Autograf: Universitätsbibliothek Kassel, Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

No 2.


Leeds den 18ten April 1838.

Hochgeehrtester Herr,

voriges Jahr Ende Octobers verließen wir, ich und mein Mann, London um nach Edinburg zu reisen, allein als wir hierher kamen, wurde ich engagirt in einem Konzert zu spielen1 nach welchem ich so viele andere Engagements bekam daß wir bis jetzt in derselben Stadt beschäftigt waren; den Brief No 1 den ich vor meiner Abreiße von London an Sie, geehrter Herr, schrieb, übergab ich dort einer Deutschen Dame, die mir versprach ihn mit einer Gelegenheit nach Frankfurt zu senden, allein vor ungefähr einer Woche schrieb mir meine Tochter daß der Brief noch in London liege, was mich sehr bedrükte, und da hier ein deutscher Kaufmann ist der mir versicherte, daß das Paket in einigen Tagen nach Frankfurt abgehen wird, so hieß ich das Paket hierher kommen; in dem Briefe werden Sie zwar etwas alte Nachrichten finden, allein Sie finden dort auch etwas was Sie unterhält. Wir reißen morgen ab nach Liverpool wo man wünscht mich zu hören2, und von dort müssen wieder nach London zurük gehen da meine liebe Tochter ihre Niederkunft Ende nächstens Mai’s erwartet3, doch werden wir ferner nicht wieder in London wohnen, da wir, wie ich find, viel vortheilhafter und angenehmer in einer Provinz-Stadt leben könen, wir werden also wieder hierher nach Leeds zurükkehren wo ich schon einige Schüler habe, ich spielte hier viele Quartetten von Ihrer Composition in Gesellschaften, die man so gerne hörte daß, als ich mein Konzert gab, man durchaus verlangte ich solle ein Spohrisches Quartett spielen, wir spielten op. 4 G moll. wir fanden hier einen jungen Engländer der vortreflich Violoncelle spielt, schade daß er sein schönes Talent hier vergräbt, denn sie wissen nicht in dieser Stadt was sie an ihm besitzen. Was mir ungemeines Vergnügen verschaft ist, daß ich sowohl in London wie auch in der Provinz Ihren Namen und Ihr großes Talent sehr hoch geschätzt findet; als ich in Deutschland war, spielte ich überall Ihr schönes Konzert No 2, allein in diesem Land muß man nur kurze Stüke wählen, und das mit Klavierbegleitung da die Orchestres so sehr schlecht sind, und es thut mir sehr leid daß ich nicht etwas von Ihrer leztern Composition was Sie, wie Sie mir schrieben, für Violin und Klavier componirt haben4, bekommen kan. –
Haben Sie die Güte mich Ihrer werthen Frau Gemahlin zum zweitenmale zu empfehlen, so wie ich mich Ihrer fernern schätzbaren Gewogenheit empfehle und habe die Ehre mit aller Hochachtung zu verbleiben

Ihre ganz ergebene
Elise Filipowicz

P.s. Wenn Sie mich mit einem Schreiben erfreuen wollen, so bitte ich den Brief nach London, 10. Duke street St. James’, zu adressiren.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Filipowicz an Spohr, 20.10.1837, der diesem Brief zufolge jedoch erst zusammen mit diesem Brief bei Spohr eintraf. Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] Frühester Nachweis in einer Konzertanzeige im Leeds Mercury 30.12.1837. Da Filipowicz in derselben Ausgabe des Blatts annonciert, Schüler nehmen zu wollen, dürfte sie schon früher in der Stadt privat oder öffentlich aufgetreten sein.

[2] Einer Konzertkritik im Liverpool Mercury 11.05.1838 zufolge dürfte ein Konzert der Geigerin am 07.05. stattgefunden haben.

[3]  Laut der in der Musical Times (1906), S. 739 abgebildeten Grabinschrift dürfte es sich bei dem Kind um Stanislav Michael Albert Ratajski gehandelt haben.

[4] In seinem Brief an Filipowicz, 27.10.1836 erwähnte Spohr op. 95 und 96.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Volker Timmermann (08.07.2020).