Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,181
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 214f. (teilweise)

Sr. Wohlgeb
Herrn Wilhelm Speyer
in
Frankfurt a/m


Cassel den 12ten
November 39.

Geliebter Freund,

Ihren Auftrag habe ich sogleich besorgt und für Herrn Metzler den besten der fertigen Bögen ausgesucht. Hoffentlich wird er mit meiner Auswahl zufrieden seyn.
Es wird unnöthig sein, Ihnen nun noch über die Englische Reise zu berichten, da fast alle englischen Zeitungen weitläufige Berichte über das Norwicher Musikfest und meinen Antheil daran enthalten und diese gewiß häufig in Frankfurt gelesen werden. Hieher sind die Times1 und der Spectator2 gekommen und unsere Zeitung3 hat Auszüge daraus gegeben. Auch höre ich, daß die Preußische Monatszeitung4 und eine Berliner Zeitung5 Auszüge aus Englischen Blättern enthalten, doch habe ich sie noch nicht selbst gelesen. Das Wichtigste Erfreulichste für mich war, daß mein Oratorium sehr gut ging (besonders von Seiten der Solosänger, bey denen in der That nichts zu wünschen übrig blieb) und einen so tiefen Eindruck machte, wie ich ihn nie erlebt habe. Meine Frau, die mitten im Publikum saß, versicherte, es sey in ihrer Nähe beym 2ten Theil kein Auge trocken geblieben, da aber die englische Sitte verbietet, bey einer Oratorium-Aufführung Beyfall zu geben6, so äußerte sich dieser erst am Abend desselben Tages, als ich in das Orchester trat, um meine Ouverture aus Faust und einige Gesangstücke von mir, welche die Sänger gewählt hatten, zu dirigiren. Einen solchen Beyfallsturm habe ich aber nie erlebt und hatte ihn am wenigsten bey den Engländern erwartet. Ebenso hat es mich überrascht, daß mein Spiel, dem sämtliche Kunststücke der neuesten Schule abgehen, so goutirt und so höchst günstig in den Blättern beurtheilt wurde. –
Für Ihre Mozartstiftung werde ich recht gern auch eine kleine Kompos[ition] liefern, doch muß ich noch um ein wenig Geduld bitten, da ich erst in diesen Tagen ein Lied für das Mozartalbum7, was zum Besten des Denkmals herauskommt und ein anderes für die Sammlung der Rheinsagen abgeliefert habe8, wozu ich mich schon frühere Zusagen verpflichtet hatten. – Meine historische Sinfonie habe ich auf ein Jahr an die Philharmonische Gesellschaft in London verkauft. Für das nächste Musikfest in Norwich habe ich ein Oratorium9 zu schreiben übernommen, wozu ich den englischen Text schon [zuge]schickt erhalten habe. Ich lasse ihn jetzt übersetzen und werde dann die Arbeit gleich beginnen.
An die lieben Ihrigen die herzlichsten Grüße.

Mit wahrer Freundschaft stets ganz der Ihrige
Louis Spohr.



Dieser Brief ist die Antwort auf Speyer an Spohr, 18.10.1839. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 24.05.1840.

[1] „The Norwich Musical Festival”, in: Times 21.09.1839, S. 5.

[2] „The Norwich Music Festival”, in: Spectator 12 (1839), S. 897ff., hier S. 897f.

[3] Noch nicht ermittelt.

[4] Noch nicht ermittelt.

[5] Noch nicht ermittelt.

[6] Zur Rezeption von Des Heilands letzte Stunden in Norwich 1839 vgl. zusammenfassend: Karl Traugott Goldbach, „,... dass die dabei gehaltene Predigt großentheils gegen sein Oratorium gerichtet war'. Zur Rezeption von Des Heilands letzte Stunden in Großbritannien”, in: Die Oratorien Louis Spohrs. Kontext - Text - Musik, hrsg. v. Dominik Höink, Göttingen 2015, S. 307-339, hier v.a. S. 308-312.

[7] „Unterwegs” [WoO 101], in: Mozart-Album. Zweite Abtheilung enthält Gesänge für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte, hrsg. v. August Pott, Braunschweig [1842], S. 76f.

[8] „Die Sieben Schwestern” [WoO 102], in: Rheinsagen und Lieder [...], H. 5, Bonn [1840], S. 2-9.

[9] Der Fall Babylons.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (10.03.2016).

Cassel, 12. November 1839.

... Es wird unnötig sein, Ihnen nun noch über die Englische Reise zu berichten, da fast alle englischen Zeitungen weitläufige Berichte über das Norwicher Musikfest und meinen Anteil daran enthalten und diese gewiß häufig in Frankfurt gelesen werden.
... Das Wichtigste und Erfreulichste für mich war, daß mein Oratorium sehr gut ging, besonders von Seiten der Solosänger, bei denen in der Tat nichts zu wünschen übrig blieb, und einen so tiefen Eindruck machte, wie ich ihn nie erlebt habe. Meine Frau, die mitten im Publikum saß, versicherte, es sei in ihrer Nähe beim zweiten Teil kein Auge trocken geblieben, da aber die englische Sitte verbietet, bei einer Oratorium-Aufführung Beifall zu geben, so äußerte sich dieser erst am Abend desselben Tages als ich in das Orchester trat, um meine Ouvertüre aus ,Faust’ und einige Gesangstücke von mir, welche die Sänger gewählt hatten, zu dirigieren. Einen solchen Beifallsturm habe ich aber nie erlebt und hatte ihn am wenigsten bei den Engländern erwartet. Ebenso hat es mich überrascht, daß mein Spiel, dem sämtliche Kunststücke der neuesten Schule abgehen, so gefiel und so höchst günstig in den Blättern beurteilt wurde. –
Für Ihre ,Mozartstiftung’ werde ich recht gern auch eine kleine Komposition liefern, doch muß ich noch um ein wenig Geduld bitten ... Meine ,Historische Sinfonie’ habe ich auf ein Jahr an die Philharmonische Gesellschaft in London verkauft. Für das nächste Musikfest in Norwich habe ich ein Oratorium zu schreiben übernommen, wozu ich den englischen Text schon erhalten habe. Ich lasse ihn jetzt übersetzen und werde dann die Arbeit gleich beginnen ...