Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287


Hochverehrter Herr und Freund!

Mit vielem Vergnügen beantworte ich, wenn gleich etwas spät, Ihren lieben, inhaltschweren Brief vom 30. Junius, den ich auf meiner Durchreise durch Wien durch die Güte des Herrn Haslinger erhielt. Durch meine letzten Zeilen aus Carlsbad, welche ich mit herzlichem Danke Partitur und Stimmen Ihres Vater Unsers beischloß, werden Sie schon wißen, daß ich mich dort länger aufhielt, als ich es anfangs beabsichtigte und, da ich vom Brunnenorte einen kleinen Ausflug nach Dresden und Leipzig unternahm und auf dem Rückwege Wien nur berührte, so konnte ich zu meinem größten Leidwesen die interessante Bekanntschaft des mir, von Ihnen empfohlenen, Herrn Obersten1 nicht machen, was ich sehr bedauere. Aber ein bedeutendes Unwolsein meines Schwagers2, der zur Herstellung seiner Gesundheit schon seit Ende Junius auf men Gut3 in Steiermark gereiset war, erforderte dringend unsere Anwesenheit und in den wenigen Stunden unseres Aufenthaltes in der Residenz häuften sich die Geschäfte dergestalt, daß an nichts anderes zu denken war. Es thut mir gewiß schon leid, aber wir sind ja alle Sklaven der Umstände, was sich behaupten läßt, ohne eben ein Fatalist zu sein. Mit dem größten Interesse habe ich das gelesen, was Sie mir von Ihrer neuesten Symphonie schreiben und auch nicht ermangelt, so wie es die Kürze der Zeit erlaubte, es meinen Collegen, Holz und Titze, so wie mehren andern Musikfreunden Wiens mitzutheilen. Alle fanden den Gedanken höchst sinnig und alle sind wie ich überzeugt, daß die Ausführung desselben von Ihrer Hand nichts zu wünschen übrig laßen wird. Wenn wir das Werk nur bald zu hören bekommen! Als Unternehmer der Concerts spirituels erlaube ich mir nur freundschaftlich die bescheidene Frage: wann die Symphonie vollendet ist könnten wir nicht eines correcte Abschrift der Partitur erhalten, für welche wir sehen würden, daß sie nicht in andere Hände kommt und die wir ausschreiben und dann zur Aufführung im Cyclus 1840 oder 1841 bringen könnten? Sie haben uns schon so große Beweise Ihres Wohlwollens gegeben, daß ich den Muth habe, diese Bitte an Sie zu stellen und zugl. ihre Erfüllung zu bitten wage. Den Wiener Musikfreunden würden Sie gewiß ein recht werthvolles Geschenk damit machen und uns unendlich verbinden. Möge Ihre Antwort günstig ausfallen! Die Ergebniße meiner Reise in musikalischer Hinsicht waren befriedigend. In Carlsbad sah ich Tomaschek und musicirte fast täglich mit dem jungen talentvollen Prume4, der einer unserer größten Virtuosen zu werden verspricht und schon jetzt sehr Ausgezeichnetes leistet. In Dresden sah ich die Ungher als Parisina, in der elenden Oper gleichen Namens, die wenig ansprach, weil theils die Nebenpartien schlecht besetzt waren, theils das Orchester ganz ohne Delicatesse accompagnirte, dann in Otello, der beßer ging. Ich erneuerte die Bekanntschaft mit Reissiger, den ich von Wien aus schon kannte, sah Morlacchi, einen nicht etwas talentvollen Dirigenten, und hörte in Leipzig Fräulein Fink mit vieler Bravour Fortepiano spielen. In Prag hörte ich Schebest und später Lutzer singen, letztere machte Furore. Jetzt prescht [???] um mich herum und ich bin dessen sehr froh, denn man muß zu sich selbst kommen und ich kann ungestört fleißig sein und die Oper vollenden, die ich in Carlsbad angefangen und bis zum Schlusse des ersten Actes gebracht habe. Ich wählte ein romantisches, das heißt, in den Nebenpartien komisches, Sujet, um die verwöhnten Gaumen auch mit den gewöhnlichen Süßigkeiten kitzeln zu können, ohne der Wahrheit etwas zu vergeben; indeßen verkenne ich die Schwierigkeit des Unternehmens bei dem herrschenden Ungeschmacke keinesweges. Der Dichter hat mir aber gut in die Hand gearbeitet und so hoffe ich, in einigen Wochen mit dem Aufsatze fertig zu werden, die Partitur ist dann Sache des Fleißes und der Geduld. In Wien kommt nun eine neue Oper von Bauernfeld mit Musik von Dessauer zur Aufführung. Ich habe sie gehört, sie ist ganz in der beliebten Manier Auber’s.5
Meiner Frau hat Carlsbad dies Jahr weniger gut angeschlagen; wir waren etwas zu zerstreut und eine regelmäßige Lebensart gehört zur Badecur. Sie läßt sich Ihnen und so wie ich und meine Schwägerinn Ihren Damen vielmals empfehlen. Sehr leid that es uns, Sie dort zu vermißen und zwar um so mehr als wir einigermaßen darauf zählten. Im November kommt Freund Liszt nach Wien worauf ich mich schon sehr freue. Ich wünsche Ihnen aber Glück zu Ihrer Norwicher Reise, die sehr interessant ist. Möge sie ganz zu Ihrer Zufriedenheit ausfallen. Erhalten Sie mir Ihr schätzbares Wohlwollen, antworten Sie mir bald und glauben Sie an die Hochachtung und Freundschaft

Ihres ergebenen
Lannoy

Wildhaus bei Marburg in Steiermark. 24. August
Bitte, Ihre Antwort nur an Haslinger zu adressiren. Viele Grüße von allen Wienern.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Lannoy, 30.06.1839, dessen Postweg sich mit Lannoys, in diesem Brief erwähnten, Brief vom 17. und 21.07.1839 überschnitt. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lannoy an Spohr, 11.03.1842.

[1] Noch nicht ermittelt.

[2] Bartholomäus von Carneri.

[3] Wildhaus.

[4] Zu Prume 1839 in Karlsbad vgl. Jos[eph] Joh[annes] Lenhart, Carlsbads Memorabilien vom Jahre 1325 bis 1839, Prag 1840, S. 479; M. Kaufmann, „Musikalische Denkwürdigkeiten aus dem Alt-Karlsbader Badeleben“, in: Neue Zeitschrift für Musik 87 (1920), S. 27f. und 47f., hier S. 48.

[5] Vgl. Carlo, „Ein Besuch in St. Cyr“, in: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode (1839), S. 1053-1056.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (14.12.2021).