Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. Wohlgeborn
den Churfürstlich hessischen Hofkapell-
Meister
Herrn Dr. Louis Spohr
zu
Cassel

fr1


Aachen d 19ter März 1840.

Hochgeehrter Herr Kapellmeister!

Durch Herrn Ignaz van Houten werden Sie wohl schon erfahren haben2, ds3 ich die Proben zum Musikfest leite4, u dadurch das Vergnügen habe unter Ihrer Direktion zu wirken; recht sehr freue ich mich darauf, u ich hoffe ds Sie mit Ihrem zweiten Direktor zufrieden sein werden. Die Thelnahme hier für das Fest ist sehr groß, unser Chor zählt fast schon über 300 Stimmen; die Chöre gehen schon ziemlich gut zu dem Judas Maccabäus; künftige Woche hoffe ich Ihr Vater Unser anfangen zu können; die Chor Stimmen werden jetzt lithographirt, u sollen wir sie bis zum Montag erhalten. Für den zweiten Tag hat man die Cantate von Mozart No 9, Oder, Ewiger erbarme dich, u würde die Comitté Ihnen wohl dieser Tage dieselbe zuschicken, um Ihre Genehmigung dazu zu erhalten. Das Werk ist ein frühes von Mozart, u hat wohl hie und wieder Schwächen, jedoch athmet Mozarts Geist doch darin, u ich glaube dß es gut ausgeführt doch seine Wirkung nicht verfehlen wird, wenigstens bey dem Musikfest in Halle hat es sehr gefallen.
Meine Frau u Tochter sind seit Januar vorigen Jahres hier u freuen sich mit mir, ds wir das Vergnügen haben werden Sie zu Pfingsten hier zu sehen. Ich habe das Theater verlassen; man redete mir zu hier Unterricht zu geben; u ich habe dies dahin gefolgt, und bereue es nicht; ich habe so viel Lectionen zu geben, u ich fürchte daß keine mehr annehmen kann5; meine Compositionen gefallen hier außerordentlich, was kann ich also mehr wollen? – Vor kurzem führte ich eine neue Messe für Männerstimmen, Harmonie Musik, Violoncell, u Contrabässe auf, die außerordentlich gefallen hat6; ich bin so frey Ihnen eine Anzeige darüber aus der Berliner Zeitung mitzutheilen7; Ostern werde ich eine andere neue Messe aufführen, u will nun wünschen, ds auch die, wie meine anderen Messen gefallen möge.
Eine fernere Bitte habe ich zuletzt noch an Sie, geehrter Herr Capellmeister: Bey allen Musikfesten hat am zweiten Tag der zweite Direktor auch etwas dirigirt; ich habe hier mir den Ruf erworben kein schlechter Dirigent zu sein; auffallen wird es daher, wenn ich nichts dirigire; von Ihnen hängt es ab, ob mir die Ehre zu Theil wird; Ihnen kann es ja nicht daran liegen, ob Sie eine Nummer mehr oder weniger dirigiren; wenn Sie also mir dazu verhelfen wollten, so müßten sie dem Comitté den Vorschlag dazu machen, ds ich z. B. die Ouverture von Cherubini8, oder die Cantate von Mozart leite; wenn Sie die Gefälligkeit haben dies zu thun, so bin ich überzeugt ds die Comitté es augenblicklich genehmigt; ich habe darüber mit mehreren privatim gesprochen, & man hat mir gerathen mich deshalb an Sie zu wenden; ich überlasse Ihnen, geehrtester Herr Capellmeister, das zu thun, was Sie nach eingegangenen Erkundigungen für gut u recht halten; Sie können überzeugt sein, ds Sie mit Ihrer Empfehlung Ehre einlegen werden.9
Indem sich meine Frau u Tochter Ihnen u Ihrer geehrten Frau Gemahlin bestens empfehlen lassen, sehe ich einer gefälligen Bestimmung Ihrer Seits entgegen, u zeichne mich Hochachtungsvoll

Ew. Wohlgeboren
ergebenster
CGirschner
Capellmeister.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Girschner an Spohr, 13.04.1838. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Girschner an Spohr, 17.08.1845.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts unten der Poststempel „AACHEN 7-8 A / 20 / 3“, auf der Rückseite des zusammengefalteten Briefumschlags der Stempel „23MERZ[18]40“.

[2] Noch nicht ermittelt.

[3] Sic!

[4] Vgl. „Aachen, den 20sten Mai“, in: Neue Zeitschrift für Musik 12 (1840), S. 199; „Aachen, 9. Juni“, in: Stadt-Aachener Zeitung 27.04.1840, nicht paginiert.

[5] Vgl. „Aachen, 27. April“, in: ebd. 27.04.1840, nicht paginiert.

[6] Vgl. „Aachen“, in: ebd. 08.02.1840, nicht paginiert.

[7] Noch nicht ermittelt.

[8] Medea (vgl. Ferdinand Rahles, „Das Musikfest zu Aachen“, in: Neue Zeitschrift für Musik 13 (1840), S. 3f. und 11f., hier S. 3 und 12).

[9] Bislang fehlt jeder Beleg, dass Girschner beim Musikfest selbst dirigierte.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (10.10.2022).