Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Prag d. 17 April 1840

Wohlgeborner Herr,
Hochverehrtester Herr Doctor und Kapellmeister!

Schon mit der Antwort des H. Doctor Kleinwächter1 wollte ich Sie mit diesen Zeilen belästigen, doch wurde ich durch die erste Prüfung unseres Institutes welche am 16 März statt fand abgehalten, denn Sie werden leicht verstehen, wie man mit 30 Schüler arbeiten muß, um in 9 Monaten etwas zu leisten und unsern Antipothen die Stimme zu biethen. Alles war gespannt und ein zahlreiches Publikum hatte sich zu diesem Zweck versammelt, aber die Erwartungen wurden nicht nur auf das Vollkommente befriedigt, sondern auch übertroffen. Es wurde Contrabaß, Cello, Gesang, Flöte, Pianoforte, Violine etc. geprüft. Meine kleinsten Schüler 5 an der Zahl von 9 Jahren, ohne Vorkenntnisse spielten die Uebung aus Ihrer Schule No 13 und 16 rein und mit Beifall, die größeren die schon Vorkenntnisse hatten spielten von No 27-32 sehr gut. In allen Blättern steht, daß nur nach Ihrer Schule der Unterricht ertheilt wird.2 Früher hat mich Pixis immer mit gleißnerischer Freundlichkeit behandelt, allein seit der Prüfung kann er seine Wuth nicht verhelen und ist finster wie die Nacht. Am 30sten Mai geben wir großes Concert im Baumgarten3 wo wir 2 Ouverturen von Ihnen machen werden. Noch ist „Sonst u Jezt“ nicht erschienen, was mir sehr leid ist, denn ich hätt es gerne in diesem Concert gespielt, außerdem werde ich das 7te und das Jessonda Potpourri spielen. Am vergangenen Sonnabend haben wir das Rondeau Espagnola in der Soire gegeben4, und eine unsrer Schülerin5 hat schon 2 mal die Romanze aus Zemire u Azor in unser Concerten gesungen.6 Sie ersehen hieraus das keine Production vorübergeht, wo wir nicht Ihre herrlichen Compositionen benützen. Kalliwoda gab ein Concert welches sehr besucht war.7 Lißzt gab 5 Concerte die mehr als gedrängt waren, aber wie der Mann auch spielt, das ist nicht zu beschreiben.8 Herr Director Kinderfreund hat jetzt den Trompeter aus dem Theater engagirt; gleich haben ihn Pixis u. Weber holen lassen um ihn abzuwerben; allein der Contract war schon gemacht. Es steht nicht zu leugnen, daß das Conservatorium viel durch dieses Institut verlieren wird, deßhalb spannen sich auch alle Segel, und suchen ihre Partheien wozu natürlich die Kleinwächterische Familie nebst allen hiesigen Componisten gehört9, fest zu halten, durch Aufführungen von Compositionen. Längst habe ich Ihnen noch etwas mittheilen wollen, wozu ich jetzt ein wenig weit ausholen muß. Gestern komme ich zu Kleinwächters und höre schon im Vorzimmer wie der H. Doktor seine Lunge durch gewaltiges Recitiren malträtirt. Als ich mich nach der Ursache erkundige, ist es folgendes. Ein dummer, unverschämter Mensch, der bis an den Hals studirt hat u. Recensionen für die Bohemia und das Conservatorium schreibt, hat sich über eines Ihrer berühmten Werke, welches Pixis in seinem Quartett gab, über das Nonett in F so ausgesprochen: „Ueber das Nonett von Spohr welches viele Plagiate enthält, will ich schweigen, da es eines der schwächsten Werke dieses vortrefflichen Mannes, über welchen ich mich schon so oft mit tiefster Verehrung aussprach, ist. Auch schien mir die Ausführung dießmal nicht so gelungen wie es schon früher der Fall war“.10 Dieser Mensch ist zu bedauern aber er ist nicht werth, daß man sich über ihn ärgert, wie es der H. Doctor that u. vielleicht auch mehr, weil jener sein Quartett nur oberflächlich bemerkte.11 Woher jedoch obige Dummheit kömmt, erlaube ich mir Ihnen der Wahrheit gemäß auseinander zu setzen, damit Sie sehen wie mit der Verehrung Ihrer beßten Freunde auch mit12 dem einfältigen Tadel verbunden ist. Erscheint eine neue Composition von Ihnen, so ist H. Dr. Kleinwächter mit seinen Freunden, dem Orchester Geiger Bardak, Kapellmeister Skraup, Mildner pp auf das eifrigste bemüht eine Analogie mit Ihren früheren Werken zu finden, u. es ist ein wahrer Jubel für sie alle, wenn sie so länge geäußert u kritisirt haben, daß sie die eine Melodie oder Passage oder Thema aus einem früheren Quartett oder Quintett oder aus Opern von Ihnen gefunden haben. Sie brüsten sich gleichsam mit dem Vergleiche Ihrer Werke, daß sie sie so genau kennen, sprechen allein von Ihren Reminiscensen, daß diese Stelle nur in einem der vielen Tackte schon da u. dort verkommen. So hat zum Beyspiel mir der H. Doktor gesagt daß er Pixis gebeten habe, das neuste Quartett welches ich von Ihnen selbst hörte, nicht aufzuführen, denn es würde Ihnen offenbar eine Blöße geben!! u. wirklich wurde es auch nicht gemacht. Als Ihre neue Sinfonie in C13 gegeben wurde zeigte mir H. Doctor zgl Stellen die in jenem Quartett, jener Sinfonie und Gott weiß wo noch mehr da gewesen sein sollten. Dann mache das gar keinen Effect, daß Sie den Geigen immer so tiefe Melodien gäben wie es auch in der Ouverture zu Macbeth der Fall sei. Der Schwatzen dann noch gehen andere mit u. ich ärgere mich stillschweigend ohne ein Wort zu sagen. Auch besuche ich die Quartetts nur höchst selten, denn bald heißt es, „das ist ganz aus dem Faust, das ist Jessonda, das ist Berggeist, das ist wie in der D moll Sinfonie14“, und das verdrießt mich mit anzuhören. Aus alle diesen Albernheiten nun entsteht jene Dummheit jenes albernen Menschen durch albernen Menschen. Denn jene Rederein werden überall im Theater u Conservatorium wiederholt, und dadurch kömmt es daß dann ein Mensch so dumm schreibt. Kleinwächters sind brave Leute u hat mir keiner was in den Weg gelegt, daß Sie vielleicht glaubten wir wären getrennt, im Gegentheil; aber mich hat das schon fürchterlich geärgert, daß ein Mensch so naseweise ist, gerade einer, der keine Note schreibt die nicht Sie geschrieben hätten, der nur Ihrem Genre kopirt, aber nicht in Ihrem Genre komponirt. Diese Eigenliebe wird natürlich durch das Partheiwesen des Conservatoriums bestärkt. Wie der Lißt da war führten sie die Ouverture vom Doctor auf, als etwas außerordentliches, nicht im Concert, sondern zum Frühstück, u. er glaubt dann auch schon Spohr zu sein! Der noch viel [???] kann bis er werth ist Ihnen die Schuhriemen zu lösen!! Alle seine Compositionen sind Phrasen Ihrer Werke, u. so einer spricht von Reminiscensen?! – Ich sehe daß mein Styl etwas trivial wurde, und Sie könnten leicht einen Verdacht auf mich bekommen, aber es ist nicht eine blinde Verehrung die ich Ihnen zolle, sondern nur die reine Bekenntniß Ihnen, die durch keine Eigenliebe geschmälert wird, und so bitte ich Sie von meiner Aufrichtigkeit keinen Gebrauch zu machen, da ich nur beabsichtigte Ihnen die Wahrheit mitzutheilen. Könnten Sie mich einmal durch irgend ein Manuscript erfreuen, so würde ich Ihnen sehr dankbar sein, nur bitte ich noch, dem H. Doctor nicht wissen zu lassen, wenn Sie mich keiner Antwort würdigen. Ich bin mit der tiefsten Hochachtung

Ihr
dankbarer Schüler
W. Happ



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Happ an Spohr, 11.11.1839. Spohr beantwortete diesen Brief am 23.05.1840.

[1] Vgl. Louis Kleinwächter an Spohr, 25.03.1840.

[2] Vgl. C[arl] J[oseph] Kinderfreund, „Musikalischer Anzeiger über die erste Semestral-Prüfung der Zöglinge des unter dem Protektorate Sr. Durchlaucht des Hochgebornen Herrn Camill Prinzen von Rohan stehenden Musik-Institutes“, in: Adler 3 (1840), S. 886; B.St., „Prüfung im Musikinstitute des Herrn Kinderfreund“, in: Ost und West (1840), S. 115f.; „Vorbericht zu den Concerten des berühmten Virtuosen Lißt“, in: Bohemia 06.03.1840, nicht paginiert; „Uiber Liszt ’s Concerte vom 5. und 6. März“, in: ebd., 03.03, nicht paginiert, 10.03., nicht paginiert, 13.03., nicht paginiert, 15.03., nicht paginiert, und 17.03.1840, nicht paginiert.

[3] Öffentlicher Vergnügungsort (vgl. „Telegraph von Prag“, in: Bohemia 12.06.1840, nicht paginiert).

[4] Sic!

[5] Luise Herdiborsky (vgl. B.St., „Prüfung im Musikinstitute“, hier S. 116).

[6] Vgl. B.St., „Soirée musicale“, in: Ost und West (1840), S. 152.

[7] „Concert des Herrn Kalliwoda“, in: Bohemia 07.04.1840, nicht paginiert.

[8] Vgl. R.G., „Liszt in Prag“, in: ebd., S. 92; ud.u., „Viertes Konzert des Pianisten Franz Liszt im Saale zum Platteis am 11. März“, in: ebd., S. 104; ders., „Noch ein paar Worte über Liszt“, in: ebd., S. 107f.

[9] „gehört“ am linken Seitenrand eingefügt.

[10] Vgl. „Spohr‘s Nonett ist wohl unbestritten eine von des Meisters schwächsten Arbeiten. Aus Pietät gehe ich auf dies verfehlte Werk eines Mannes, vor dem ich so oft meine höchste Verehrung öffentlich ausgesprochen, nicht tiefer ein. Auch die Ausführung war nicht so meisterhaft, als wir sie in den Quartetten des Herrn Professors fast immer hören.“ (B., „Quartette des Herrn Prof. Pixis“, in: Bohemia 14.04.1840, nicht paginiert).

[11] Vgl. B., „Quartette des Herrn Prof. Pixis“, in: Bohemia 31.03.1840, nicht paginiert).

[12] „mit“ über der Zeile eingefügt.

[13] Op. 102.

[14] Op. 49.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.02.2022).