Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Geehrter Herr Kapellmeister

Ihrer gütigen Erlaubniß zu Folge, bin ich so frei Ihnen einiges über meinen jetzigen Wirkungskreis, welchen Sie die Gefälligkeit hatten mir zu verschaffen, wofür ich Ihnen nochmals meinen Dank bezeige, mitzutheilen. Daß ich diese Pflicht nicht früher erfüllt, war weder Nachlässigkeit, noch Mangel an Zeit die Ursache; ich wollte erst mit meinem Dienst bekannter werden um Ihnen hierüber einiges melden zu können. Meine Hauptbeschäftigung ist das Theater, (die Gesellschaft des Derossi) wo ich wöchentlich in 2 Opern, welche der Musikdirector Hörger dirigirt, und in 2 Schauspielen, wo das Orchester unter meiner Leitung steht, mitwirke. So ist es freilich nicht wie in Cassel; die Stimmung der Blasinstrumente mitunter schrecklich, bei den Saiteninstrumenten ist an Feinheit des Spiels kaum zu denken. Wir haben bis jetzt schon große Opern aufgeführt als: Robert 3 mal, Oberon, Maskenball, Stumme1 nächstens der Postillion von Long-jumeau.
In den erstern Concert welche hier sehr stark besucht werden, wurde die 2te Symphonie v. Beethoven recht gut executirt. H. D. Rietz trug eine Fantasie von seiner Composition vor. Das Zweite wurde mit einer Symphonie von Mendelsohn Manuscript eröffnet; dann spielte ich das 12te Concert2 mit Beifall, obgleich ich wohl fühlte, daß es unter Ihrer Leitung weit besser gegangen war, indem Hr Rietz die Tempis nicht so präcis nahm. Messe war erst einmal wo Compositionen von Beethoven u. Mendelsohn aufgeführt wurden.3
Zum Quartett spielen ist es noch nicht gekommen und auch keine Aussicht vorhanden; ich lebe nur noch in der schönen Rückerinnerung die Sie uns Hr. Kapellmeister durch diesen seltenen Gruß bereiteten.
Die übrige Zeit benutze ich zum Studium und gebe wöchentlich einen Baron v. Dyck 3 Stunden; außerdem habe ich auch das 9te Concert4 welches meiner Frau so sehr gefällt für Pianoforte arrangirt, damit wir es öfter zusammen spielen können. Letztere empfiehlt sich Ihnen und Ihrer werthgeschätzten Familie
Mit aller Hochachtung unterzeichnet

Ihr ergebenster
Heinrich Weidemüller.

Düsseldorf d. 21ten December 18375



Der nächste erschlossene Brief ist Spohr an Weidemüller, vor dem 02.06.1838.

[1] La Muette de Portici von Daniel-François-Esprit Auber.

[2] Op. 79.

[3] Vgl. „Düsseldorf, April 1838“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 40 (1838), Sp. 327f., hier Sp. 328.

[4] Op. 55.

[5] Das zweite Blatt, das offensichtlich vom Bogen abgerissen wurde, enthielt möglicherweise die Adresse.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.02.2020).