Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Taylor, E.:11

à Monsieur
M le Docteur Louis Spohr.
à Hesse-Cassel
Alemagne


3 Regent Square. London
Dec 17. 1839.

Hochgeehrtester Freund,

Ihr sehr willkommenes Schreiben vom 2. December traf hier gestern ein, und ich verliere keine Zeit, es zu beantworten, in dem ich morgen früh nach Manchester und Liverpool1 abgehe, um bei den dortigen Institutionen während der nächsten sechs Wochen Vorlesungen zu geben. Es thut mir leid, daß diese Abwesenheit von London mich des Vergnügens berauben wird, der Probe Ihrer Symphonie beizuwohnen. Indessen bin ich überzeugt, daß alle Mitglieder der Philharmonischen Gesellschaft, und namentlich diejenigen, welche sowohl das Privilegium als das Vergnügen Ihrer persönlichen Bekanntschaft in Norwich genossen, ihr Möglichstes bei der Aufführung der Composition thun werden. Mein Freund Horsley sagte mir, sie sei angekommen. –
Es freut mich unbeschreiblich, zu sehen, daß die Worte zu „der Fall Babylons” Ihren Beifall haben, und daß Sie dieselben für würdig halten, mit den Inspirationen Ihres Genies vereinigt zu werden. Welche Veränderungen Sie nothwendig finden mögen, ich bitte, sie ohne Umstände vorzunehmen. Was Ihre Sorgfalt betrifft, in der deutschen Uebersetzung die Bibelverse, so wie die Orientalische Färbung des Textes beizubehalten, so habe ich mich gewissenhaft bemüht, dieses ebenfalls in der Englischen Uebertragung Ihrer Oratorien wiederzugeben. Welche eine Schwierigkeit dies ist, weiß ich aus Erfahrung, u es kann diese Arbeit nur einem Solchen gelingen, der die eigenthümliche Sprache der Bibel und der Charater der Hebräischen Poesie gleich gut kennt.
Ihre gütige Aufmerksamkeit in Hinsich der Bücher erkenne ich dankbar – Boosey wird sie mir zukommen lassen. Meinen herzlichsten Dank ebenfalls für Händel’s Jephta mit Mosel’s Instrumentation. Wage ich nicht zu viel auf Ihre Güte, indem ich Sie bitte, mir dessen Ausgabe des Händelschen Samson in der Partitur, sollte sie noch nicht im Stich erschienen sein, zu besorgen? Es ist meine Absicht Samson beim nächsten Norwicher Musikfeste aufzuführen, und ich mag vielleicht Mosel’s Uebertragung gut zu diesem Zwecke nützlich für mich finden. Ich denke Samson nicht gerade so aufzuführen, wie Händel ihn schrieb, sondern ihn vielmehr als Basis zu einem anderen Oratorium zu gebrauchen, wozu er indeß fast alle Musik liefern wird. Zu dieser Veränderung treibt mich keineswegs Mangel an Ehrfurcht für Handel’s Talent, sondern vielmehr das Gegentheil. Den Samson so aufzuführen, wie er ihn schrieb, hieße dem Publikum nicht nur seine Kraft, sondern auch einen großen Theil seiner Schwäche vor’s Auge bringen. Ein zweiter wichtiger Grund für eine Veränderung ist der folgende: die Worte dieses Oratoriums sind wie es heißt, aus Milton’s „Samson Agonistes” genommen, und theilweise ist dies mehr. Jedoch Milton’s erhabenes Gedicht ist auf eine jämmerliche Weise bei dem (man weiß nicht wer es ist) der für Händel den Text seines Oratoriums schrieb, entstellt und geschwächt worden. Meine Absicht nun ist, so viel als möglich, Miltons Worten treu zu bleiben, meine Sammlung der Italiänischen Opern von Händel werde mir hinreichend Musik liefern. Der Styl der Händelsche Operngesänge weicht nicht von dem seiner Gesänge in den Oratorien ab, und in Hinsicht ihrer Vortrefflichkeit behaupten sie einen durchaus gleichen Rang, da die meisten für Nicolini, Strada, Senesino, Faustina, Cuzzoni und die berühmtesten Europäischen Sänger der damaligen Zeit geschrieben sind. In mehren von Händel’s vernachlässigten Oratorien befinden sich einige seiner besten Chöre, welche ich in das Oratorium hineingeben werde, welches ich hervorzubringen gedenke. Mit der Hülfe zweiter so großer Männer, Milton als Dichter und Händel als Componist, muß ich wohl hoffen, etwas Tüchtiges zu liefern.
Ich werde London morgen früh verlassen und diesen Brief, nachdem er übersetzt worden ist, nicht zurückerhalten, weshalb ich die Uebersetzerin2, mein Secretair für auswärtige Angelegenheiten gebeten habe, für mich zu unterzeichnen.
Wir alle senden unsere herzlichsten Grüße an Sie, Madame Spohr, so wie an Frau v. Malsburg. Empfangen Sie von mir die Versicherung meiner innigsten Freundschaft und Hochachtung

Stets der Ihrige
Edward Taylor.



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief Spohr an Taylor, 02.12.1839. Spohrs Antwortbrief ist derzeit ebenfalls verschollen.

[1] Sechs Vorträge zur frühen englischen Oper (vgl. Report of the Directors of the Liverpool Mechanics Instition [...] to the Annual Meeting of the Members, March 11, 1840 [...], Liverpool 1840, S. 30).

[2] Den deutschen Text dieses Briefs schrieb Taylors spätere Schwiegertochter Meta geb. Dochow (vgl. Taylor an Spohr, 03.11.1840).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (18.12.2018).