Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck 1: Herfried Homburg, „Louis Spohrs erste Aufführung der Matthäus-Passion in Kassel. Ein Beitrag zur Geschichte der Bachbewegung im 19. Jahrhundert“, in: Musik und Kirche (1958), S. 49-60, hier S. 55 (teilweise)
Druck 2: Herfried Homburg, „Louis Spohr und die Bach-Renaissance”, in: Bach-Jahrbuch 47 (1960), S. 65-82, hier S. 79 (teilweise)

Catlenburg am 4ten Januar

Endlich mein innigst verehrtester Gönner! kann meine Frau die Freude sich aneignen, Ihnen beygehend ein frisches Würstel mit unserem herzlichsten Wunsche des aller besten und frischestens Apetites für diese etwas derbe Speise zu präsentiren! – Welches dadurch so lange verzögert geblieben ist, daß durch allerley zufällichkeiten diese erste Einschlachtung dieses Winters bis in dieses neue Jahr hinein zurückgesetzt geblieben war. In welchem Maaße ich noch immer in der Erinnerung der hohen Musik-Genüße1 lebe, in welche Ihre und Ihrer so talentreichen theuren Frau Gemahlin große Güte an dem unvergeßlichen Abend des 17ten, und an dem herrlichen Morgen des 18ten November mich abermahls in so reichem Maaße schweben ließen, vermag ich Ihnen wirklich nicht auszudrücken! – und bergen will ich Ihnen nicht, daß dadurch meine alljährliche Sehnsucht, den dortigen Oster-Musik-Aufführungen beywohnen zu drüfen, in nicht geringem maaße noch gesteigert ist! –
Ueber den Gegenstand der gleichzeitigen etwaigen Aufführung des Requiems und Ihrer „Letzten Dinge“ an einem und demselben Abend, – ein Gegenstand welcher während der Weiterreise von dort hierher mich viel beschäftigte, – wollte ich Ihnen gleich damals meine unvorgreifliche Ansicht ausdrücken, bin aber bey der mich hier empfangenden Wüste dringlicher Erledigungen dennoch nicht dazu gekommen! –
Gewis kann wohl Niemand mehr den unsterblichen Mozart wahrhaft vergöttern, als diese Begeisterung mich jedes Mahl von neuem ergreift, wenn ich die eben so genialen als fleißig und schulgerecht ausgearbeiteten größeren Werke dieses, in der Hauptsache nie und nimmer veraltenden Ton-Dichters höre! – Gleichwohl scheinen Sie mir Unrecht zu haben, wenn Sie glauben, eine solche Zusammenstellung des Mozartschen Meisterwerkes und Ihrer Oratorii, gleichsam in Beschützung des letzteren, nicht zulassen zu dürfen! –
Ich wenigstens kann aus tiefstem und aufrichtigstem Herzen versichern, davon wie von meinem Daseyn im voraus überzeugt zu seyn, daß die eben genossene gelungste Aufführung des Requiems, den hohen Genuß einer gleich guten Aufführung Ihrer „Letzten Dinge“ – und eben so das „Vater-Unser’s“, unmittelbarer darnach, auch nicht um das mindeste schlern, sondern das Interesse dafür, von Anfang bis zu Ende, möglicher Weise umgekehrt nur noch2 steigern würde!
Und da ich nun wenigstens doch wohl nicht gerade die aller ungeübtesten Ohren der Zuhörer-Versammlung in die Kirche mitbringen mögte: so glaube ich zu der vollen Ueberzeugung berechtigt zu seyn, daß vor allem gerade dem beurtheilungsfähigeren Publico, wie mich selbst3, ein wahres Liebeswerk damit erwiesen werden würde, zwey solche Meisterwerke, gerade so neben einander gestellt, ein Mahl zu hören! –
Ein gleiches Gewichtstück könnte für mich keine andere Wahl für den Charfreitag für Ueberwindung einer oder der andern meiner aber mahlichen Dorthinkunft etwa entgegen tretenden Schwierigkeiten in die Wagschaale werfen! – – es sey denn etwa eine Wiederholung der Bachschen Passion! – wonach ich allerdings ab und an eine Sehnsucht haben kann, die man Herzbluten nennen mögte! – in der Besorgniß, bey der großen Seltenheit ihrer gelingenden Aufführung, sie vielleicht in meinem Leben auch nicht noch ein Mahl wieder zu hören! –
Ist die Wahl für Charfreytag etwa schon getroffen: so wird deren gelegentliche geneigteste Mittheilung mich zum höchsten interessiren! –
Ist aber die Bestimmung noch offen: so lassen Sie, mein innigst vertestester Gönner! doch ja gestrost eine solche Vereinigung des Requiems und der „Letzten Dinge“ mit in die aller engste Wahl treten!! –
Ihnen wie Ihrer unaussprechlich verehrten gnädigen Frau Gemahlin ferneren freundlichen Wohlwollen empfiehlt meine Frau sich mit mir unter den herzlichst besten Wünschen für Ihr und der theuren lieben Ihrigen Aller Wohl in dem nun angetretenen Jahre, auf das innigste. – So unwandelbar als dankbar

Ihr wärmster Verehrer
CFLueder.

N.S. An des Hn Oberstallmeisters v. Malsburg Excellenz habe ich mir erlaubt ebenfalls direct ein Paar Würstel mit denen dieser Post zu senden; was ich nur pro notitia bermerke, um einer etwaigen freundlichen Abgabe von Ihrer Seite zuvorzukommen. –
CFL.

Autor(en): Lueder, Christian Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Lueder, Wilhelmine Henriette Caroline
Malsburg, Wilhelm von der
Spohr, Marianne
Erwähnte Kompositionen: Bach, Johann Sebastian : Matthäus-Passion
Mozart, Wolfgang Amadeus : Requiem
Spohr, Louis : Die letzten Dinge
Spohr, Louis : Vater Unser, WoO 67
Erwähnte Orte: Kassel
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1839010435

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lueder an Spohr, 12.11.1838. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Lueder an Spohr, 17.02.1839.

[1] Hier ein Wort gestrichen.

[2] „noch“ über der Zeile eingefügt.

[3] „selbst“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (27.11.2020).