Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Geehrter Herr Kapellmeister!

Schon seit mehreren Jahren, als ich Ew. Wohlgeboren durch dero Compositionen kennen lernte, war es mein sehnlichster Wunsch mit Dero Grundsätzen in der Kunst näher bekannt zu werden. Ich bin jetzt zwanzig Jahre, u. habe mich seit meiner Jugend, mit der Musik, namentlich mit dem Violinspiel, beschäftigt, obwohl meine ersten Lehrer theils unwissend oder gewissenlos genug waren, die Sache nur sehr oberflächlich zu nehmen, was ich denn auch bald einsah, so habe ich doch in den letzten drittehalb Jahren, welche ich in Neu-Strelitz zubrachte, bei einem Mann Unterricht gehabt, bei welchem ich die Schönheiten der Violin, nach meinem Gefühl, erst recht kennen lernte, der deshalb auch meine ganze Liebe u. Achtung besitzt. Es ist dies der Kammermusikus Schmidt, welcher bei der ersten Violin angestellt ist. Wir beschäftigten uns am liebsten, u. ich glaube auch mit dem meisten Nutzen, mit Dero Composition u. namentlich mit den Duetten, welche wir uns so ziemlich alle zu verschaffen wußten, u. wobei wir es uns zur strengsten Pflicht machten, Dero Vorschriften auf das genaueste nachzukommen, für welche Mühe wir denn auch durch den Erfolg hinlänglich u. reichlich belohnt wurden. Ew. Wohlgeboren u. Dero Compositionen waren oft die Gegenstände unserer angenehmsten Unterhaltungen, wodurch wir uns manche frohe Stunde bereiteten.
Mein ältester Bruder hat sich auch der Musik gewidmet, u nachdem er einige Jahre beim Königstädter Theater gewesen war, folgte einem Rufe nach Dorpat, wo er 5 Jahre lang Mitglied eines Quartett’s war, welches sich ein gewisser Herr von Liphart hielt, von welchem Ew. Wohlgeboren vielleicht gehört haben, u. an dessen Spitze der jetzige Concertmeister Herr David in Leipzig stand.1
Da ich nun das Glück habe, Eltern zu besitzen, die alles davon wenden würden, Ihre Kinder etwas tüchtiges lernen zu lassen, so wende ich mich denn an Ew. Wohlgeboren mit der Bitte, mir das Glück, Dero Schüler zu sein, zukommen zu lassen. Wenn meine Achtung u. Liebe für Dero Composition, so wie einliegende Briefe glückliche Fürsprache für mich sein sollten, so darf ich mir wohl schmeicheln eine geneigte Antwort zu bekommen. Dann bitte ich Ew. Wohlgeboren mir sobald als möglich, eine2 Nachricht davon zu kommen zu lassen, so wie mich auch die näheren Bedingungen wissen zu lassen, u ich werde keinen Augenblick säumen, mich sogleich auf die Reise zu machen, um Ew. Wohlgeboren mündlich versichern, wie glücklich ich dadurch bin.
Ich bin mit Hochachtung

Ew. Wohlgeboren
ergebenster
H. Herdtmann

Friedland den 28ten Juni
in Mecklenburg-Strelitz. 1838.

Autor(en): Herdtmann, Heinrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: David, Ferdinand
Herdtmann, Christian Friedrich Ludwig
Liphart, Carl Gotthard von
Schmidt (Violinist in Neustrelitz)
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Dorpat
Neustrelitz
Erwähnte Institutionen: Königstädter Theater <Berlin>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1838062640

Spohr



Spohr beantwortete diesen Brief am 10.07.1838.

[1] Vgl. Elmar Arro, „Ferdinand David und das Liphart-Quartett in Dorpat 1829-35“, in: Baltische Monatshefte 18 (1935), S. 19-30 , hier S. 20.

[2] „eine“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.04.2021).