Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr
Hochwohlgeboren dem
Churfürstlich-Hessischen
Hof Capell Meister
Herrn L. Spohr.
in
Cassel

frei.


Lippstadt d 13 Jan. 1839.

Euer Hoch-Wohlgeboren!

Da ich von mehreren Musikern und besonders von Gesangfreunden angerathen bin, mich der Musik, oder deß Gesanges zu widmen, so wage ich es, mich direkt an Sie Deutschland’s größten Geiger zu wenden.
Ich bin nämlich willens, mich als Chorist in Cassel engagiren zu laßen, um mich dorten zu einem tüchtigen Sänger, unter der Leitung geschickter Männer, auszubilden. Ich bin 19 Jahr alt, singe Tenor, spiele Geige und Guitarre. Erst wollte ich mich dem Violinspiel widmen, da ich aber bereits einige Jahre geübt, und einsehe welche Schwierigkeit bei dießem Instrumente überwunden werden müßen, um es ganz in seiner Gewalt zu bekommen, so bin ich willens mich dem Gesange zu widmen, weil es in dießem Alter, bei natürlichen Anlagen, noch Zeit ist um einst als ein tüchtiger Sänger bei unverminderten Fleiße aufzutreten. Gern! gern wäre ich Violinspieler geworden, da es aber hier, nämlich in Lippstadt, einem kleinen Städtchen ganz an gründlicher Ausbildung fehlt, und ich von der Natur stiefmutterlich ausgestattet bin, so muß ich dießen schönen Gedanken aufgeben, und mich als Chorist so gut als möglich durchzuhelfen; Ja wäre ich bemittelt, schon längst würde ich in Cassel seyn um mich als Violinspieler auszubilden. Da es aber nicht anders ist, so bitte ich Euer Hoch Wohlgeb. inständigst mich zu engagiren.
Mein Betragen wird stets so seyn, wie beiliegender Attest1 von Herrn Bürgermeister Bertram, als ein Freund und Kenner der Musik, berichtet. Die Achtung meiner Obern und die Zufriedenheit meiner Lehrer im höchsten Grade zu gewinnen, wird mein eifrigstes Bestreben seyn. Euer Hoch-Wohlgeboren denken sich meine Lage; jung, mit Talenten begabt, ohne Ausbildung, nur für Musik leben, O! Es ist schrecklich Jede Stunde dorten, brächte mich näher dem Ziele. Man hört und sieht hier nichts von Musik, das Wörtchen Kunst kennt man hier nicht. Darum werther Herr haben Sie die Güte und helfen mich sobald als möglich aus dießem Labyrinthe, damit ich unter Leuten wandle, die der Kunst Meister, damit man hier nicht jeden Tag unnütz vergeude, den man dorten unter der Leitung tüchtiger Männer jede Stunde benutzte. Da ich mich2 natürlicher Weise erst einer Probe meines Gesang-Talentes unterwerfen muß, so habe ich Behufs deßen, einige Guitarr Arien eingeübt, und Euer Hoch-Wohlgeboren können nur befehlen, wann ich herüber kommen soll, ich stehe zu jeder Zeit und Stunde bereit. Sollte es aber nicht der Fall seyn, engagirt zu werden so bitte ich Euer Hoch Wohlgeboren, mich auch gefälligst davon zu benachrichtigen, damit wenn und wann eine Stelle als Tenorist ledig wäre, mich doch gefelligst in Vorschlag zu bringen.
Laßen Sie daher die Bitte eines jungen lernbegierigen Menschen nicht unbefriedigt, und helfen mich sobald als möglich von einem Orte, auf den ich doch zu einem tüchtigen Manne, auch mit dem besten Willen es zu bringen nicht vermag. In der Erfüllung meines Wunsches, wollte ich Euer Hoch Wohlgeboren

unterthänigster Diener
Christian Kühn.

Autor(en): Kühn, Christian Carl
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Bertram, Friedrich
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Lippstadt
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1839011345

Spohr



Der nächste erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Kühn an Spohr, Mitte Januar 1847.

[1] Dieses Zeugnis ist derzeit verschollen.

[2] „mich“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.07.2023).