Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Taylor, E.:13

London. Regent Square
March 27th 1840
 
Mein geehrter Freund,
 
ich hatte ein Schreiben für Sie fertig, welches sich in den Händen meines Uebersetzers1 befand, als der Ihrige ankam.
Sollte es eines Beweggrunds mehr bedürfen, um mit allen Kräften darnach zu streben, meine Hoffnung auf einen Besuch in Cassel zu realisiren, ich würde diesen in den warmen und schmeichelhaften Ausdrücken der Einladung finden, mit der Sie mich beehren – eine Ehre in meinen Augen größer, als hätte der mächtigste Fürst Deutschland‘s mich zu sich eingeladen. Ich bedaure, daß ich Beides, das Vergnügen, Sie in Aachen zu treffen, und dem dortigen Feste beizuwohnen, aufgeben muß, daß meine Vorlesungen im „Gresham College“ (die an bestimmten Tagen statt finden) nicht vor dem 16. Juni beendigt sein werden. Am 17 indeß hoffe ich London zu verlassen, und sein Sie überzeugt, daß kein2 Engagement, von welcher Art es sei, meiner Absicht störend in den Weg treten soll. -
Die Glieder meiner Familie bitten mich, in deren Namen für Ihre u. Ihrer Frau Gemahlin gütige Einladung die herzlichsten Danksagungen auszusprechen, eine Einladung, der ein jedes gern folgen würde. Ich weiß, daß Nichts ihnen mehr Vergnügen geben würde, als eine Reise nach Cassel, und das Wiedersehen so geliebter, geehrter Freunde, jedoch will dies(???) jetzt sich nicht machen lassen, obwohl sie die Hoffnung auf einen solchen Genuß nicht ganz aufgeben.
Lassen Sie mich jetzt Ihnen für die große Güte und Mühe, die Sie bei der Wahl der mir übersandten Werke gezeigt3, Ihnen meinen besten Dank sagen. Die „Sammlung vorzüglicher Gesangstücke“4 und „Johannes Gabrieli u. sein Zeitalter“5 sind besonders interessant. Das erstere gleicht einem Werke6, welches ich kürzlich herausgegeben habe, nur, daß ich meine Wahl auf die Italienischen Meister des 16. Jahrhunderts beschränkte. Von den früheren Deutschen Componisten kennen wir in England fast Nichts und diese Bände enthalten bedeutende Nachrichten über sie, von denen ich in meinen „Gresham“ Vorlesungen Gebrauch machen werde. ich bin für den Augenblick sehr eifrig mit der Fortsetzung einer Musterung der Englischen dramatischen Musik beschäftigt. Lassen Sie mich denn auch meinen Dank für die Partitur von Jephta, wie Mosel sie änderte, hinzufügen. Ich denke, seine Veränderungen sind im Ganzen anständig ausgeführt. Es ist sonderbar, daß er in Jeptha 2 Chöre aus Debora einführte, welche ich für unser nächstes Musikfest in Norwich beim Samson hinzugefügt habe.
Unser erstes Philharmonisches Concert war am 16. März, wo auch Ihre Symphonie in C moll gespielt ward.7 Es freut mich, sagen zu können, daß diesmal Potter dirigirte, unter dessen Leitung es viel besser vor sich ging als unter Smart‘s.8 Ich brauche nicht hinzuzufügen, daß mein Genuß bei diesem zweiten Anhören größer war, als das erste Mal. Unser Freund Turle saß mir zunächst, der in Entzücken über die Musik ausbrach.
Ich hatte neulich ein Schreiben von der Norwicher Commitee, welche wie Sie voraussetzen können, eifrig wünscht, Ihr neues Oratorium möchte, wie die früheren, zuerst in England bei‘m Norwicher Feste aufgeführt werden. Ich habe ihnen erwiedert, daß die Entscheidung dieser Frage von Ihnen, theurer Freund, abhängen müßte. Sollte ich so glücklich sein, Cassel zu sehen, so können wir über diesen Gegenstand weiter sprechen. Alles, was ich jetzt für die Herausgabe desselben, sei es in Deutschland oder England, keine Anstalten treffen, ohne es mir vorher mitzutheilen. Mein Grund dafür ist, daß: würde es in Deutschland erscheinen, eine Abschrift dann nach England kommen und eine Untersetzung derselben von irgend einer unfähigen Person gemacht werden könnte, auf Speculation unserer Buchhändler, die sich nicht darum bekümmern wie ein Werk gethan wird, wenn es nur so schnell als möglich geschieht. Das beste Mittel, Ihr Werk gegen einen solchen Mißbrauch zu hüten, würde vielleicht dieses sein, mir zu erlauben, daß ich mit Ihnen des Verlagsrechtes wegen, in Unterhandlungen träte, worüber ich sehr glücklich sein würde.
Meine Frau, mein Sohn und meine Töchter vereinigen sich mit mir inden herzlichsten Grüßen an Madame Spoohr und Frau v. Malsburg. Mit der aufrichtigsten Freundschaft u. Hochachtung bin ich, geehrter Freund, ganz
 
der Ihrige
Edward Taylor.



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Taylor. Spohr beantwortete diesen Brief am 17.05.1840.
 
[1] Taylor ließ den deutschen Text seiner Briefe durch seine spätere Schwiegertochter Meta geb. Dochow schreiben (vgl. Taylor an Spohr, 03.11.1840).
 
[2] „kein“ über der Zeile eingefügt.
 
[3] Vgl. Taylor an Spohr, 07.11.1839.
 
[4] Sammlung vorzüglicher Gesangstücke der anerkannt-grössten zugleich für die Geschichte der Tonkunst wichtigsten die eigene höhere Ausbildung für diese Kunst und en würdigsten Genuss an derselben fördernsten Meister der für Musik entscheidensten Nationen, hrsg. v. F[riedrich] Rochlitz, Bd. 1, Mainz u.a. [1839].
 
[5] C[arl] von Winterfeld, Johannes Gabrieli und sein Zeitalter. Zur Geschichte der Blüthe heiligen Gesanges im sechzehnten, und der ersten Entwickelung der Hauptformen unserer heutigen Tonkunst in diesem und dem folgenden Jahrhunderte, zumal in der Venedischen Tonschule, Berlin 1834, Bd. 1 und Bd. 2.
 
[6] Noch nicht ermittelt.
 
[7] Vgl. „The Philharmonic Society“, in: Musical World 13 (1840), S. 161.
 
[8] Vgl. Taylor an Spohr, 11.02.1840.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (18.12.2018).