Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,170
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 173 (teilweise)

Sr. Wohlgeb
Herrn Wilhelm Speyer
in
Frankfurt a/m
 
 
Cassel den 16ten
Januar 1838.
 
Geliebter Freund,
 
Der Tod unseres Freundes Ries, den wir gestern durch die Zeitung erfuhren1, hat mich umsomehr betrübt und erschreckt, als ich von seinem Unwohlsein gar nichts wußte. Da Sie mir nun schreiben, daß ihn eine Leberkrankheit aufgerieben hat, so mahnt mich dieses umso dringender, da ich selbst an Untätigkeit der Leber leide, nächsten Sommer eine ernstliche Kur, die mir die Ärzte schon seit 2 Jahren angeraten, nämlich Carlsbad, zu gebrauchen. Vorigen Winter wurde es mir ebenfalls verordnet; ich konnte mich aber nicht entschließen, die schon lange projektierte Reise nach Wien aufzugeben und so unterblieb es. Allein die nachtheiligen Folgen habe ich in diesem Winter schon sehr empfinden müssen indem ich bereits 2 Anfälle, und zwar heftigere wie früher von meinen Magenkrämpfen gehabt habe und überhaupt nach jeder Anstrengung im Theater an Leberschmerzen leide. Es steht daher fest, daß ich nächsten Sommer während der Ferienzeit Carlsbad gebrauchen muß, so unangenehm mir auch der Gedanke ist, daß ich die langersehnte Ferienzeit in einem langweiligen Badeort verleben soll. Sie sehen daher, mein gel. Fr, daß es mir unmöglich ist, den in Ihrem letzten Briefe ausgesprochenen Wunsch zu erfüllen, so gerne ich es auch thäte.
Unsere Ferienzeit, während welches ich allein Urlaub bekommen kann, fängt den 15ten Juni an und dauert bis Ende Juli. 5 Wochen brauche ich für Carlsbad, die Reisetage mit einberechnet. Wäre nun Ihr Gesangfest in die letzte Woche des Juli gefallen, so hätte ich meine Rückreise über Frankfurt nehmen können, aber im Anfang des Juli mich loszumachen, ist völlig unmöglich! – Eine Arbeit für Ihr Fest habe ich begonnen, aber ich wiederhole es, es giebt unter allen den vielen Kompositionsgattungen, in welchen ich mich bisher versuchte keine, die soviele Schwierigkeiten darbietet, wie diese. Ich weiß daher immer noch nicht, ob ich etwas brauchbares zu Stande bringen werde! An Eifer fehlt es mir jedoch nicht. Da das Vater Unser von Jacobi sich doch nicht recht fügen wollte, so habe ich das Klopstocksche gewählt. –
Es wird mich jedenfalls interessiren, etwas näheres über den Plan Ihres Musikfestes zu erfahren. Wenn daher Ihr Programm erscheint, so bitte ich um dessen Mittheilung. Leider fehlt es ganz an würdigen Kompositionen für die Kirche. Ich hielt das Oratorium von Loewe, „Die eherne Schlang[e”], für eine solche und ließ es mir deshalb zur Ansicht geben. Es hat mich aber gar nicht befriedigt. Die Intenzionen sind zwar gut, die Ausführung ist aber in harmonischer und contrapunktischer Hinsicht sehr ärmlich und trocken. Es mag dieses aber wohl an der Schwierigkeit der Aufgabe liegen und wird mir vielleicht ebenso gehen!
 
Herzliche Grüße an die lieben Ihrigen.
Stets mit herzlicher Liebe
 
der Ihrige
Louis Spohr

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Speyer, Wilhelm
Erwähnte Personen: Ries, Ferdinand
Erwähnte Kompositionen: Loewe, Carl : Die eherne Schlange
Spohr, Louis : Vater Unser, WoO 70
Erwähnte Orte: Frankfurt am Main
Karlsbad
Kassel
Wien
Erwähnte Institutionen: Liederkranz <Frankfurt am Main>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1838011602

https://bit.ly/

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Speyer an Spohr, 13.01.1838. Speyer beantwortete diesen Brief am 20.01.1838.
 
[1] Vgl. z.B. „Frankfurt, 13. Jan.”, in: Frankfurter Ober-Postamts-Zeitung 14.01.1838, nicht paginiert
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (09.03.2016).

Cassel, 16. Januar 1838.
 
Der Tod unseres Freundes Ries, den wir gestern durch die Zeitung erfuhren, hat mich umsomehr betrübt und erschreckt, als ich von seinem Unwohlsein gar nichts wußte. Da Sie mir nun schreiben, daß ihn eine Leberkrankheit aufgerieben hat, so mahnt mich dieses umso dringender, da ich selbst an Untätigkeit der Leber leide, nächsten Sommer eine ernstliche Kur, die mir die Ärzte schon seit 2 Jahren angeraten, nämlich Carlsbad, zu gebrauchen ... Sie sehen daher, mein geliebter Freund, daß es mir unmöglich ist, den in Ihrem letzten Briefe ausgesprochenen Wunsch zu erfüllen, so gerne ich es auch täte. ... Eine Arbeit für Ihr Fest habe ich begonnen, aber ich wiederhole es, es gibt unter allen den vielen Kompositionsgattungen, in welchen ich mich bisher versuchte, keine, die soviele Schwierigkeiten darbietet, wie diese ... An Eifer fehlt es mir jedoch nicht. Da das ,Vater Unser’ von Jacobi sich doch nicht recht eignen wollte, so habe ich das Klopstocksche gewählt ... Leider fehlt es ganz an würdigen Kompositionen für die Kirche. Ich hielt das Oratorium von Loewe, ,Die eherne Schlange’, für eine solche und ließe es mir deshalb zur Ansicht kommen. Es hat mich aber garnicht befriedigt. Die Intentionen sind zwar gut, die Ausführung ist aber in harmonischer und contrapunktischer Hinsicht sehr ärmlich und trocken. Es mag dieses aber wohl an der Schwierigkeit der Aufgabe liegen und wird mir vielleicht ebenso gehen ...