Autograf: Universitätsbibliothek Kassel, Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms.Hass. 287
Frankfurt am d. 29. Jan. 1839
Hochverehrter Herr Kapellmeister!
Wenn ich es wage, Sie mit Gegenwärtigem zu belästigen, so geschieht dies im Vertrauen auf die Güte und Nachsicht, die das Eigenthum eines jeden wahrhaft großen Künstlers ist. –
Ich erlaube mir hier, Ihnen das erste Werkchen meiner Composition, das ich dem Drucke übergeben habe, gehorsamst zu überreichen, und freue mich, dadurch Gelegenheit zu haben, Ihnen meinen schwachen Beweis meiner ausgezeichneten Hochachtung und höchsten Vereherung für Ihr unsterbliches Genie und Ihr erhabenes Wissen darbringen zu können. –
Der Grund, warum ich gerade diese Studien zuerst in Druck gegeben habe, liegt nicht sehr ferne, ich wollte dadurch einigermaßen einem Mangel an Übungen abhelfen, welche beide Hände zu gleicher Zeit beschäftigen, ohne dadurch gerade für weniger geübte Spieler unzugänglich zu sein. – Ich hätte nun zwar diesen Stückchen dadurch mehr inneren Gehalt verleihen können, wenn ich sie in fugirterem Style geschrieben hätte, allein das habe ich absichtlich vermieden, erstlich um sie nicht unnöthigerweise zu erschweren, zweitens aber damit sie nicht in Verdacht kommen, als seyn sie Imitationen der S. Bachischen Inventionen, für welche ich übrigens große Verehrung habe. –
Sollten diese Studien, welche nur und allein dem Zweck haben, nützlich zu werden, das Glück haben von Ihnen für praktisch brauchbar und dem zweck entsprechend zu sein, so wollen Sie dieselbe Ihre gütige Empfehlung nicht vorenthalten, und ihnen Ihren so wichtigen Schutz angedeihen1 lassen. Ich habe in dieser Beziehung nur noch zu bemerken, daß ich gesonnen bin, später 2stimmige Sonatinen nachfolgen zu lassen, welche sich denn unmittelbar an diese Studien anschließen würden. –
Indem ich sie nun nochmals wegen meiner Freiheit um Verzeihung bitte, kann ich den Wunsch nicht unterdrücken, Sie möchten doch die Güte haben, und – falls es Ihre kostbare Zeit erlaubt – mir Ihr offenes Urtheil über das kleine Werkchen gefälligst zukommen zu lassen; es würde sicherlich nur heilsam und belehrend, aber auch zugleich anfeuernd und belebend auf einen jungen Künstler von 22 Jahren wirken, der seit dem Tod seines theuren Lehrers Schelble bis jetzt gleichsam verwaist dastand, und des Rathes eines weisen und erfahrenen Mannes so sehr bedarf. –
Mit der größten Verehrung und in dem festen Glauben an die gütige Verzeihung der Freyheit, die ich mir nehme, zutrauend zu Ihnen zu sprechen, habe ich die Ehre mich gehorsamst zu unterzeichnen, als
Ew. Wohlgeboren
ganz ergebenster Diener
F.W. Rühl.
Katharinenpforte, Lit. K, No 6.
Autor(en): | Rühl, Friedrich Wilhelm |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Schelble, Johann Nepomuk |
Erwähnte Kompositionen: | Bach, Johann Sebastian : Inventionen, Kl, BWV 772-786 Rühl, Friedrich Wilhelm : Studien, Kl |
Erwähnte Orte: | |
Erwähnte Institutionen: | |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1839012944 |
Spohr beantwortete diesen Brief am 03.03.1839.
[1] Hier gestrichen: „zu”.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (05.10.2016).