Autograf: Spohr Museum Kassel, Sign. Sp. ep. 1.2 <18400328>
Beleg: Autographen. Historische Autographen, literarische Autographen, Musiker, Schauspieler und bildende Künstler, Stammbücher. Versteigerung am 20., 21. und 22. Oktober 1926 (= Katalog Liepmannssohn 48), Berlin 1926, S. 174f.

Sr. Wohlgeboren
dem
Herrn Dr. Louis Spohr, kurfürstl
Hofkapellmeister u. Ritter.
in Cassel
 
franco
 
 
Breslau d. 28t. März 40.
 
Hochgeehrtester Herr und Freund!
 
Ich lasse nun hiemit den 3ten Brief an Sie abgehen, und zwar nicht ohne Bekümmerniß, da mir seit dem 21sten November, wo ich Kassel verließ, jede Nachricht von Ihnen fehlt. Sind Sie zu sehr mit Geschäften überhäuft? oder wohl gar krank? Das wolle der Himmel verhüten, genug ich weiß vor bangen Zweifeln nicht was ich mir denken soll. Fanden Sie vielleicht meine im vorigen Brief ausgesprochene Bitte, wegen Übersendung eines kleinen Manuskriptes oder irgend eines Blättchens Ihrer Handschrift unbescheiden? so bitte ich sehr um Entschuldigung, es geschah nur aus großer Verehrung meines Freundes des Hr. Organist Räusche in Wismar, die er für Sie hegt, ich wollte ihm damit eine unnennbare Freude bereiten, weil er mir 5 volumniöse Bücher, die nichts als Partituren Ihrer Werke, welche er mühsam aus den Stimmen zusammengetragen, enthielten, übersendet und mich damit so glücklich gemacht hat. Ist es Ihnen0a nun nicht ganz gleichgültig, ob ich mich freue oder betrübe, so senden Sie mir gütigst recht bald einige Zeilen, welche mich von Ihrem und0b Ihrer lieben Familie Wohl benachrichtigen, sonst müßte ich am Ende gar glauben Sie haben mir Ihre unschätzbare Freundschaft entzogen, wovon ich aber auch gar keinen Grund wüßte.
Vor 14 Tagen wurde hier Beethovens 9te Sinfonie sehr gelungen gegeben1 und zu meiner großen Freude fand ich Ihr Urteil darüber vollkommen bestätigt. Auch wurden die Narren, welche jede Idee dieses Komponisten, sei sie auch noch so barock für gigantisch und kolossal halten und sich vor Begeisterung nicht zu lassen wissen, durch das unnmwundene Aussprechen der Meinungen Anderer etwas abgekühlt. Jemand meinte geradezu der letzte Satz gehöre ins Narrenhaus und er bedaure nur, den Abend nicht besser angewendet zu haben. Vorgestern gab Schön ein herrliches Konzert1) Jubel-Ouvertüre v. Weber wurde gut ausgeführt. 2) Arie von Mozart, gesungen von Dem. Freyse-Sessi. 3) Quadrupel-Konzert v. Maurer. 4) Arie von Rossini. 5) Einleitung und Polacka von Schön, sehr gut komponirt und meisterhaft gespielt. Den 2ten Theil füllte Ihre 4te Sinfonie, die vom vereinigten Theater und Konzert-Orchester unter Leitung des sehr tüchtigen Theater-Kapellmeisters Seidelmann auf eine höchst würdige und glänzende Weise ausgeführt wurde und Alles entzückte. Dirigent und Orchester (ich gehörte auch Letzterem [an]) waren aber auch sehr erfüllt und begeistert davon, als ob Sie selbst bei uns gewesen wären; der erste Satz ging sehr schön und glatt, das Andante mit der Vereinigung der 3 Tempis machte sich so klar und deutlich, der Marsch elektrisierte Alles und die Kenner zollten Ihnen die tiefste Verehrung für die eines Seb. Bach würdige Bearbeitung des Ambrosianischen Lobgesanges. Das Militärbegräbnis machte sich schauerlich jedoch beruhigte dann das letzte Allegretto so wehmüthig und tröstend zugleich. Das Tempo nach dem Marsche ließ ich etwas schneller nehmen, wie Sie es wünschen, was sich schön machte. Ihr schönes Spanisches Rondo habe ich vor 8 Tagen mit Schön im Konzert gespielt, es ging sehr gut zusammen. Nun mein verehrter Freund und Gönner leben Sie wohl, und lassen Sie mich nicht länger3 in so peinlicher Ungewißheit. Empfehlen Sie mich den lieben Ihrigen und sonstigen Bekannten.
 
Hochachtungsvoll
Ihr
ergebener
Adolph Hesse.
 
Von meiner Sinfonie erwarte ich bald die letzte Revisions-Korrektur. Ihre 5te besitzte ich auch in Partitur; leider kam sie zu spät hierher um sie noch einüben zu können, und so wird sie die nächste Saison würdig eröffnen.



Dieser Brief folgt auf Hesse an Spohr, 28.02.1840. Spohr beantwortete diesen Brief am 04.04.1840.
 
[0] [Ergänzung 03.12.2021:] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „BRESLAU 6-7 / 28 / 3“, links über dem Adressfeld befindet sich der Stempel „2 APR184[0]“.
 
[0a] [Ergänzung 03.12.2021:] Hier gestrichen: „dahe“.
 
[0b] [Ergänzung 03.12.2021:] „und“ über gestrichenem „oder“ eingefügt.
 
[1] Vgl. E[rnst] K[öhler], „Historische Uebersicht der sämmtlichen Musikaufführungen in Breslau für den Winter 1839-1840”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 42 (1840), Sp. 439ff. und 469f., hier Sp. 439; A[ugust] Kahlert], „Aus Breslau. Musikbericht über den Winter 1839/40”, in: Neue Zeitschrift für Musik 7 (1840), S. 147f., hier S. 147.
 
[2] Vgl. Köhler, Sp. 469.
 
[3] [Ergänzung 03.12.2021:] „länger“ über gestrichenem „ferner“ eingefügt.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Karl Traugott Goldbach (24.04.2015).