Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: Harald Pfeiffer, Heidelberger Musikleben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (= Buchreihe der Stadt Heildeberg 1), Heildeberg 1989, S. 258 (teilweise)

Heidelberg 15 Merz 1840.

Verehrtester Herr!

Wenn ich es wage, Ihnen einige Zeilen zu senden, so geschieht es mit dem dankbarsten Gefühle für die höchst ehrende Bemerkung, welche Sie meiner Composition des 130sten Psalms haben zu Theil werden lassen.1 Ich hatte in Wahrheit dieselbe keineswegs vermuthet, um so reiner konnte auch meine Freude seyn, als ich durch H. Hofrath Dr. Schilling die Nachricht erhielt. Erst jetzt auf Ihren richterlichen Ausspruch mich stützend, glaube ich meiner Arbeit einige Gelltung beilegen zu dürfen. Es ist dieß von sehr hohem Werthe für mich, da ich an einem Orte lebe, von dem aus es schwer ist, meine Compositionen der Oeffentlichkeit zu übergeben, und so meinen Namen der musikalischen Welt näher zu bringen, was auch durch meinen Wirkungskreis, der sich nur auf Dilettanten beschränkt, eben so wenig geschehen kann.
Es sind die Werke der besten Meister bis zu neuesten Zeit herab, durch die ich mich heranzubilden und zu erkräftigen suchte, und daß unter denselben Ihre Werke, verehrter Meister, so viel ich davon kennen zu lernen und zu studiren Gelegenheit hatte, einen bedeutenden Einfluß auf meine musikalische Ausbildung und die Richtung meines Geschmackes ausgeübt haben, fühle ich zu tief, als daß es mir beikommen könnte, Ihnen, indem ich dieß ausspreche, nur schmeicheln zu wollen, denn ich habe das Bewußtseyn, deutliche Rechenschaft hierüber geben zu können.
Die Wahl des Gegenstandes für die nun erledigte Preis-Bewerbung war für den Deutschen National-Verein, der in Ihnen seinen Präsidenten verehrt eine höchst würdige, indem sie gewiß dazu beigetragen hat, den Sinn für das rEchte und Wahre in der Musik erregen und fördern zu helfen. Möge nun auch meine Arbeit, die durch dieselbe hervorgerufen worden ist, Einiges dazu beitragen zu beweisen, daß jener Sinn ungeachtes des vielen modischen und sogar verwerflichen Treibens noch nicht erloschen ist.
Mit den Gefühlen der wahrsten Verehrung empfiehlt sich

Ihrer Gewogenheit
ganz ergebenst
L. Hetsch.

Autor(en): Hetsch, Louis
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Schilling, Gustav
Erwähnte Kompositionen: Hetsch, Louis : Psalm 130
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Deutscher Nationalverein für Musik und ihre Wisenschaft <Stuttgart>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1840031543

Spohr



[1] Hetsch war der Gewinner des 1840 ausgeschriebenen Kompositionswettbewerbs des Deutschen Nationalvereins für Musik und ihre Wissenschaft (vgl. „Referat über den letzten Preisconcours“, in: Jahrbücher des Deutschen Nationalvereins für Musik und ihre Wissenschaft 2 (1840), S. 89f.).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (20.07.2022).