Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Kleinwächter,L.:25

Prag den 25t Merz 1840.
 
Hochgeehrter Herr!
 
Schon längst wollte ich Ihr liebes letztes Schreiben vom 30t Dezember vorigen Jahres beantworten; allein ich war die ganze Zeit her so in Anspruch genommen, dasz mir so gut als kein freier Augenblick für mich selbst zur Disposition übrig blieb. Darum also erst itzt!
Sie erhalten durch den mit diesen Zeilen abgehenden Postwagen, ein Exemplar meiner – schon vor längerer Zeit im Stich erschienenen – Motette, die Ihnen schon bekannt ist. Zugleich bin ich so frei, Ihnen die Stimmen meines zweiten Streichquartettes beizulegen. Ich schicke Ihnen dieselben Stimmen, aus welchen bei der Pixis‘schen Soirée im vorigen Herbst gespielt wurde1, sie sind zwar etwas abgegriffen, allein ich habe keine Zeit, die neu geschriebenen Stimmen itzt genau zu korrigiren, und will die Mittheilung der Sache an Sie nicht länger aufschieben. In der Prim-Stimme werden sie einige Vide‘s finden, die Pixis darum anbrachte, um durch das Umwenden nicht genirt zu sein, worauf der Copist nicht gehörig Bedacht genommen. Ich bin ungemein begierig, Ihr Urtheil darüber zu vernehmen. Die hiesigen Kunstkenner schienen mir damit sehr einverstanden, und mir selbst kömmt es in vieler Beziehung besser vor, wie das erste. Morgen wird der Fasten-Quartett-Cyklus bei Pixis beginnen; er war so freundlich, mein erstes Quartett – welches nächstens bei Breitkopf erscheint – wieder zur Production zu wählen.2 Auch von Veit kömmt ein ganz neues Quartett – nach Manuscript – daran. Von Ihnen wird das herrliche Nonett mit Streich- und Blas-Instrumenten gegeben.3 Der Curiosität wegen lege ich ein Textbüchel Ihrer hier ins Böhmische übersetzen: „Jessonda4 bei, welche vor Kurzem hier in böhmischer Sprache mit sehr groszem Beifalle – das böhmische Theaterpublicum ist ein ganz anderes, wie das teutsche – gegeben worden ist. Auch ein anderes Curiosum finden Sie in diesem Briefe selbst eingelegt, einen weitern Beweis, wie popular Sie hier in Böhmen geworden. Mir kam letzhin ein Zuckerwerk-Enveloppe in die Hände, welche eine Theater-Annonce in Zeichenschrift - „Faust von Spohr“ - darstellt, welche ich Ihnen in Originali zu übersenden so frei bin. Haben wir hier nicht musikkundige Zuckerbäcker? Das Project, welches ich Ihnen in meinem letzten Schreiben mittheilte die bestimmte Wiederholung Ihres Oratoriums: „Des Heilands letzte Stunden“ - kam leider nicht zur Ausführung, indem zur Zeit der letzten Weihnachten, wo die Production statt haben sollte – Kapellmeister Skraup krank war, und man die Sache mit einem andern Dirigenten nicht geben wollte. In dem ersten Concerte des Conservatoriums ward letzthin ihre 5t Symphonie gegeben.5 Die Production stehende Mängel abgeschwächt, die aber beim gröszten Theile des Publicums verloren gehen – recht brav, und dem Beifall recht lebhaft. Die Symphonie ist aber auch ausnehmend schön! Ich kannte sie schon vor der Prodcution aus der Partitur genau, war überdisz bei mehren Proben, hatte sohin einen erhöhten Genusz. Auch Ihre Ouverture zu Mackbeth wurde vor Kurzem in einem Conczerte hier recht gut gegeben, und wieder sehr beifällig gehört. In demselben Conzerte sang Stracaty Ihre „Mitternacht“ aus dem Paul‘schen Album mit vielem Beifall Auch Ihre Clarinette-Lieder werden hier sehr viel gesungen, und sprachen hier ganz besonders an.6 Von mir wurde letzthin in einem Concerte ein Ständchen gegeben, welches ich für eine Baryton-Stimme und ein obligates – eigentlich schon konzertantesCello mit Begleitung des Orchesters geschrieben. Ich war sehr begierig auf die Aufnahme, weil die Behandlung eines Liedes in dieser Weise etwas ungewöhnlich ist. Ich war mit dem Effekt und der Aufnahme recht sehr zufrieden.7 Wenn Sie die Sache für Ihre Concerte brauchen können, so werde ich Ihnen ein Copie sehr gerne mittheilen. Nun muß ich bemerken, dasz der Cellist ein gewandter Conzert-Spieler sein musz, indem die Schwierigkeit für ihn dadurch steigt, dasz er sich mit seiner Figuration immerwährend der Singstimme anzuschließen hat. Auch müssen die Bläser sehr diskret begleiten. Gegenwärig habe ich eine neue Ouvertüre in der Arbeit, einige Bonbon‘s für Clavier sind beendet, und an der Messe wird langsam fortgesetzt. Sie sehen, hochverehrter Herr, dasz ich in der Kunst so viel thue, als meine durch Jurisprudenz beschnittene Zeit nur erlaubt, freilich geht darum doch alles nur langsam vorwärts!
Freund Kittl war bei der Aufführung seiner Jagd-Symphonie in Leipzig8 selbst zugegen, und war ungemein erfreut über die günstige Aufnahme, die er, und sein Werk dort gefunden.9 Ich danke Ihnen sehr für die freundliche Vermittlung, der wir allein diese Freude zuschreiben können. Gegenwärtig ist Kalliwoda hier, vielleicht giebt er ein Conzert. Liszt hat uns vor kurzem verlassen, nachdem er im Prager Publikum einen wahren Allarm hervorgebracht.10 Er ist aber auch auf einer Stufe taufrischer Vollendung, wie man sie kaum träumt. Leider sind die Compositionen, die er vorträgt – insbesondere seine eigenen Schmiralien – grösztentheils so miserabel, dasz der Genuß im Spiel halb verloren geht. Indessen spielt er auch gute Sachen, so z.B. hat er in seinem AbschiedsConcert das Himmel‘sche Hmoll Conzert zum Entzücken aller Kenner und Laien gespielt.
Mendelsohn‘s 42ter Psalm „Wie der Hirsch schreit“ kam letzhin in einem Concerte unter Leitung unseres um die teutsche Musik hier sehr verdienten Kapellmeister Skraup zur Aufführung.11 Das Werk war mit besonderem Fleisz eingeübt, und sprach ungemein an. Man sieht einer balden Wiederholung entgegen. Ich kannte den Psalm genau – da wir ihn am Clavier bereits privatim – bei Ruziczka – gegeben hatten – war aber doch ausnehmend überrascht von dem Effekt des Werks mit vollem Orchester. Auch im Theater hört man itzt hier – vornehmlich durch Verwendung Skraup‘s – mehr solides. So kam Herrn Marschner‘s Templer12, Reissiger‘s Felsenmühle13, so endlich Cherubini‘s Medea14– ein prachtvolles Werk! - zur Aufführung.
Das Kinderfreund‘sche Institut scheint einen sehr stillen Gang zu gehen, ich glaube nicht, dasz es für die hiesige Musik Epoche machen wird. Indessen Herr Happ – der mich eigentlich allein daran interessirt – scheint sich wohl zu befinden, um das Weitere mag sich Herr Kinderfreund selbst sorgen! Herrn Happ habe ich Ihnen Grüsse gemeldet; er erinnert sie dankend, und schreibt nächstens selbst.15 Nun noch eine Bitte! Könnte ich nicht die Partitur von dem Bass-Lied: Du schöner Mannn“ ich glaube es ist aus dem „befreiten Teutschland“, und die Partitur von Ihrer Musik zu Makbeth – die Ouvertüre ausgenommen erhalten? Um ersteres hat mich Strakaty sehr gebeten, der es in einem Concerte singen möchte; die Musik zu Mackbeth wünschte ich aber darum, weil ich hoffe, sie hier durch Skraup16 zur Aufführung bringen zu können, da die Tragödie öfter gegeben wird, und man die Musik gewisz sehr genau dazu geben würde. Wenn es Ihnen möglich, meine Bitte zu gewähren, so wollen Sie vor Uiberschickung17 zu wissen geben was die Copiatur kostet, und18 in welcher Weise ich Ihnen die Copiatur-Auslagen zu vergüten hätte? Wollen Sie die Mackbeth-Musik ohne besonderes Honorar nicht aus den Händen geben, so bitte ich, mir den Betrag zu schreiben, ich würde dann mit Stöger unterhandeln. Für jedenfall soll der Gebrauch nur für hier beschränkt bleiben, und keine weitere19 Copie davon genommen werden.
Nun leben Sie wohl, wir sind es hier Alle gleichfalls. Ich bleibe
 
mit unbegränzter Ergebenheit
Ihr
Louis Kleinwächter
 
Die herzlichsten Grüsse vom ganzen Hause Kleinwächter für Sie und Ihre verehrte Gemahlin folgen mit. So eben erfahre ich, dasz Mackbeth nach20 Ostern hier gegeben werden soll, zu welcher Zeit Rott aus Berlin gastirt21, ich ersuche daher um möglichst schnelle Antwort. Zugleich muß ich bemerken, dasz die Notensendung erst in einigen Tagen nachfolgen wird, indem ich die Stimmen von meinem Quartett für nächsten Montag brauche.



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief von Spohr an Kleinwächter, 28.11.1839. Mit diesem Brief endet diese Korrespondenz, da Kleinwächter im Juli 1840 starb. Allerdings folgt diesem Brief noch ein derzeit verschollenes Kondulenzschreiben an Kleinwächters Vater Ignaz, 29.07.1840.
 
[1] Vgl. A.M., „Die Quartette des Herrn Prof. Pixis“, in: Bohemia 15.12.1839, nicht paginiert.
 
[2] Vgl. B., „Quartette des Prof. Pixis“, in: ebd. 31.03.1840, nicht paginiert.
 
[3] Vgl. B., „Quartette des Prof. Pixis“, in: ebd. 14.04.1840, nicht paginiert.
 
[4] Jessonda. Zpěwohra we 3 děgstwjch od Emanuele Gehe, do hudby Ludwjka Spohra zčeštěná od Jana Nep. Štěpánka, Prag 1840.
 
[5] Vgl. „Uiber die erste Akademie des prager Conservatoriums“, in: Bohemia 20.03.1840, nicht paginiert.
 
[6] Vgl. A.M., „Musikalische Akademie vom 31. Jänner“, in: ebd. 02.02.1840, nicht paginiert.
 
[7] Vgl. „Concert für das israelitische Hospital“, in: ebd. 22.03.1840, nicht paginiert.
 
[8] „in Leipzig“ über der Zeile eingefügt.
 
[9] Zum Konzert am 09.01.1840 vgl. †, „Leipzig, den 11. Januar 1840.“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 42 (1840), Sp. 52ff., hier Sp. 53; [Robert] S[chumann], „Musikleben in Leipzig während des Winters 1839/40“, in: Neue Zeitschrift für Musik 12 (1840), S. 139f., 143f., 151f., 154f. und 159f., hier S. 140.
 
[10] Vgl. A.M., „Uiber Liszt‘s Concerte vom 5. und 6. März, in: Bohemia 08., 10., 13., 15. und 17.03.1840, nicht paginiert.
 
[11] Vgl. A.M., „Musikalische Akademien zu wohthätigen Zwecken“, in: ebd. 27.03.1840, nicht paginiert.
 
[12] Vgl. „Theaterbericht vom 6. bis 8. Jänner“, in: ebd. 10.01.1840, nicht paginiert.
 
[13] Vgl. „Vorbericht zur Aufführung der Felsenmühle von Estalieres von Miltiz und Reissiger“, in: , ebd. 22.und 27.03.1840, nicht paginiert; „Theaterbericht vom 31.März“, in: ebd. 03.04.1840, nicht paginiert.
 
[14] Vgl. „Vorbericht zur Produktion der Oper Medea“, in: ebd. 31.01.1840, nicht paginiert; „Theaterbericht vom Monat Jänner“, in: ebd. 02.02.1840, nicht paginiert; „Theaterbericht vom 6. und 7. Februar“, in: ebd. 09.und 11.02.1840, nicht paginiert; „Theaterbericht vom 7. Februar“, in: ebd. 14.02.1840, nicht paginiert.
 
[15] Vgl. Wilhelm Happ an Spohr, 17.04.1840.
 
[16] „durch Skraup“ über der Zeile eingefügt.
 
[17] „vor Uiberschickung“ über der Zeile eingefügt.
 
[18] „was die Copiatur kostet, und“ über der Zeile eingefügt.
 
[19] „weitere“ über der Zeile eingefügt.
 
[20] „nach“ über gestrichenem „zu(?)“ eingefügt.
 
[21] Vgl. „Uiber das Gastspiel des Herrn Rott“, in: Bohemia 26.04., 01., 03., 05. und 19.05.1840, nicht paginiert.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (06.05.2019).