Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Catlenburg am 15ten März 1839.

Ihr so ausführliches Schreiben vom 27ten v.M., mein innigst verehrtester Gönner! verehren wir sehr dankbar! was ich schon früher Ihnen ausgedrückt haben würde, wenn ich nicht den Schluß der diesjährigen sogenannten Schlachtenfeste erwartet hätte, von welchem meine, Ihnen wie Ihrer theuren gnädigen Frau Gemahlin auf das innigste sich empfehlende Form um so mehr noch ein Stückchen präsentiren zu dürfen wünschte, als diese Freude ihr nun für d.J. nicht weiter mehr zu Theil werden kann! – Mögen die Würstel Ihnen allerseits gut schmecken! – zugleich sichersten Bürgschaft guten Wohlbefindens!
Daß Ihr Meisterwerk, „die Letzten Dingeam Charfreytage aufgeführt werden wird, war uns eine sehr erwünschte Nachricht! – mir deshalb erwünscht, als ich nach dem noch immer so vorzüglich guten Befinden meiner Frau hoffen darf, daß sie dieses Mahl den Muth behalten wird, mich zu begleiten; und ich bey dem Hochgenuße, welche man diese Aufführung vor einigen Jahren mir dort gewährte, so sehnsüchtig erwünscht, daß meine Frau solche mit mir hätte theilen mögen! –
Als Jurist an das „Audiatur et Altera pars!“1 zwar doppelt gewöhnt, will ich vertraulich Ihnen gleichwohl nicht vorenthalten, daß der Zusatz Ihres „Vater-Unsers“, oder das Requiem von Mozart, für Ausfüllung des übrigen Abends freylich am interessantesten gewesen seyn würde! – Doch der Mensch soll zu frieden seyn mit an sich schon so hoher Gabe, als die „Letzten Dinge!“ – Damit man aber mit deren ganzem vollem Eindrucke das Gottes-Haus verlaße, geht doch die Wiegandsche Kirchen-Cantate2 wohl voran? –
In der Voraussetzung, daß die Haupt-Probe, wie früher, am Gründonnerstag Nachmittag, den 28sten d.M., seyn werde, werde ich unserne Ankunft so einrichten, durch deren Genuß unter Ihrer stets so freundlichen Erlaubniß uns anzeigen zu dürfen. –
Ihre Fantasie „Sonst und Jetzt!!“ dort zu hören, – – ist freylich eine Verführung, welcher zu wiederstehen, mir ungewöhnliche Kraft-Uebung resp.(???) gewährt u erfordert! – ich werde mich aber leider zu solcher doch schon entschließen müssen; da ein bis zum Sonnabend der vollen Osterwoche ausgedehnter dortiger Aufenthalt sich doch nicht als thunlich herausrechnen lassen will! – Aber – wird dieses schon seinem Titel nach so vielfach interessante Character-Stück sich nicht auch der Umsetzung an das, – unter den Händen Ihrer talentreichen Frau Gemahlin so gar manches Orchester überflügelnde, – Piano zu erfreuen haben? – Dadurch würde denn vielleicht, wenigstens später, auch uns ein Mahl dessen Hoch-Gemuß zu Theil werden! –
Die mir für immer unauswischlich bleibende ähnliche Aufführung eines Ihrer größeren Concertstücke, welche der so vielseitig interessante Abend des 17ten November v. J., wahrhaft electrisirend darborth, war sehr geeignet, solchen Wunsche zur wirklichen Sehnsucht zu steigern! –
Die Montags-Oper, den Liebestrank von Donizetti, dort zu erwarten(?), werde ich suchen möglich zu machen: da meine Frau sowohl wie ich noch nichts von diesem Componisten kennen; dessen neulich literarisch erwähnten außerordentliche Fruchtbarkeit an bereits geschriebenen Opern mich um so mehr überraschte, als dessen Werken, so viel ich weiß, unseren Deutschen Bühnen noch ganz fremd geblieben sind. Hoffentlich wird es jetzt ihm nicht blos „multa!“ heißen, sondern, einigermaßen wenigstens, auch „multum!“
In der hohen Vorfreude, hoffentlich Sie wie Ihre innig verehrte theure Frau Gemahlin und die lieben Ihrigen Alle in der interessanten Ostermesse dort wohl und heiter zu sehen, empfehlen wir uns Ihnen allerseits für Heute auf das herzlichste! – Für immer

Ihr so dankbarer als war-
mer Verehrer
CFLueder.

N.S. p.s.s. Malsburg gehen ein paar Würstel direct zu. –



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief Spohr an Lueder, 27.02.1839. Der nächste erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Lueder, 15.07.1839.

[1] „Audiatur et Altera pars“ = der lateinische Rechtsgrundsatz „Es werde auch die andere Partei gehört“.

[2] Die Auferstehung Jesu (vgl. L., „Kassel, Ende Juni“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 41 (1839), Sp. 601-604, hier Sp. 603).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (30.11.2020).