Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Kleinwächter,L.:17
Prag den 17t Merz
1838.
Innigst verehrter Herr!
Durch den heutigen Postwagen erhalten Sie die Partitur meines Streichquartettes, woran ich Ihnen die Skizze bei Ihrer letzten Anwesenheit in Prag vorspielte, und welcher hier in Pixi‘s Quartetten bereits mit Beifall öffentlich gegeben wurde.1 Ich schicke Partitur und nicht lieber die Stimmen, da ich glaube, es macht weniger Mühe, die Stimmen aus der Partitur schreiben zu laszen, als umgekehrt, und dasz Sie den Satz in Partitur sehen und beurtheilen, daran liegt mir gar zu viel! Die Bitte, das Quartett nur für Ihren eigenen Gebrauch behalten zu wollen, da es noch verlegt werden soll, ist wohl so gut als überflüszig! Ich bin außerordentlich gespannt auf Ihr mir so unendlich verehrtes Urtheil, um so mehr, als ich an der Sache mit besonderem Fleiß und Liebe gearbeitet habe. Im Trio des Menuetts werden Sie einen guten Bekannten finden – wie mir auch der Leipziger Representant vorwarf – allein die Weise ist mir so lieb, dz2 ich mir es nicht versagen konnte, eine Nachahmung derselben zu versuchen. Sollten kleine Schreibfehler – z.B. versetzte Noten, nicht genaue oder falsche Bogenbezeichnnungen oder Fingersätze vorkommen, - was ich jedoch nicht hoffe – so bitte ich, das nicht auf meine Rechnung zu setzen, mein Manuscript ist richtig und genau geschrieben, allein zu einer ganz sorgfältigen Revision der Copie hatte ich gegenwärtig wirklich durchaus keine Zeit, indem ich von Arbeiten allerlei Art itzt sehr gedrängt bin. Dem Notenpaquet werde ich den bewuszten Entschuldigungsbrief von Prof. Marx3 – für dessen gütige Mittheilung ich noch oftmals danke – beilegen, und somit sind meine schuldigen Sendungen nach Cassel für itzt wohl alle.
Von Mendelssohn habe ich letzthin einen sehr freundlichen Brief erhalten, worin er mir meldet, dasz meine Ouverture noch im Laufe dieses Monates in Leipzig zur Aufführung kommen soll.4 Wem danke ich alle diese Freuden, als Ihnen, heiß geliebter Meister! wie unendlich bin ich Ihnen darob verpflichtet! Ich hoffte, in Ihrem letzten Briefe etwas man den Schicksalen dieser Ouverture in Cassel zu hören; haben Sie den Plan, sie aufzuführen, aus irgend einem Grunde aufgegeben, oder hat sie vielleicht bei der Production nicht angesprochen? Wollten Sie gelegentlich mir nur einige Worte hierüber mittheilen so würde es mich sehr freuen, und auch einigermaszen beruhigen. Von den glänzenden Erfolgen Ihrer 5ten Sinfonie in Wien habe ich mit unendlicher Theilnahme gehört5, einer meiner besten Freunde, der bei der Aufführung zugegen war, schrieb mir noch am Tage der Production ein sehr langes Referat, er konnte sich kaum satt erzählen. Ich freue mich auszerordentlich darauf! Eben so sehnlich erwarte ich Ihr letztes Werk, welches wir Ihrer maßlosen Thätigkeit, und immer neuen Schöpfungskraft verdanken. Den Effekt der Production in Frankfurt wollte ich wohl hören!6 Letzhin hörte ich im Conservatorium-Concerte die bewuszte Lachnersche Preissymphonie7; ein langes und langweiliges Ding, was mir gar nicht gefiel, obschon ich mich zwang, es einige Male schon bei den Proben anzuhören; in der Hoffnung es werde mir bei der Wiederholung besser munden. Sonntag kömmt Mozarts adzr Sinfonie – ohne Menuette – davor, da gibt‘s anderen Schmaus! Freund Kittl – der seine Verehrung meldet – hat eine zweite Sinfonie – in Esdur Jagdsinfonie – fertig, die nächstens auch durch das Conservatorium gegeben wird. Nach Ansicht der Partitur, hoffe ich viel Gutes davon, und werde nach der Production nicht unterlassen, Ihnen von dieser Novität zu referiren. Vom langen Ritterberg hörte ich letzthin eine neue Ouverture zu Göthes Faust – requiescat in pace!
Auch eine neue Oper von einem hiesigen Compositeur – Herrn Emil Titl einem jungen Manne, von ziemlich viel Talent, der aus Noth einen Militärkapellmeisterdienst angenommen – haben wir zu erwarten, wie sie ausfallen wird, steht noch zu erwarten. Neulich erhielt ich einen Brief, den ein hier8 absolvirter Conservatorist – Namens Bezdek - aus Trient – wo er bei einem neu creirten Musikinstut als Lehrer der Violine angestellt ist9 - schrieb10 worin er meldet11, dz er in einem Concerte Ihr erstes Doppelquartett geben werde. Die Mühe dieser Production muß auszerordentlich gewesen sein, er sagt, dz er – nachdem er die Stimmen mit jedem einzeln eingelernt – durch sechs Wochen fast täglich davon Proben gehalten habe. Nun aber soll die Sache ganz gut, ja besonders gut gehen. Es hat mich dieser Beweis von Liebe zu Ihrer Musik sehr gefreut, und ich eile darum, es mitzutheilen. Begierig bin ich zu hören, wie dem Auditor eine solch ungewohnte Post(???) behagt habe?
Ihre freundliche Aufforderung, Sie in Carlsbad zu besuchen, und mit dem heitern Hesse gleichfalls zusammen zu kommen, ist mir sehr lockend. Seien Sie versichert, dz ich – wenn es mir nur irgend möglich – nicht ausbleibe, und auch ohne erst ein Wort von Ihnen abzuwarten mit heftigster Beginn die Gelegenheit erfasse, die mir die Möglichkeit gibt, Sie wieder zu sehen, um so mehr, als mir das Geschick in letzten Sommer die Salzburger Reise verdarben.12 Mit absoluter Gewißheit kann ich jedoch gegenwärtig noch weder zu- noch absagen, möglicher Weise könnte jene Zeit mit unverschieblicher und unabweislicher Berufarbeit, die zugleich für mein Leben entscheiden könnte, gedrängt werden, wo dann freilich an gar kein, oder doch nur an ein sehr kurzes Entfernen von hier zu denken wäre. Doch ich will indeß hoffen und mich lieber mit dem Gedanken freuen Sie heuer zu sehen! Gibt mir der Himmel eine Profeßur, so rutsche ich in den Ferien gewiß einmal nach Cassel und dann habe ich Sie hoffentlich länger als bisher.
Meine Frau – die mit mir vereint für Ihre herzliche Theilnahme dankt – ist sammt dem kleinen Kerl13 sehr wohl und gesund. Möge dem letzteren Ihr musicalisches Prognosticon wahr werden!
Mit der Bitte, die lieben Ihrigen herzlichst von uns Allen zu grüßen
bleibe ich treu ergeben
Ihr
Louis Kleinwächter
Gordigiani, so wie der Schwimm-Doctor Hutzelmann empfehlen sich Ihnen insbesondere. So eben – nachdem das Paquet gesiegelt(???) - bemerke ich, dz der Brief von Marx vergessen ist.
Autor(en): | Kleinwächter, Louis |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Bezdek, Friedrich Wenzel Gordigiani, Giovanni Battista Hesse, Adolph Hutzelmann, Karl Marx, Adolph Berhard Mendelssohn Bartholdy, Felix Pixis, Johann Peter Titl, Emil |
Erwähnte Kompositionen: | Kittl, Johann Friedrich : Jagdsinfonie Kleinwächter, Louis : Ouvertüren, op. 1 Kleinwächter, Louis : Quartette, Vl 1 2 Va Vc, op. 8 Lachner, Franz : Sinfonien, op. 52 Rittersberg, Ludwig von : Faust Spohr, Louis : Doppelquartette, op. 65 Spohr, Louis : Sinfonien, op. 102 Spohr, Louis : Vater Unser, WoO 70 Titl, Emil : Oper |
Erwähnte Orte: | Karlsbad Leipzig Prag Trient Wien |
Erwähnte Institutionen: | Gewandhausorchester <Leipzig> Konservatorium <Prag> Sängerfest <Frankfurt am Main> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1838031731 |
Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Kleinwächter. Der nächste erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Kleinwächter, 12.09.1838.
[1] „Uiber das erste Quartett des Herrn Prof. Pixis“, in: Bohemia 03.12.1837, nicht paginiert.
[2] „dz“ = Abk. f. „dasz“.
[3] Adolph Bernhard Marx an Spohr, 09.09.1837. – Spohr hatte Marx‘ Brief seinem derzeit verschollenen Brief an Kleinwächter, 01.10.1837 zur Kenntnisnahme beigelegt.
[4] Der Brief Felix Mendelssohn Bartholdy an Kleinwächter, 25.02.1838 ist derzeit verschollen und nur durch Kleinwächters Antwortbrief vom 12.03.1838 datiert (vgl. Felix Mendelssohn Bartholdy, Sämtliche Briefe Bd. 6, Februar 1838 bis September 1839, hrsg. v. Kadja Grönke und Alexander Staub, Kassel 2012, S. 57 und 505).
[5] Vgl. „Wien, musikalische Chronik des ersten Vierteljahrs“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 40 (1838), Sp. 337ff., 352f., 369-372 und 426ff., hier Sp. 370f.; „Musikleben in Wien. Februar“, in: Neue Zeitschrift für Musik 8 (1838), S. 138f.; „Das erste Concert spirituel“, in: Allgemeine Theaterzeitung 31 (1838), S. 195f.; O., „Die Concerts spirituels in Wien. Das Erste am 1. März“, in: Allgemeiner musikalischer Anzeiger 10 (1838), S. 41-44, hier S. 41f. und 44.
[6] Spohr komponierte für das Sängerfest in Frankfurt sein Vater Unser WoO 70.
[7] Vgl. „Uieber die erste Akademie des Conservatoriums der Musik“, in: Bohemia 06.03.1838, nicht paginiert.
[8] „hier“ über der Zeile eingefügt.
[9] Vgl. L., „Aus Trient“, in: Allgemeine Theaterzeitung 31 (1838), S. 616.
[10] „schrieb“ über der Zeile eingefügt.
[11] „meldet“ über gestrichenem „schreibt“ eingefügt.
[12] Die gemeinsame Reise mit Spohr scheiterte an einer Erkrankung von Kleinwächters Vater Ignaz (vgl. Spohr an Adoph Hesse, 27.09.1837).
[13] Kleinwächters Sohn Friedrich.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (16.04.2019).