Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Catlenburg am 17ten Februar 1839.

Erlauben Sie freundlich innigst verehrtester Gönner! Ihnen wie Ihrer gnädigen Frau Gemahlin den besten Apetit für die beygehenden frischen Würstel wünschen zu dürfen! – begleitet von unserer sehnlichen Hoffnung, daß solche Sie allerseits in fröhlichem Wohlseyn antreffen! –
Der augenblickliche Mangel an Verpackungs-Geräth verleitet zu der unbescheidenen Bitte, eine Leber- und zwey Weis-Würste davon, nebst1 einliegenden Briefleins, den Herrn Obstmstr.2 v. Malsburg hochgeneigtest zusenden zu wollen, dem ich gleichzeitig über junge Pferde etwas zu berichten hatte. –
Die Pferde-Messe gab mir Veranlaßung zu einer Reise nach Braunschweig, wo ich auch 3 Stück junge Pfedrde recht gut verkaufte, so schlecht übrigens die warrme(???) Messe auch ausfiel. –
In den 7 Abenden, welche ich dort war, hörte ich nur 2 größere---- Opern, Tell von Rossini, – im Gesangpersonale ganz vorzüglich gut besetzt, – und die Vestalin von Spontini, ebenfalls im Gesangpersonale vergnüglich gut. –
Diese Opern-Armuth war leider in der Erkrankung des Hr. Pöck, gleich nach der Aufführung des Tell, begründet, welche namentlich auch der Aufführung Ihres Faust in den Weg trat, der zum 2ten Meß-Montage, – dem Haupttag der ganzen Messe, – angekündigt war; und dessen Zurücknahme in Folge jener Erkrankung eine in den Logen, an Table d’haute, selbst in den im zufälligen Vorübergehen zu bemerkenden Straßen-Gesprächen, wie in Privat-Cirkeln eine so lebhafte Äußerung getäuschter Hoffnung eines ein Mahl eigentlich genußreichen Abends hervorrief, daß ich diese lebhafte Theilnahme für ein dortiges Meisterwerk als einem Beweis betrachten zu dürfen glaube, daß die Ursache der Verschwendung so vieler Mittel auf leere Gaukeleyen, wie das Meß-Repertoire im Ganzen sie darboth, wohl nicht eigentlich in dem verdorbenen Geschmake des dasigen größeren Publikums zu suchen ist. – Auch war das Haus bey einer derartigen Tändeley, – der Gott und die Bajadere von Aubert, – angesetzt des 2ten Mess-Sonntags, wenig gefüllt. – Diese Piece, wie eigentlich jeder Abend, bewies zugleich wie auch allda das Ballett anfängt immer mehr Mittel zu verschlingen, – u, als wolle man das Publicum mit aller Gewalt verleichtfertigen; – füllten die Zwischen Acten jeden Abend ganz ausschließlich Straussische und Lannersche Walzer mit dem vollen Orchester aus, – einige Mahle auch begleitet von unleugbar sehr anziehenden Balletts. –
Die Gebrüder Müller habe ich zwar gesehen, aber außer dem Theater in manchen Soli’s leider nicht gehört; da der Meß-Trubel, u Ballett und sonstige Proben keine Zeit für Privat-Zusammenkünfte ließ. Der älteste Bruder war im Begriff nach Bremen zu reisen, und nach dessen Rückkehr gedachten sie eine Quartett-Kunstreise nach Wien pp bis zur Sommer-Messe zu machen. –
Dem Orchester wäre wohl eine etwas durchgreifendere Dirigirung zu wünschen! Denn ungeachtet der Vortreflichkeit seiner Einzelheiten: so fehlt dem Ganzen doch gar häufig, dem wie den Chören, Schärfe u Präzision, – wiewohl die außerordentliche Stille schon bey der Ouvertüre u deren öftern lebhaften Beklatschung beweisen, daß das Publicum auch für jene Orchester-Tugenden sehr empfänglich ist –
Meiner Frau wie mir hat dieser abwechselnde Winter bislang keine Störungen guten Wohlbefindens gebracht! – So Gott will ist es bey Ihnen allerseits eben so! – Mit diesem innigst herzlichsten Wunsche empfehlen wir beyde uns Ihnen und Ihrer liebenswürdigen gnädigen Frau Gemahlin erneuert, so innig verehrungsvoll als

ganz gehorsamst
CFLueder.

N.S. Ole Bull hat die Goettinger, u so auch uns schmachten lassen! – da wir dahin zu seinem Concerte doch gegangen seyn würden; wenngleich die geringen Erwartungen, die ich unwillkürlich von ihm hegte, aus den Relationen der solidern Kunstfreunde Braunschweig, – (unter manchen Vergötterungen!) nur bestätigt wurde. – Doch bleiben dergl. Kunst-Mode-Männer von gar manchen Seiten immer eine merkwürdige Erscheinung. –



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lueder an Spohr, 04.01.1839. Spohrs Antwortbrief vom 27.02.1839 ist derzeit verschollen.

[1] Hier zwei oder drei Buchstaben gestrichen.

[2] Abk. f. „Oberstallmeister“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (27.11.2020).