Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Wohlgeborner Herr!
Hochgeehrter Freund!
Daß ich erst so spät Ihren lieben Brief beantworte, daran ist größtentheils die fortdauernde Krankheit meiner Frau, so wie meines Freundes Holz schuld, die mir beide viele Sorge gemacht haben. Das Uebel meiner Frau war zwar nicht gefährlich, aber höchst störend und nahm meine Zeit sehr in Anspruch; dagegen zitterte ich lange um das Leben des Freundes und erst seit einigen Tagen ist er außer Gefahr. Doch genug davon. Carlsbad, wohin ich mich Anfang Junius begebe, wird das Seinige thun und diesmal hoffe ich, wird kein Trauerfall die Badekur unterbrechen. Dürfte ich nur hoffen, Sie sammt Ihrer lieben Angehörigen dort zu sehen, doppelt lieb und angenehm wäre mir dann die Reise. Doch, von den Gedanken erfüllt, die mich so lange beschäftiget haben, vergeße ich granz Ihnen für Ihren herrlichen Vaterunser zu danken. Nehmen Sie mir es nicht übel. Ich treffliches Werk hat mir bei Durchlesung der Partitur das größte Vergnügen gemacht, die Haltung, der Character des Ganzen sind so erhebend, heilig und zweckgemäß, die Schönheiten des Gedichtes spiegelte sich in Ihrer Composition so treulich, so sinnig ab, daß es jedes Herz aussprechen muß. Eines nur setzte uns in Verlegenheit, der Doppelchor nämlich, der in unserer gegenwärtigen provisorischen Saale (der kleine Concertsaal des Mus. Vereins), sich nicht wohl auf wirksame Art anbringen ließ. Dies bewog uns, dem Ansinnen und der wiederholten Bitten der Societät für die Wittwen und Waisen der Tonküstler, die uns auf Ueberlaßung Ihres Werkes dringend ersuchen, nachzugeben und zwar um so mehr, als erstens die Concerte derselben im Burgtheater statt finden, zweitens, jedes Concert zwei Productionen erlaubt, drittens der Chor der Societätsconcerte aus wenigsten 200 Choristen und so wie ihr Orchester aus den vorzüglichsten Künstlern besteht, endlich viertens, sie mehr Proben machen und man auf eine gute Ausführung rechnen mußte. Die Zeit war kurz Ihre Einwilligung einzuholen deßhalb nicht thunlich, wir glaubten demnach auf diese Weise am gerathensten zu handeln. Ich theilte die mir von Ihnen gegebenen Andeutungen dem Hofkapellmeister Aßmayer, welcher die Oberleitung hatte, mit, die Besetzung war trefflich, nur enthielt ich mich, den Proben beizuwohnen, weil Aßmayer einen Eingriff in seine Hoheitsrechte zu befürchten schien. Da aber in Wien die Choristen größtentheils wiederholte Proben für etwas Ueberflüßiges halten, der Director zu wenig Energie besaß, so schwankte der Chor hie und da bei der ersten Aufführung. Am zweiten Abende ging es gut; Ihr schönes Werk erfreute sich des allgemeinen Beifalles und gefiel besonders den Damen ganz vorzüglich.1 In Hinsicht auf alle angeführten Umstände werden Sie uns, Hochgeehrter Freund, die Abweichung von der ursprünglichen Bestimmung wohl verzeihen; was wir thaten, geschah zum Besten des Werkes und wir werden in dem Cyklus der künftigen Concerts spirituels, wenn Sie es erlauben, Ihr Vater Unser entsprechender zur Aufführung bringen, obwohl wir nicht zur K. K. Hofkapelle gehören. Nächsten erhalten sie die mir mitgetheilte Partitur und Stimmen mit wiederholten Danke zurück. Dieses Jahr haben wir nur Ihre Ouverture in C dur zur Production gebracht2, im künftigen werden wir Ihre Hymne geben, die zu spät ankam, als daß wir sie diesmal zur Aufführung gebracht hätten, hiezu kommt Ihr Vater Unser, vermutlich auch die Weihe der Töne, die hier sehr beliebt ist und die Ouverture zu Faust, wenigstens ist Alles dazu vorbereitet und ich bitte Sie sehr, wenn Sie inzwischen etwas für uns Passendes verfaßt haben, es uns zukommen zu laßen. Mögen die Umstände, wie diesmal, noch so sehr dafür sprechen, mögen noch so viele Bitten verschwendet werden, wir werden Alles für uns behalten, hier war die Bescheidenheit wirklich am unrechten Orte angebracht. Nochmals verzeiehen und richten Sie uns noch Billigkeit, wir glaubten wirklich das Beste gethan zu haben. Empfangen Sie auch meinen tiefgefühlten Dank für das mir zugekommene Diplom als Ehrenmitglied des deutschen Nationalvereines für Musik und ihre Wissenschaft.3 Sie sind Priester desselben, das Institut wird und muß gedeihen und ich werde das Meinige gewiß und mit Freuden dazu beitragen. Nur geht es so schwind nicht. Unsere Censurvorschriften verbieten jedem Bewohnern Oesterreich’s, im Auslande etwas drucken zu laßen, das nicht hierorts das Imprimatur erhält und die Behörde pflegen4 solche Aufsätze, wenn sie ihnen vorgelegt werden, lange liegen zu laßen. Der theoretische Aufsatz, den ich beabsichtige, bedarf daher Zeit. Früher aber werde ich mit Correspondenznachrichten dienen5, die, hoffe ich, nicht unterschrieben werden müßen. Denn solche Berichte, die unparteiisch sein sollen, machen Feinde, veritas odium parit6, und um diesen Preis will ich nicht Recht haben. Wir sind jetzt am Ende einer wirklich mühevollen Saison, denn man gab uns zu viel. Ihr Schüler, Molique, zeichnete sich wohl als Componist denn als Violinspieler aus, konnte aber vermöge seiner Individualität nicht Epoche machen und sagte nur den wahren Kunstfreunden zu, weil er durchaus jeder Chalatanerie fremd ist.7 Eben dasselbe kann man von dem Münchener Violoncellisten, Menter, sagen, nur, daß er als Componist viel weniger leistet als Molique.8 Mehr Einfluß übte auf das große Publikum Ole Bull aus, erfreute sich aber nur eines bestrittenen Erfolges. Seine Fertigkeit setzt in Erstaunen, aber seine Sentimentalität alla Bellini läßt bald und er verwechselt stets das Bizarre mit dem Originellen.9
Seine Compositionen sind vollends, vom Standpuncte der Kunst aus betrachtet, mehre Nobilitäten, ohne Zusammenhang, ohne symmetrische Anordnung, ohne Elan, Melodramenmusik, die ohne Programm nichts sagt und mit dem Programme selbst nichtsbedeutend bleibt. Er spielt sehr schwierige Sachen auf drei Saiten zugleich, aber seine dadurch bedingte dünne Begleitung, sein wenig behender Bogen hindern, daß er auf Einer Saiten kräftig und seelendurchdringend singe. Er hat ein Mozart‘sches Quartett und ein Adagio allerdings tadelfrei und gehörig gespielt, was Paganini vielleicht nicht vermocht hätte, dennoch ist er kein zweiter, nicht einmal ein dritter Paganini und es fehlt ihm überall der erste Grund. Von weniger hervorragenden Erscheinungen hörten wir eine Legion. Eine Mistres Shaw, die sehr liebenswürdig ist und auch Händel sehr gut vorträgt10, Flöten- und Guitarrespieler u.s.w. Freund Lindpaintner umd mit ihm die deutsche Oper feierten einen Triumph in der Genueserinn, die voll Bewegung, Charakter, Kraft und Feuer ist, aber zu wenig Melodie hat, nach meiner Meinung, die ich ihm selbst geäußert.11 Jetzt werden wir wieder Donizettirt und Mercadantisirt. Die Ungher ist eine der größten Künstlerinnen, die es geben kann, obgleich ihre Stimme der Frische und des Schmelzes entbehrt.12 Aber alle Sängerinnen können von ihr lernen, Spiel, Vortrag, Mezzavoce, hinreißendes Feuer, Alles ist bei ihr ebenso13 berechnet als ebenmäßig und der schlechtesten Partie weiß sie große Effecte abzugewinnen. Ich komme auf Carlsbad zurück; besuchen Sie es dieß jahr nicht? es wäre so schön und ich freute mich so sehr darauf. Ich bitte mich Ihrem Freund zu empfehlen; mich mit Frau und Schwägerinn, die noch mit Vergnügen der Zeiten denken, wo wir vereint waren. Wenn Sie mich mit einer Antwort beehren, um was ich bitte, so belieben Sie diese unter meiner Adresse an Haslinger nach Wien zu senden. Er weiß, wo ich bin. Ihre Cmoll (5te) Sinfonie wird bald fertig. Ich habe selbst mehre Tage an Partitur und Stimmen corrigirt, damit sie fehlerfrei erscheine. Mit Hoffnung und Ergebenheit bin ich Hochgeehrter Freund
Ihr ergebenster Lannoy.
Wien 2. Mai 1839
Autor(en): | Lannoy, Eduard von |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Assmayer, Ignaz Bull, Ole Holz, Carl Lannoy, Josephine von Menter, Joseph Molique, Bernhard Shaw, Mary Ungher, Caroline |
Erwähnte Kompositionen: | Lindpaintner, Peter von : Die Genueserin Spohr, Louis : Faust Spohr, Louis : Ouvertüren, Orch, WoO 6 Spohr, Louis : Sinfonien, op. 102 Spohr, Louis : Vater Unser, WoO 70 Spohr, Louis : Die Weihe der Töne |
Erwähnte Orte: | |
Erwähnte Institutionen: | Concerts spirituels <Wien> Deutscher Nationalverein für Musik und ihre Wisenschaft <Stuttgart> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1839050245 |
Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Lannoy. Spohr beantwortete diesen Brief am 30.06.1839.
[1] Zu den Konzerten am 24. und 25.03.1839 vgl. Heinrich Adami, „Wien. K. K. Hoftheater nächst der Burg“, in: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Musik, Mode und geselliges Leben (1839), S. 302f. , hier S. 303; „Wien“, in: Allgemeiner Musikalischer Anzeiger 11 (1839), S. 99; -h-, „Große musikalische Akademie, veranstaltet von der Gesellschaft der Tonkünstler zum Besten des Pensions-Institutes ihrer Witwen und Waisen“, in: Humorist 3 (1839), S. 242f., hier S. 242; W., „Musikalische Akademie im k. k. Hofburgtheater“, in: Adler (1839), S. 214.
[2] Vgl. „Das zweyten Concert spirituel am 21. Februar“, in: Allgemeiner Musikalischer Anzeiger 11 (1839), S. 61ff., hier S. 62.
[3] Vgl. „Verzeichniß der jetzigen Mitglieder des Vereins“, in: Jahrbücher des Deutschen Nationalvereins für Musik und ihre Wissenschaft 1 (1839), S. 4.
[4] Sic!
[5] „dienen“ über der Zeile eingefügt.
[6] „veritas odium parit“ (lat.) = „Wahrheit bereitet Hass“.
[7] Vgl. „B. Molique“, in: Allgemeiner musikalischer Anzeiger 11 (1839), S. 13ff.; „[B. Molique‘s Abschiedsconcert]“, in: ebd., S. 21.
[8] Vgl. C.T., „Wien“, in: Allgemeiner musikalischer Anzeiger 11 (1839), S. 47f.; ders., „[Sonntag den 10. Februar]“., in: ebd., S. 55; „Das zweyte Concert spirituel am 21. Februar“, in: ebd., S. 61ff., hier S. 62f.; C.T., „Sonntag den 3. März]“, in: ebd., S. 70.
[9] Vgl. C.T., „Ole Bull‘s Concert am 21. März im k. k. großen Redoutensaale“, in: ebd., S. 89-93 u.ö.
[10] Vgl. „Zweites Konzert der Mistreß Shaw“, in: Adler (1839), S. 272; „Sonntag den 7. April“, in: Allgemeiner musikalischer Anzeiger 11 (1839), S. 103.
[11] Vgl. „K. K. Hoftheater nächst dem Kärtnerthore“, in: Humorist 3 (1839), S. 119f.; W., „K. K. Hoftheater nächst dem Kärtnerthore“, in: Adler (1839), S. 176.
[12] Vgl. „Wien“, in: Allgemeiner musikalischer Anzeiger 11 (1839), S. 167f.
[13] „ebenso“ über der Zeile eingefügt.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit nicht in den Anmerkungen anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (14.12.2021).