Marianne Spohr, Tagebuch von der Reise nach England im September 1839, Ms., Bl. 1r-2r
Autograf: Spohr Museum Kassel, Sign. Sp. ep. 2.1.07

Donnerstag d. 5t.


Morgens früh kam Landowsky, der Dienstag mit d. Schnellpost v. Cassel abgereist war, und brachte mir zu meiner großen Überraschung einen sehr niedlichen Brief v. Line1 mit! – Gegen 10 Uhr gingen wir Alle 4 zu Reg. R. v. Sybels, wo ich besonders die Frau, und eine jungverheiratete Tochter, Fr. v. Seidlitz sehr gescheut und angenehm fand. H. v. Sybel ging dann mit uns nach d. Academie, wo wir viel interessante Bilder, und auch die Atteliers mehrer ausgezeichneter Maler, Lessing, Mügge2, Doret(?)3, besahen. Straßen und Häuser der Stadt außerordentlich schön. – Nachmittags gingen wir zu der Eisenbahn, wo wir gerade den Zug nach Elberfeld hin abfahren sahen4, dann mit H. v. Sybel in das wunderschöne neue Haus des Direkt. Schadow, wo wir besonders den reizenden Saal bewunderten, dessen Wände mit Malereien v. allen hiesigen berühmten Malern verziert sind. Von da zu Oberforstm. v. Mühlmann, dessen 3 Töchter (eine verh. an Maler Jordan, der auch angenehm schien) mir sehr gefielen.5 – ½ 8 wieder zu Sybels, die uns eingeladen, wo wir das sehr niedliche junge Ehepaar, Prof. Hübner, trafen und einen komischen sehr gesprächigen Prof. Ranke aus Berlin.6 Nach ½ 10 kam das Essen, wovon wir aber nach dem ersten Gericht aufbrachen, aus Angst zu spät zum Dampfschiff zu kommen. Nachdem wir im Gasthaus noch schnell unsere Sachen bezahlt, ließ uns der Wirth, H. Capellen7, zum Schiff hin fahren, das wir dann in großer Spannung und Erwartung bestiegen.8 Den Salon fanden wir ganz angefüllt von größthentheils schlafenden Herren und Damen, die auf den Sopha’s und Stühlen bunt durcheinander lagen. Wir ließen uns das Cabbinettchen mit 6 Betten für Damen zeigen, und überlegten dann sehr lange, ob wir uns entschließen konnten, in diese kleinen heißen Dinger zu steigen, aber endlich siegte doch die Müdigkeit, und wir suchten uns 2 untere aus. Nachdem ich v. Spohr Abschied genommen, tappte ich mit Fr. v. Malsb. so lange in der Finsterniß herum, bis wir glücklich unsere Kleider untergebracht, und unsere Plätzchen gefunden hatten. Als um ½ 12 das Schiff abging, fing aber ein solches Zischen und Brausen um uns her an, und so ein Stoßen und Lärmen, daß an ordentlichen Schlaf nicht zu denken war, und mir die ganze Nacht recht unheimlich zu Muthe war. Bei Tagesanbruch hatten wir sehr komische Scenen mit unserer unbekannten Schlafgefährtin, einer Engländerin, die weder uns noch wir sie verstehen konnten u.s.w.



[1] Kosename für Caroline Pfeiffer, Schwester von Marianne Spohr, geb. Pfeiffer.

[2] Vermutlich Heinrich Mücke.

[3] Noch nicht entziffert und ermittelt.

[4] „[...] die Bahn zwischen Düseldorf am Rheine und Elberfeld mit 3-4 deutschen Meilen Länge ist darum von besonderer Wichtigkeit, weil sie die berühmten Fabrikorte Elberfeld Barmen &c. mit der Rheinschifffahrt in Verbindung setzt.” (Moritz Fränzl, Statistische Übersicht der Eisenbahnen, Canäle und Dampfschifffahrten Europa’s und Amerika’s nach allen einzelnen Staaten zusammengestellet und verglichen, Wien 1838, S. 28). 

[5] Neben Sophie, Gattin von Jordan, war auch Mülmanns Tochter Emilie Auguste mit einem Maler der Düsseldorfer Malerschule verheiratet, Richard Sohn.

[6] Ranke nutzte den Düsseldorf-Aufenthalt vermutlich für Archiv-Recherchen (vgl. Leopold Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, Bd. 3, Berlin 1840, S. viii). 

[7] Vermutlich Alexander Capellen; Identifizierung nach: „Der [sic!] ,Breidenbacher Hof’ nebenan in No. 34 erbaute vor 1817 der Rentner Wilhelm Breitbach, dem als Gastwirth Franz Julius Anton Disch und dann Alexander Capellen folgten” (H. Ferber, Historische Wanderung durch die alte Stadt Düsseldorf, Bd. 2, Düsseldorf 1890, S. 107; vgl. C.A. Sachse, Statistisches Handbuch für deutsche Bühnen, Wien 1872, S. 78). Dieser Identifikation folgt offensichtlich Edmund Spohr, wenn er in seiner Inhaltsangabe dieses Tagebucheintrags schreibt, Spohr habe „im Hotel Breidenbacher Hof das Gepäck holen” müssen („Louis Spohr und Amalie von Sybel. Ein Beitrag zur Musikgeschichte der Stadt Düsseldorf und zur Geschichte der Niederrheinischen Musikfeste”, in: Louis Spohr. Festschrift und Ausstellungskatalog zum 200. Geburtstag, hrsg. v. Hartmut Becker und Rainer Krempien, Kassel 1984, S. 91-116, hier S. 101). Allerdings wurde auch der Zweibrücker Hof von einem Wirt namens Capellen geführt (vgl. Joh[ann] Wilh[elm] Spitz, Wanderungen durch Düsseldorf und Ausflüge nach Neuss, Crefeld, den benachbarten Fabrikstädten und nach dem Wupperthale, Düsseldorf und Leipzig 1840, S. 17). 

[8] Vgl. Fahrplan für September 1839: „Dampfschifffahrt für den Nieder- und Mittelrhein”, in: Allgemeines Organ für Handel und Gewerbe und damit verwandte Gegenstände 5 (1839), S. 518.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders vermerkt: Friedrich Frick und Karl Traugott Goldbach (14.04.2015).