Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Prag, den 11 November 1839.

Wohlgeborner Herr,
Hochgeehrtester Doctor und Kapellmeister!

Da Sie hoffentlich gesund und wohl wieder von England zurück sind, so bin ich so frei, von Ihrer gütigen Erlaubniß, an Sie schreiben zu dürfen, Gebrauch zu machen. Vor allen Dingen nehmen Sie meinen aufrichtigste Gratulation zu dem glücklichen Erfolge Ihrer Reise, der mir durch hiesige Blätter bekannt wurde, und der Ihren schon unsterblichen Rufe nicht allein die Krone aufsetzt, sondern ihn auch noch um ein bedeutendes Zeugniß hinsichtlich Ihrer großen Leistungen vermehrt. Am 29sten Sept. traf ich hier ein und am 1sten October trat ich meinen Beruf an.1 Herr Kinderfreund, der sich über meine Ankunft um so mehr freute als hier das Gerücht war, ich käme nicht, machte mich gleich mit meinen Schülern bekannt, deren ich jetzt schon 36 habe, und noch täglich kommen welche hinzu. Das Institut zählt jetzt schon 170 Schüler, für Gesang, Violine, Clavier, Guitarre, Cello, Flöte, Bassa und ist in einem der schönsten Häuser, welches dem Herzog Carl v Oestreich gehörte. Es ist Ihnen bekannt, daß alles angewendet würde um die Entstehung desselben zu hintertreiben. Nur einiges will ich erwähnen was vorgegangen sein soll. Als selbst der Präses des Conservator‘s, Graf Schönborn, einsah, daß der Bewilligung nicht mehr entgegen zu stellen sei, äußerte er „Kinderfreund soll es wagen mit uns, er wird es einsehen, was es heißt!“
In diesem Sinn handelte auch Pixis, indem alles öffentlich verhandelt wurde, trumphirte er im Theater, „er habe den Kleinwächter hinausschreiben lassen, und dadurch dem Kinderfreund den Weg verkeilt, denn nun käme gewiß keiner von Spohr!“ Nach Ihrer Antwort2 an H. Kleinwächter aber, soll er die Flügel haben hängen lassen und gesagt haben; leider sey der Contract schon unterschrieben, er (als ich) könne nun doch. Nun gingen die Cabale auf andere Art los. Mein Direktor, der einen Violinspieler3 aus dem Theater contrachierte, erhielt noch den Tag vor der Eröffnung von jenem das Versprechen, daß er eintreten werde; allein von Pixis bearbeitet ließ er aus Furcht von jenem sagen, er könne nicht eintreten. Jedoch der Direktor hatte bei der Stadthauptmannschaft den gehörigen Weg gefunden, da´der Bassist gleich kommen müßte. Der Professor des Cello welcher ebenfalls am Theater ist4, ist gleichsam vom ganzen Orchester geächtet; kurz Sie können sich keinen Begriff machen, wie gemein und wiederlich die Kabalen von Seiten dieser Musiker ausgeführt worden und und werden. Bis zur Stunde wagen sie sich aus Rücksicht Ihrer gütige Empfehlung nicht an mich. Uebrigens kann ihnen alles nichts helfen, indem mein Direktor zu viel Energie und Protection hat. Ich bin wirklich erstaunt, mit welcher Umsicht und Scharfsinn er den Plan dazu angelegt und ohne fremde Hülfe ausgeführt hat. Er ist sehr rechtlich und hat hier deßhalb auch viel Freunde, besonders bei allen Behörden, denen ich allen vorgestellt wurde, und die ganz für dss Institut sind und es unterstützen, wo es nöthig ist. Der Protector, Fürst Rohan5, von dem ich sehr liebevoll empfangen wurde, ist ein sehr liebenswürdiger und wirkungsfähiger Mann hier, der auch Pixis schon einmal ordentlich zurecht gesetzt hat. Als mich Herr Kleinwächter letzterem im Conservator während des Unterrichts vorstellte, wurde er bei meinem Eintritt so bestützt, daß er einen Kopf wie ein Welscher Gähe(???) bekam. Jedoch wußte er sich bald zu fassen und war sehr artig, äußerte auch in Gegenwart der Schüler, „er bedaure nur, daß ich unter einem Director stehe, den Niemand achten könne. Es sey zwischen ihm und jenem schon zu persönlichen Beleidigungen gekommen gekommen. Er ließ mir durch H. Kleinwächter anbieten, wenn ich ein Concert geben wolle, würden er und das das Orchester mich mit Vergnügen unterstüzen, doch nur wenn ich als Schüler von Spohr und nicht als Concertmeister des Institutes auftreten würde. Alles zu erschöpfen was diese Antipoden angewendet haben, reicht die Feder nicht aus. Die Sensation beim Beginn des Instituts hätte nicht größer sein können, und wenn Napoleon eingerückt wär; auch steigt das Interesse beim Publikum dafür noch täglich. Ich befinde mich bei alle dem hier sehr wohl, mein Auskommen ist wirklich gesichtert; auch habe ich schon einige gute Privatstunden wo ich für jede 3mal wöchentlich 2 Zwanziger bekomme. So bin ich denn ganz zufrieden, da ich mich in jeder Beziehung besser als Nohr in Meiningen steh; ich habe sogar mein Decret als Professor und Concertmeister vom Fürsten, was zwar das wenigste ist, doch giebt es einem hier guten Klang. Noch ist kein Concert gewesen, das erste wird wohl den 24 Nov sein. Alle Pieçen werden mit Clavier gemacht, glücklicherweise habe ich die meisten Ihrer Compositionen mit Piano nur fehlt mit das Piano zu den irrländischen Liedern6 und dem 10ten Concert7, welche ich sehr gerne hätt. Unser ganzes Streben geht dahin, Ihre herrlichen Werke dem Publikum vorzuführen, da es Spohrsche Musik mit Vorliebe hört, was für mich eine wahre Wohlthat ist, indem ich auch und diese gerne höre. Ihr letztes Oratorium wurde endlich gegeben und mit stürmischem Beifall aufgenommen, so daß es Weihnachten wieder sein wird. Für Ihre gütige Empfehlung8 an H. Kleinwächter kann ich Ihnen nicht genug danken, es sind brave Leute die es sehr gut mit mir meinen und wo ich schon wie zu Hause bin. Obgleich mein Direktor weiß, daß H. Doctor an Sie schrieb, so ist er doch in gutem Vernehmen mit ihm, da jener grade nicht partheiisch ist, und vielleicht doch nur aus Veranlassung und Rücksicht so schrieb. Der Tochter9 begleitete ich oft Ihre Lieder, wodurch wir uns viel Genuß bereiten; ganz begeistert waren nämlich die Zuhörer von denen mit Clarinett10, wovon mehrere wiederholt werden mußten – Jetzt, geehrtester Herr Kapellmeister belästige ich Sie noch mit zwei Bitten, eine für meinen Direktor, die hauptsächlichste aber für mich. Nemlich in allen Wiener und Prager11 Zeitungen hat von Ihrem „Sonst und Jetzt“ gestanden, wodurch Alles besonders hier, sowohl Musiker als Publikum gespannt ist. Dürfte ich wohl wagen, Sie um das Manuscript einer sorgfältig bezeichneten Prinzipalstimme mit Pianofortebegleitung zu ersuchen? Meine Bitte ist kühn, doch haben Sie meinem seelgem Onkel12 alle Ihre Compositionen in Manuscript geschickt, weßhalb ich hoffe, daß Sie mich vielleicht dieser Ehre auch würdig halten, da Sie überzeugt sein dürften wie sehr ich es zu schätzen wüßte und gewiß keinen Mißbrauch davon machen würde. Ich bekomme Anfang oder Mitte December eine Concerteinnahme, wie vortheilhaft Ihre Güte für mich wäre, wenn Sie mir das Concert recht bald zukommen ließen brauch ich wohl kaum zu erwähnen; kosten mag es was es will. Ich würde Sie im günstigten Falle ersuchen, es an den: Schullehrer Happ in Oberstadt bei Themar“ unfrankirt zu adressiren, durch welchen ich Ihnen auch den Betrag dafür franco übermachen könnte; Sie würde mich zu großem Dank verpflichten, wenn Sie meine Bitte gewährten. Herr Kinderfreund der sich Ihnen bestens empfiehlt, ersucht Sie ebenfalls wenn Sie Muße haben, ein oder 2 Sopran-Arien mit brillantem Violinsolo für das Institut zu schreiben, welche dann von Mad. von Podhorski und mir ausgeführt würden. Er wird Ihnen auch bald selbst darum schreiben und gerne jedes Honorar dafür entrichten.
Mit der vollkommensten Hochachtung zeichnet sich

Ihr
dankbarster Schüler
W. Happ



Das letzte erhaltene Schriftstück dieser Korrespondenz ist ein Zeugnis von Spohr an Happ, 27.04.1839. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Happ an Spohr, 17.04.1840.

[1] Vgl. „Prag“, in: Adler (1839), S. 763.

[2] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

[3] Noch nicht ermittelt.

[4] Johann Kazatel (vgl. „Das Musikinstitut des Herrn E.J. Kinderfreund in Prag“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 42 (1840), Sp. 797f., hier Sp. 797).

[5] Vgl. ebd.; Prag und die Prager. Aus den Papieren eines Lebendig-Toten, Leipzig 1845, S. 139f.

[6] Potpourri op. 59.

[7] Op. 62.

[8] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

[9] Louis Kleinwächters Schwester Caroline, später verh. Skraup.

[10] Op. 103.

[11] Vgl. „Mosaik“, in: Bohemia 03.05.1839, nicht paginiert.

[12] Johann Christian Wilhelm Bärwolf.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (27.01.2022).