, Franz, Hr. Wolf, Gulf, Hr. Froitzheim, Sykorax, Madlle. Frambach. Die Oper gefiel sehr, alle Stimmen wurden rauschend aplaudirt, die Ouverture, der Choral einmal, und die Arie des Mephisto sogar bei der ersten Aufführung dreimal da capo verlangt, auch die Arie des Hugo mußte wiederholt werden, und ich bin überzeugt, der Beifall würde noch größer gewesen sein bei andrer Besezung. Eike kann als Faust weder im Spiel noch Gesang genügen, seine Stimme ist eigentlich Tenor, aber schon gebrochen. Für Pöck liegt der Mephisto viel zu tief, weshalb er die ganze Parthie punktiren mußte, wodurch natürlich der Charakter der Musikstücke sehr leidet; der ganze Mittelsatz der Arie strichen deßhalb weg. Alle übrigen Rollen waren sehr gut besetzt, die Dekorationen aber, wie leider in allen Vorstellungen, sehr mangelhaft. Mit desto größerem Erfolg gieng heute Ihre Jessonda über die Bretter.4 Die Besetzung war folgende: Jessonda Madame Stöckel-Heinefetter als erste Gastrolle, Amazilly Madam Schumann, Nadori, Hr. Schmetzer, Tristan Hr. Pöckh, Dandau meine Wenigkeit.5 Die Ouverture wurde stürmisch da capo verlangt, desgleichen der Kriegerchor im 2ten Acte und das Allegro vor Jessondas Arie, und noch mehrere Piecen wurden dasselbe Furore gemacht haben, wenn das zahlreiche Publikum immer genau den Schluß derselben gekannt, und wohl auch die zu grose Anstrengung der Vortragenden nicht berücksichtigt hätte; alle Stimmen, so wie auch viele Recitative wurden wurden6 häufig vom rauschendsten, lange dauernden Applaus unterbrochen. Kurz Ihre Jessonda hatte einen Erfolg, wie ihn noch keine Oper in dieser Saison hatte, den Freischütz, Fidelio und Euryanthe etwa ausgenommen, welche ohngefähr mit ähnlicher Begeisterung aufgenommen wurden. Sie gieng aber auch im Ganzen genommen sehr gut, obschon wir nur eine Generalprobe davon hatten, und ich bin überzeugt, daß der Erfolg noch größer gewesen wäre, wenn Sie an der Spitze des Orchesters gestanden. Denn Herr Ganz ist kein guter Dirigent; die meisten Tempis nimmt er viel zu rasch, worauf ich ihn auch unverholen aufmerksam machte; den Marsch der Kriegerspiele überstürzte er so sehr, daß das Orchester ihm kaum folgen konnte, wodurch das Musikstück an Deutlichkeit und Erfolg sehr verlor. Das Orchester, fast aus lauter Mainzern bestehend, hat durch die theilweise Leitung des Hofkapellmeisters, Herr Strauß von Karlsruhe, sehr gewonnen an Deutlichkeit und Nuancirung, was, trotz der sonst nicht sehr grosen Sorgfalt des Herrn Ganz, zu dem glänzenden Erfolge Ihrer Oper sehr viel beitrug. Die Heinefetter war ausgezeichnet in jeder Hinsicht, desgleichen Schmetzer7 Pöck und die Schumann mit ihrer schwachen, aber angenehmen Stimme; auch ich war sehr gut bei Stimme. Die Chöre unter der tüchtigen Leitung des Herrn Röckel sind sehr gut, vorzüglich unter dem Männerchor sind einige gesunde Tenor- und Baßstimmen. –
Den 30ten Juny. Meine Frau hat so lange mir ihrer Antwort gezögert, daß ich erst heute diese Zeilen an Sie kann abgehen lassen. Ihre Jessonda ist bis jetzt 2 mal mit demselben Erfolge und bei überfülltem Hause gegeben worden, am 24sten nämlich, wo der ganze Hof der Vorstellung beiwohnte, und einige hundert Menschen abgewiesen werden mußten, und gestern, wo Wild den Nadori als erstes Début mit vielem Beifall gab8, Eike den Tristan. Das Terzett im Anfange des 3tenAktes da capo. Schmetzer, Pöck und die Firscher-Schwarzböck haben uns verlassen; wir werden noch 12 Vorstellungen geben und Ende July wieder nach Deutschland zurückkommen, wo ich mir dann die Ehre geben werde, Ihnen die nähern Details über unsre Unternehmung mündlich mitzutheilen.
Mich Ihrem gütigen Andenken bestens empfehlend, bin ich

Hochachtungsvoll
Ihr
ergebenster
I. Krieg.

London, 30ten Jun. 1840.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Krieg an Spohr, 22.03.1838.

[1] Vgl. „German Opera“, in: Musical World 13 (1840), S. 332f.; „Prince’s Theatre“, in: Athenaeum (1840), S. 421f.

[2] „und“ über der Zeile eingefügt.

[3] „wegen“ über der Zeile eingefügt.

[4] Vgl. „German Opera“, in: Musical World 13 (1840), S. 399-402; „Prince’s Theatre“, in: Athenaeum (1840), S. 501f.

[5] Vgl. „The management should provide a better Dandau than Herr Krieg: he makes the part, which, though short, is a heacy one, needlessly grim and dreary“ („Prince’s Theatre“, S. 502).

[6] Wortwiederholung in der Vorlage.

[7] Hier gestrichen: „und“.

[8] „Prince’s Theatre“, in: Athenaeum (1840), S. 539.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (11.04.2023).