Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Catlenburg am 22t May 1840

Ihr liebes Schreiben vom 16t d. M. mein innigst verehrtester Gönner! erhielt ich am 19t in Reifenstein, nachdem ich am 18t Abends die Gebrüder Müller in Mühlhausen nochmals resp.(???) gesprochen und mit mehrem Entzücken gehört hatte; indem das Reifensteiner Geschäft, solchen Nachmittag mit Hälfte der Nacht dazwischen heraus zu reißen gestattete.
Ihre freundliche Benachrichtigung, daß am 26t höchst wahrscheinlich der Zweykampf mit der Geliebten dort gegeben werde, ist mir zu interessant, um nicht alles aufzubiethen, am 25t dort einzutreffen, – in der sicheren Hoffnung, daß solche Ihre mich so vielseitig interessierende Oper nicht doch etwa noch veraschenbrödelt werden wird1, – was dann freylich ein himmlischer Rausch wäre! –
Zunächst hängt mein Kommen – vertraulich geäußert, – davon ab2 ob der König in diesen Tagen Rothenkirchen3 wieder verlassen wird; was ich bey so üblem Wetter sicher vermuthe. Verbleiben aber Se Majestät allda noch länger: so kann ich ohne geschäftliche Veranlassung aus mehreren Rücksichten mich nicht wohl von hier entfernen. –
Die Müller waren in Göttingen noch festgehalten, auch noch ein 3tes Concert den 1st zu geben, u4 sind daselbst mit dem ungewöhnlichsten Enthusiasmus aufgenommen werden. Meine Frau war zu dem 2t u 3t Concerte hinüber; ich zu keinem; – weil am Tage des ersten die disponibel zu nehmenden Pferde die liebenswürdigen Gebrüder selbst hinüber fuhren, Am Tage des5 2. ich nach Rothenkirchen befehlligt war, u ich6 am 15t d.M. nach Reifenstein zu einem geschäftl. Zusammentreffen mit meiner Erfurter Regierungs-Commission beordert war. –
In Goettingen hatt sich bey den Müllers eine förmliche Deputation der Duderstädter Musikfreunde eingefunden, sie auch dahin einzuladen, wo sie dann den 12t auf der Durchreise nach Mühlhausen gespielt hatten, u von der warmen Aufmerksamkeit und gemüthlichen Theilnahme eines Auditoriums von fast 200 Personen in einem überaus freundlichen u paßlichem Garten-Salon sehr angenehm berührt waren.
Auch in Mühlhausen war der Enthusiasmus des versammelten Auditoriums von auch fast 200 Personen eben so groß als die gespannteste Stille u Aufmerksamkeit erfreulich. – Gleichwohl würde die dasige Versammlung sicher um die Hälfte größer gewesen seyn, wenn Hr Heinrichshofen etwas mehr Sorgfalt für eine genügende Bekanntmachung des Concertes gesorgt hätte.
Am 20t waren sie für Erfurt engagirt, u gedachten halb u halb daselbst am heutigen Tage noch ein Mahl zu spielen. – Die nach Mühlhausen gekommenen Herren Officire des 8t Cuirassier-Regiments waren aber eben so bezaubert, daß sie, ihrem Regiments-Commandeur an der Spitze, da gleich im Concert-Saale feste Verabredung mit den Müllers nahmen, Heute von Erfurt nach Langensalza zurück zu kommen, u auch da eine Quartett-Soirée zu geben.
Für Morgen Abend ist eine solche in Gotha arrangirt; von wo sie dann Uebermorgen in Cassel Abends eintreffen werden.
Auch Sie werden gewis finden, daß diese liebens würdigen theuren Arthisten in diesen letzten Jahren durch die größeren Kunstreisen nach Wien, Paris &c in der Vollendung ihres Zusammenspiels noch wesentlich vorgeschritten sind. – In Wien mußten sie in 6 Wochen 16 Mahl öffentlich spielen; außer mancherley Privat-Parthien, die auch so besucht wie manche öffentliche waren.
Meyer-Beer äußerte mir die Meinung7 daß es das vollendeteste Quartett sey, was jemahls in der Welt existirt habe; da selbst das einst von Beethoven gestiftete Quartett in Wien, [???] mit Hülfe Schuhpanzig’s, was er noch öfter gehört,8 diese Vollendung des Zusammenspiels nicht erreicht habe. –
Im übrigen thut mir die definitive Aufklärung des Meyer-Beer dortigem Aufenthalts wahrhaft9 wehe!10 – Da ich lieber nicht auf dieser Wahrscheinlichkeit, und – auch Mangel tiefen Gemüthes in der Freundschaft befunden hätte! – Nur seine Kränklichkeit kann ihn entschuldigen.
Hoffentlich mündlich das nächste mehr darüber! – eine wahre Sehnsucht habe ich, Sie vor Ihrer Abreise doch noch zu sehen! –
Ihnen wie Ihrer liebenswürdigen Frau Gemahlin empfiehlt sich meine Frau mit mir so angelegentlich als herzlich! – Stets

Ihr dankbarster Verehrer
CFLueder



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief Spohr an Lueder, 16.06.1840. Der nächste erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Lueder, 30.08.1840.

[1] 1829 scheiterte die Inszenierung von Der Zweikampf mit der Geliebten am Kontraktbruch der eingeplanten Hauptdarstellerin Sabine Heinefetter (vgl. Spohr an Wilhelm Speyer, 06.09.1829).

[2] „davon ab“ über der Zeile eingefügt.

[3] 1837-1866 Jagdschloss der Könige von Hannover (vgl. www.burgen-und-schloesser.net).

[4] Hier gestrichen: „sind“.

[5] „Am Tages des“ über gestrichenem „an“ eingefügt.

[6] Hier gestrichen: „denn“.

[7] „die Meinung“ über der Zeile eingefügt.

[8] Hier ein Wort gestrichen („Ohne“?).

[9] Hier ein Wort gestrichen.

[10] Am 29.03.1840 schrieb Giacomo Meyerbeer in sein Tagebuch: „Sonntag um 12 Uhr Mittags kam ich in Cassel an. Promenade durch die Stadt, und einen kleinen Theil der ;Jungfrau von Orleans‘ gesehen. […] Ich reisete denselben Abend noch bis Münden 2 ½ M. von Cassel“ (in: Giacomo Meyerbeer, Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 3, hrsg. v. Heinz Becker und Gudrun Becker, Berlin 1975, S. 245). Am 26.04.1840 teilte Lüder Spohr mit, Meyerbeer bedauere, er habe Spohr nicht besuchen können, weil er Kassel in der Nacht passiert habe. Dies wies Spohr in seinem derzeit verschollenen Brief vom 02.05.1840 zurück.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (21.01.2021).