Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Catlenburg an 6ten May 1840.

Ihr liebes so ausführliches und mannigfach interessantes Schreiben vom 2t d.M., mein innigst verehrtester Gönner! Hat mich zum höchsten erfreut, und mir die angenehme Gewißheit gegeben, daß mein für Ihre kostbare Zeit etwas sehr ausführlich gerathenes Schreiben vom 24t v.M. Ihnen gleichwohl nicht lästig war! –
Unmöglich kann ich glauben, daß die Nachricht, Meyer-Beer sey dort auf der Durchreise nach Braunschweig schon Nachmittags eingetroffen und erst anderen Morgens wieder gereiset, ohne Sie besucht zu haben, auf etwas anderem, als einem Mißverständniße beruhe! – und würde mich die weitere Constatirung solches vermeintlichen Verhältnißes wahrhaft betrüben! – weil es mich an der Treue so mancher höchst gemüthlicher Äußerungen dieses wirklich sehr liebenswürdigen Mannes verzeiyfeln lassen würde! – da es unmöglich ist, die Erzählung, unglücklicher Weise gerade mitten in der Nacht durch Cassel gekommen zu seyn, argloser u der einfachen Wahrheit getreuer zu machen, als er es, – u das ja ohne alle meiner Seits dazu gegebenen Veranlassung, – bey wiederholten Gelegenheiten that. – Seine gleichzeitige Anwesenheit mit Ihnen in Wien1 u Italien2, mit mehrerley interessanten Partikularitäten, u als Erläuterung der Ihnen auch wie persönlich gewidmeten wahrhaft liebevollen Anhänglichkeit u Verehrung, daß alles hat er mir mit großem Interesse der Rückerinnerung erzählt, – u auch, daß Sie ihn3 als Knaben schon einst gewürdigt hätten, in Ihrem Concerte in Berlin zu spielen4; – was das 3te Mahl gewesen sey, daß er öffentlich gespielt, u.s.w.
Noch bemerke ich, daß weiterhin, am 18t, bey Gelegenheit eines dem M-Beer auf Bartels Garten bewirteten Fest-Mahles, ich hörte, daß ein eben aus Cassel zurückkehrender Herr mit einem5 Strohhute, den man abwechselnd bald „Gottschalk“ bald „Unkraut“ nannte, von dem ich aber verstanden zu haben glaube, daß er eigentlich Helft6 heiße, der M-Beer sagte, daß in Cassel erst die Nachricht verbreitet gewesem sey. daß er, M-Beer, allda übernachtet habe, u daß Sie es unerklärlich gefunden, nicht zu Ihnen gekommen zu seyn, daß aber nachher sich aufgeklärt habe, daß jener Reisende ein Herr „Behrend“ gewesen, u mit ihm verwechselt sey. – Auch dabey wiederholte denn M-Beer ausführlich, was er mit schon gleich am 15t in dem ersten Augenblick unserer Bekanntschaft gesagt hatte, – daß er nämlich durch Cassel leider gerade mitten in der Nacht gekommen sey. Jene Äußerung das sog. Hr. Gottschalk oder Unkraut nun, daß die erste Sage als eine Verwechselung mit einem Hn Behrend aufgeklärt worden sey, – verdient also doch wohl vor einer definitiven Verturtheilung des M.-Beer mindestens einer immer betrübenden Warheitslosigkeit, erst nach genauerer u selbst genauester Rücksprache; die auch ich, so wie ich nach Cassel komme, wenn Ihnen auch die Zeit nicht dafür bleibe mit allen dafür zu erspähenden Mitteln dann doch verfolgen werde; da der Mann mich wirklich zu sehr interessirt hat, um meine Ungewißheit darüber verbergen zu können! –
Wäre er aber durch Reise-Fatigue bey sehr großer Kränklichkeit, – (selbst bey den Aufführungen mußte Methfessel stets im Hinterhalte bereits bleiben, weil M. Beer keine Viertelstunde sich sicher fühlte, nicht vielleicht die Flucht nehmen zu müssen) – etwa zu jener Vernachlässigung verführt – u hätte er sich deren so sehr geschämt, daß er zu einer sog., – immer tadelnswerthen, – Nothlüge seine Zuflucht nehmen zu müssen geglaubt hätte: so läßt doch sein ganzes über alle Maaßen zuvorkommendes Benehmen gegen mich darüber gar keinen Zweyfel, daß er diese im Augenblicke etwaiger Reise-Apathie ihn beschlichen habende Versäumniß nun hinter her im wahren Verstande tief bereute; und ohne sich darüber klare Rechenschaft zu geben, vielleicht von der Empfindung beherrscht werden mogte, einen Theil davon durch die verdoppelte Aufmerksamkeit für einen ihm ganz fremden höchst unbedeutenden Privatmann, der ihm eben als einer Ihrer wärmsten Verehrer u langjähriger Schützling zugeführt wurde, gleichsam wieder gut zu machen. –
So eben trifft ein Schreiben von Carl Müller ein, wonach diese Gebrüder am Sonnabend, den 9t d. M., Mittags 2 Uhr hier eintreffen, Sonntag hier bleiben, u Montag u Mittwoch in Göttingen spielen werden; wonach ich vermuthe, daß sie Donnerstag, den 12t in Cassel eintreffen werden.
Wenn gleich nun wohl außer allem Zweyfel ist, daß Müller selbst Ihnen darum schon Nachricht gegeben, u um Ihre so freundliche verheißene vorläufige Nachricht in der dortigen Zeitung gebothen haben wird, so eile ich doch diese Post hier auch diese Benachrichtigung annoch zu benutzen; da ja Möglichkeit bleibe, daß ein solches Schreiben unglücklicher Weise sein Ziel nicht erreichte! –
Entschuldigen Sie damit meine heutige flüchtige Schreibart. – Ist es mir irgend möglich: so benutze ich Ihre freundliche Einladung u Erlaubniß, den Müller’s nach dort zu folgen! –
So innig als unverwandelbar

Ihr
dankbarster Verehrer
CFLueder.

N.S. Wäre es denn nicht vielleicht thunlich, auf solche Epoche, z.B. Sonnabend d 16t, eine Ihrer Opern zu legen?

Autor(en): Lueder, Christian Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Behrend
Helfft, Gottschalk
Methfessel, Albert
Meyerbeer, Giacomo
Müller, Carl (Müller-Quartett 1)
Müller, Georg
Müller, Gustav
Müller, Theodor
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Berlin
Braunschweig
Göttingen
Wien
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Braunschweig>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1840050635

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief Spohr an Lueder, 02.05.1840. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lueder an Spohr, 10.05.1840.

[1] Vgl. Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 1, S. 172, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 1, Kassel und Göttingen 1860, S. 192.

[2] Vgl. Lebenserinnerungen, S. 271 (Text mit fehlerhafter Paginierung auch online), 299, 301f. und 305 (online); Selbstbiographie, S. 302, 333, 336 und 341.

[3] „ihn“ über der Zeile eingefügt.

[4] Vgl. Lebenserinnerungen, S. 84, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; Selbstbiographie, S. 86f.

[5] Offensichtlich ein Schreib- oder Erinnerungsfehler (vgl. Lueder an Spohr, 26.04.1840).

[6] Das Braunschweigische Adreßbuch (1840), S. 50 nennt einen Kaufmann „Gottschalk Helfft“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (20.01.2021).